"Große Teile unserer Wirtschaft basieren auf der Ausbeutung der Menschen"
Seite 2: "Ein Öl- und Gasembargo wäre die Chance gewesen, Putin zu stoppen"
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- "Ein Öl- und Gasembargo wäre die Chance gewesen, Putin zu stoppen"
- "Ein Tempolimit rettet nicht die Welt – aber Menschenleben"
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Was sagen Sie denn zu den Sanktionen gegen Russland? Ein wirkliches Öl- und ein Gas-Embargo scheint jetzt völlig vom Tisch …
Volker Quaschning: Ein europäisches Öl- und Gasembargo wäre vermutlich die einzige Chance gewesen, Putin zu stoppen. Dafür wäre aber auch die Bereitschaft nötig gewesen, an der einen oder anderen Stelle Einschränkungen in Kauf zu nehmen. Deutschland hat sich dagegen entschieden. Sobald auch nur kleinste wirtschaftliche Einschränkungen zu befürchten sind, spielt bei uns Moral keine echte Rolle mehr.
Expert:innen vermuten, die Erträge für Öl seien für Russland seit März sogar stark angestiegen. Ist das der Aberwitz des Kapitalismus, dass sich Verbrechen rentiert?
Volker Quaschning: Nein. Das ist die Dummheit von Europa, in einer Region mit weniger als zwei Prozent der weltweiten Öl- und Gasvorkommen über Jahrzehnte auf eine öl- und gasdominierte Energieversorgung zu setzen. An der Dummheit anderer können skrupellose Menschen immer Geld verdienen.
Ist Katar ein besserer Ersatz für Russland? Rechte von Queeren werden dort nicht beachtet, es herrscht brutalster Ausbeutungs-Kapitalismus, das Land finanziert mörderische Terror-Gruppen wie die Hamas …
Volker Quaschning: Nein. Wir kommen so nur von der Pest zur Cholera. Wir brauchen jetzt eigentlich einen Ausbauturbo für erneuerbare Energien. Für etliche Menschen in Deutschland ist es aber offenbar schrecklicher, ein Windrad ansehen zu müssen als Terrorregime zu finanzieren.
Die Aktionen der "Letzten Generation" werden stark kritisiert, andererseits ist das Engagement beachtenswert und die Wut nachvollziehbar … Eine der Forderungen auf der Website lautet: "Stoppt den Mord an den Armen!" Es wirkt oft so, als sei Armut im Leben der Wohlstandsgesellschaft gar nicht mehr präsent. Muss die Gesellschaft nicht nur in der Energiepolitik umdenken, sondern insgesamt?
Volker Quaschning: Ja. Es ist unbegreiflich, dass in einer so reichen Welt hunderte Millionen Menschen hungern. Doch davor lassen sich offenbar gut die Augen verschließen. Wir müssen unsere Gesellschaft mehr mit den Folgen unseres Handelns konfrontieren, um hier etwas zu verändern.
"Die Wohnungen reichen hinten und vorn nicht"
Das Thema Wohnungsnot ist nach wie vor drängender denn kaum zuvor, wie nun bekannt wurde, ging der Wohnungsbau in vielen Bundesländern stark zurück, auch bei Sozialwohnungen. In Ihrem Buch führten Sie dazu schon Ideen aus. Wenn Sie einen Sofortplan für ökologischen und(!) sozialen Wohnungsbau zu verantworten hätten, was müsste da drinstehen?
Volker Quaschning: Die Wohnfläche in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Die Bevölkerung ist hingegen kaum gewachsen. Trotzdem reichen die Wohnungen hinten und vorn nicht. Unser Problem ist: Wir können offenbar nicht so schnell bauen, wie unser Wohlstand wächst. Hier müssen wir völlig neu denken. Wir brauchen mehr Sozialwohnungen als aber auch deutlich höhere Abgaben für Luxuswohnungen und natürlich verpflichtende ökologische Standards für alle Bauvorhaben.
Es gehört zu den Absurditäten des Kapitalismus, dass fast alle Fischer Raum Hamburg Krabben per LKW nach Marokko transportieren zur Weiterverarbeitung, aus Kostengründen, um die Ware danach zum Verkauf wieder an die deutsche Küste zu bringen. Mal ehrlich: Wenn eine globale Wirtschaft derart absurd funktioniert, ist da nicht jede Hoffnung verloren für eine vernünftige und bedürfnisorientierte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung?
Volker Quaschning: Na ja. Gerade brechen ja zahlreiche Lieferketten zusammen und wir erkennen die Schattenseiten dieser fatalen Entwicklungen. Die Energiepreise sind enorm gestiegen und damit auch die Transportkosten. Ich habe durchaus Hoffnung, dass sich dadurch zumindest in einigen Punkten einiges zum Besseren verändert.
Apropos Logistik und globale Spedition: US-Präsident Joe Biden bezeichnete jüngst in seiner "Rede an die Nation" deutsche Reeder aus dem Raum Hamburg wörtlich als "organisierte Kriminelle", da diese seit der Pandemie ihre Gewinne in unglaublichem Maße gesteigert haben, letztlich über die Endverbraucher. Verschiedene US-Strafverfolgungsbehörden ermitteln.
Das ist ein Vorgang, der in Deutschland kaum beachtet wird. Nun hat auch eine deutsche Staatsanwaltschaft große deutsche Reedereien ins Visier genommen, auch die Chefin des deutschen Reeder-Verbandes persönlich, weil unerlaubt Schiffe in Indien unter barbarischen Arbeitsbedingungen abgewrackt wurden. Muss die globale Logistik ganz neu gedacht werden angesichts solcher Umtriebe – wirtschaftlich und ökologisch?
Volker Quaschning: Nicht nur die Logistik. Große Teile unserer Wirtschaft basieren auf der Ausbeutung der Menschen im Globalen Süden. Kinderarbeit für Kakaoherstellung, fatale Arbeitsbedingungen bei der Produktion von Billigmode oder Millionen Kinder mit Bleivergiftung, weil wir unsere Autobatterien lieber billig außerhalb Deutschlands entsorgen. Wir müssen endlich aufhören, vor diesen Problemen die Augen zu verschließen und Unternehmen dürfen nicht länger von solchen fatalen Zuständen profitieren.