Größere Belohnung = simplere Strategie

Wie funktioniert der Entscheidungsprozess im Gehirn?

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Je stärker ein Mensch auf den Ausgang einer Entscheidung fixiert ist, desto simpler werden seine Strategien. Im Fachmagazin Neuron zeigen Forscher nicht nur, welche Persönlichkeitsmerkmale in welchem Kontext bei welcher Strategie zu welcher Entscheidung führen - sie führen auch vor, wie sich dieser Entscheidungsprozess am Gehirn von Versuchspersonen ablesen lässt.

Soll ich jetzt ein Auto kaufen? Ich gewinne die so genannte Öko-Prämie, aber ich verliere den aktuellen Zeitwert meines alten Fahrzeugs. Das neue Auto büßt gerade in den ersten Monaten ungleich schneller an Wert ein als das alte. Der neue Wagen braucht weniger Sprit, er fährt umweltfreundlicher - jedenfalls bei 120 auf der Autobahn. Der alte hingegen fährt eh nie schneller als 120. Ich spare Kraftfahrzeugsteuer, muss dafür aber bei der Versicherung draufzahlen, denn ein Neuwagen ohne Vollkasko… Die Finanzierung kostet Geld, doch beim aktuellen Zinsniveau kostet es ebenso Geld, nicht zu investieren. Wenn ich das Fahrzeug lease, steigen die Kosten - doch das Finanzamt beteiligt sich daran. Und was, wenn ich in einem Jahr den Job verliere? Am Ende läuft es zwar fast immer auf ein Ja oder ein Nein hinaus - doch bis ein Mensch so weit ist, stellt er jede Menge höchst komplizierter Berechnungen an. Das gilt auch für Alltagsentscheidungen.

Wie genau ein solcher Entscheidungsprozess im Gehirn abläuft, darüber konnte die Wissenschaft bisher nur nachdenken, ohne sich zu entscheiden. Eine Gruppe amerikanischer Forscher von der Duke University in Durham hat nun unter dem funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT) untersucht, welche Gehirnregionen Probanden bei komplexen Entscheidungen aktivieren. Ihre Ergebnisse beschreiben sie in einem Artikel in Neuron. Die Probanden mussten dabei an einem recht komplexen Spiel teilnehmen, bei dem sie echtes Geld gewinnen konnten.

Das Spiel bestand im Prinzip aus einer Serie von Wetten mit je fünf möglichen Ergebnissen (davon einige positiv, andere negativ), die mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten besetzt waren. Zusätzlich konnten die Probanden den Geldwert von genau einem der fünf Ergebnisse vor der Auswahl erhöhen - damit also zum Beispiel das potenziell schlechteste Ergebnis abmildern oder das bestmögliche Ergebnis noch steigern. Zusätzlich standen die Versuchspersonen dabei unter Zeitdruck.

Nicht der Streit von rationalen und emotionalen Arealen

Die Studie der Forscher berührt gleich mehrere Fragen, die den Entscheidungsprozess des Menschen betreffen. Zum einen zeigten die fMRT-Bilder, dass es wohl nicht, wie man bisher vermutete, unterschiedliche Hirnareale für „rationale“ oder „irrationale“ Entscheidungen gibt. Ganz gleich, wie riskant die Probanden wetteten, es war stets ein Gebiet, nämlich der laterale präfrontale Kortex, am aktivsten, dem schon bisher rationale Berechnungen zugeordnet wurden. Hier scheint es also rein um die Rechenkraft zu gehen. Das Modell, beim Entscheidungsprozess würden eher rationale und eher emotionale Areale miteinander in Wettbewerb stehen, lässt sich demnach nicht mehr halten.

Ebenso zeigte sich aber auch, dass die Beobachtung, dass Menschen unterschiedlich entscheiden, auch an der Gehirnaktivität ablesbar ist. Die Forscher konnten die unterschiedlichen Entscheidertypen sogar klar anhand der fMRT-Bilder zuordnen.

Ein Teil der Probanden tendierte zum Beispiel dazu, sich Entscheidungen wenn möglich zu vereinfachen. Sie orientierten sich dann zum Beispiel einfach (und dauernd) an der maximal möglichen Ausbeute oder am größtmöglichen Verlust. Interessanterweise sind es aber genau diese Individuen, deren Belohnungszentrum am stärksten auf Belohnungen reagiert. Je stärker derselbe Gewinn uns mit Dopaminausschüttung belohnt, desto simpler werden die Strategien, die wir zu dessen Erlangung wählen.

Anders herum ausgedrückt: Die ausgefeiltesten Strategien wurden im Versuch von den Personen genutzt, deren Belohnungssystem weniger empfindlich war. Diese Probanden fokussierten dann eher auf die gewichteten Gewinnwahrscheinlichkeiten als auf den maximalen Gewinn. Die Forscher hoffen, ihre Erkenntnisse dereinst nutzen zu können, um typische Reaktionen von Menschen vorherzusagen - etwa mit solchen Fragen: Wie regiert ein impulsiver, in einer Depression steckender Mann auf eine bestimmte Information?