"Große Teile unserer Wirtschaft basieren auf der Ausbeutung der Menschen"

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Volker Quaschning über den radikalen Umbau der Energie- und Wirtschaftspolitik, ein Gasembargo gegen Russland und den wirklichen Kampf gegen Armut

Prof. Dr. Volker Quaschning von der HTW Berlin ist Professor für Regenerative Energiesysteme und Ingenieur. Zuvor war er Projektleiter in Spanien für die Deutsche Luft- und Raumfahrtgesellschaft (DLR). Er gründete als Hauptinitiator mit vielen Kolleg*innen "Scientists for Future" als Partnerorganisation von "Fridays for Future".

Mit seinem YouTube-Kanal erreicht er über eine Million User im Jahr, er gibt zudem den Podcast dasisteinegutefrage.de heraus. LinkedIn zeichnete ihn 2020 als Top Voice aus, im selben Jahr erhielt er den Deutschen Solarpreis.

Quaschning veröffentliche zahlreiche Bücher, zuletzt den Spiegel-Beststeller Energierevolution JETZT, in dem es um auch die soziale Gestaltung der Klimawende, preisgünstigen ÖPNV und eine sozial gerechte Wohnungspolitik geht

Die Steuersenkungen auf Benzin wurden als das große Los versprochen, auch die Preiserhöhungen auf Lebensmittel sollten damit in den Griff bekommen werden durch Senkung der Transport- und Herstellungskosten. Nun aber sind die Benzinpreise an den Tankstellen kaum gesunken trotz Medienhype, die Mineralölkonzerne verdienen so gut wie selten und die Lebensmittelpreise steigen. Was ist Ihr Fazit zu diesem Aspekt?

Volker Quaschning: Diese Entwicklung zeigt, dass viele von uns die Krisen noch nicht wirklich als solche verstanden haben. Wir haben einen schrecklichen Angriffskrieg in der Ukraine, der durch den Kauf von Erdöl und Erdgas aus Russland mitfinanziert wird und der eine globale Hungerkatastrophe auslöst. Außerdem gerät die Klimakrise immer mehr außer Kontrolle. Darum müssten wir weniger Erdöl kaufen und weniger Benzin und Diesel verbrennen. Für beides sind Tankrabatte wenig hilfreich.

In Italien wurde ja nicht nur eine Übergewinnsteuer, sondern sogar teils eine Überumsatzsteuer eingeführt für Unternehmen eingeführt, die von der Krise seit dem Überfall Russlands profitieren. Was halten Sie davon?

Volker Quaschning: Mineralölkonzerne sind die großen Gewinner der aktuellen Krise. Das macht den Ausbau klimaschädlicher Ölförderungen lukrativ und erschwert zusätzlich den Klimaschutz. Eine Übergewinnsteuer wird diese Entwicklung nicht zurückdrehen. Sie ist aber ein wichtiges Symbol und bedient das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung.

In Ihrem Buch werben Ihre Frau und Sie für eine Energiewende. Wenn man die Realpolitik der Bundesregierung in Hinsicht auf die Energiepolitik seit dem 24. Februar betrachtet: Sind Sie dann noch generell optimistisch, dass es gelingen könnte? Und die Grünen ziehen ja mittlerweile in Schleswig-Holstein und NRW gar Koalitionen mit der CDU vor.

Volker Quaschning: Keine Frage: Die aktuelle Energie- und Klimaschutzpolitik ist nicht im Ansatz ausreichend, um das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Anderseits haben wir deutlich mehr Bewegung als noch vor einigen Jahren und viele Unternehmen und größere Teile der Bevölkerung sind wirklich zum Handeln bereit. Die Technik für wirksamen Klimaschutz ist bekannt und wir können uns das Ganze auch leisten. Ich kann nicht glauben, dass unsere Gesellschaft so blöd ist, trotzdem weiter mit Volldampf in die Klimakrise zu rauschen.

"Regierung hat Geschäftsmodelle der alten Industrien geschützt"

Angesichts der Preisexplosion bei Energie und Lebensmittel schon Anfang des Jahres und dem, was sich ab Februar abzeichnete, forderten Sie auf Twitter: "Helft den Bedürftigen!" Nun sind wir im Juni, die Preise steigen weiter, Transfereinmalzahlungen zum Beispiel wurden immer noch nicht überwiesen. Wird das existenzielle Problem von der Politik nicht ernst genommen? Die Realinflation ist höher als acht Prozent ...

Volker Quaschning: Menschen mit geringem Einkommen werden von der Entwicklung zunehmend überfordert. Das verringert die Akzeptanz für die nötigen Veränderungen zum Stoppen der Klimakrise. Darum müssen wir sehr zielgerichtet für eine Entlastung sorgen.

Deutschland ist ein brutal reiches Land mit acht Billionen Euro an Sparvermögen. Raum für soziale Gerechtigkeit wäre eigentlich da. Das heißt aber, dass Besserverdienende auch mal etwas abgeben müssen. Auf Pump Wohltaten für alle zu verteilen, geht nur zulasten der künftigen Generationen.

In Ihrem Buch skizzieren Sie ja auch das Zukunftspotenzial von Wasserstoff. Wenn man die etwas fahrigen Manöver der Politik betrachtet, seit Februar den Energiemarkt umzustellen, fehlt da bei den Entscheidern der Mut, jetzt endlich mal eine ganz neue Phase nach der Fossilität zu beginnen?

Volker Quaschning: Wasserstoff ist ein Baustein der Energiewende, aber nicht die Lösung für alles. In vielen Bereichen, zum Beispiel beim Straßenverkehr oder im Heizungsbereich, ist er zu ineffizient und zu teuer. Für die Energiewende wäre erst einmal ein schneller Ausbau der Photovoltaik und der Windkraft wichtig. Hier liegen einige ganz gute Pläne auf dem Tisch. Die Ausbaumengen und das Ausbautempo müssten aber noch einmal deutlich gesteigert werden. In anderen Bereichen wie der Verkehrswende kann man hingegen nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Vor kurzem hat ein großer Fabrikant von Windkraftanlagen in Brandenburg Insolvenz angemeldet, in Deutschland werden auch kaum noch Solarmodule hergestellt. Was ist denn da allgemein schiefgelaufen? Das klingt ja gar nicht nach Umbau der Wirtschaft …

Volker Quaschning: In den letzten zehn Jahren war die Regierung nur bemüht, den Ausbau der Photovoltaik und der Windkraft zu drosseln und komplizierter zu machen, um die Geschäftsmodelle der alten Industrien zu schützen. Das rächt sich jetzt. In einigen Bereichen wie bei der Produktion von Solarmodulen haben wir international den Anschluss verloren. Das ist weder für den Klimaschutz noch den Wirtschaftsstandort Deutschland eine gute Entwicklung. Noch gäbe es aber die Chance, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Es gibt ja auch weitere Möglichkeiten der Energieerzeugung und Stromgewinnung wie Mini-Solarmodule für Privathaushalte. Mittlerweile gibt es auch farbige oder neutrale Solarmodule für die vertikale Hausverkleidung im großen Maßstab. Ist man in Deutschland etwas zu fortschrittsfeindlich in dieser Hinsicht?

Volker Quaschning: Wir haben in Deutschland immer noch eine exzellente Forschungslandschaft und wir haben auch noch einige innovative Unternehmen. Das lässt hoffen. Wenn es uns gelingt, wieder größere Solarunternehmen anzusiedeln, kann es uns gelingen, auch international bei Innovationen wieder Spitze werden.