Große Risse in Notkühlsystemen französischer AKW

Ein Riss mit einer Tiefe von sogar 23 Millimeter wurde entdeckt. Atomaufsicht spricht von einem "ernsten Problem" und fordert weitere Prüfungen der Meiler.

"Die Risse sind erheblich - wenn nur noch 4 Millimeter bleiben, haben wir ein ernstes Problem", erklärte Bernard Doroszczuk, Chef der Atomaufsicht (ASN), bei einer parlamentarischen Anhörung am Mittwoch. Dass die Atomkraftwerke (AKW) in Frankreich von massiver Spannungskorrosion betroffen sind, ist für Telepolis-Leser kein Geheimnis. Allerdings ging die ASN bisher davon aus, dass man es nur mit Haarrissen in den Riss-Reaktoren zu tun habe, was aber eher unwahrscheinlich ist.

Doroszczuk spricht mit eher dramatischen Worten die Tatsache an, dass in einer Rohrleitung im Notkühlsystem des Atommeilers Penly 1 ein Riss in der Nähe einer Schweißnaht entdeckt wurde, der sich "über 155 mm, also etwa ein Viertel des Rohrumfangs" erstrecke. Dessen "maximale Tiefe beträgt 23 mm".

Da die Rohrdicke nur "27 mm" betrage, wie die ASN in einer Presseerklärung mitgeteilt hat, spricht Doroszczuk eine klare Sprache. Seine ASN titelte deshalb, dass es sich um einen Riss "von erheblicher Tiefe" handelt. "Wegen möglicher Folgen und der erhöhten Wahrscheinlichkeit eines Bruchs", stufte die ASN den Riss als einen Störfall der zweiten Stufe auf der siebenstufigen Ines-Skala ein.

In einer Aktualisierung der Erklärung hat die Atomaufsicht überdies mitgeteilt, dass weitere Risse nicht nur in Penly, sondern auch an Meilern in Civaux, Chooz und Doroszczuk Cattenom – direkt an der deutschen Grenze – gefunden wurden. Allerdings machte die ASN zu diesen Rissen keine zusätzlichen Angaben.

Die ASN fordert nun vom Kraftwerksbetreiber EDF, seine "Kontrollstrategie zu überarbeiten". Sie wurde aufgefordert, schnell ähnliche Fälle zu identifizieren. Der hochverschuldete Staatskonzern mit seinem Rekordverlust war im Herbst von der Regierung "angewiesen" worden, auch von Korrosion betroffene Meiler im Winter wieder ans Netz zu bringen, um einen Blackout im Land abzuwenden.

Dass sich die "Kontrollstrategie" bisher mehr am Strombedarf und der Stromlücke im Land orientierte und nicht an den Gefahren, die aus der Korrosion resultiert, war längst klar. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die EDF die aktuell besonders betroffene Notkühl-Leitung aufgrund ihrer Geometrie als nicht anfällig für Spannungsrisskorrosion angesehen hatte.

Allerdings wurde die betroffene Schweißnaht beim Bau des Reaktors schon doppelt repariert. Das sei geeignet, heißt es, ihre mechanischen Eigenschaften und die inneren Spannungen des Metalls in diesem Bereich zu verändern.

Der abgeschaltete Meiler sollte im Mai wieder hochgefahren werden, was nun ins Wasser fällt. Der Atom-Experte Yves Marignac spricht davon, dass man es schon mit einer "fast undichten Stelle" zu tun habe. Auch er spricht an, dass der Riss an einer Stelle aufgetreten sei, wo ihn die EDF nicht erwartet hat, die in erster Linie die Leitungen des Notkühlsystems überprüft habe, durch die kaltes Wasser eingespeist werden würde.

Marignac meint, das Ausmaß des Risses sei beunruhigend und dass damit die Sicherheit von weiteren sechs Meilern infrage stehe.

Die Angaben der ASN muss man sich auch mit Blick auf die ständigen Reparaturen von Schweißnähten am Kraftwerks-Neubau in Flamanville auf der Zunge zergehen lassen. Der "neue" EPR sollte eigentlich schon seit zehn Jahren Strom liefern. Doch ein ums andere Mal verzögert sich die Inbetriebnahme, weil immer wieder auch Schweißnähte mangelhaft sind und repariert werden müssen. Allerdings ist dort sogar der Reaktorbehälter schadhaft und der Meiler sollte besser nie in Betrieb gehen.

Auffällig ist, dass schon die bisherige Korrosion mit kleineren Rissen nicht durch eine regelmäßige Kontrolle entdeckt wurde. Auch diese Risse wurden zufällig im Herbst 2021 entdeckt, was dann zur Abschaltung etlicher Meiler führte.

Allerdings hatte die EDF weitere Prüfungen inzwischen zeitlich so gestreckt, um die wachsende Stromlücke im Land nicht noch größer werden zu lassen. Heute musste das Land in der Spitze wieder bis zu 14 Gigawatt importieren.

Die neu entdeckten Schäden werfen auch ein Schlaglicht auf die Horror-Pläne der EDF, die Laufzeiten der Uralt-Reaktoren sogar bis auf 80 Jahre zu verlängern, die nur auf 40 Jahre ausgelegt sind. Damit wird das Risiko immer offensichtlicher, dass damit ein Super-Gau programmiert wird.