"Grünasketische Verdrängungs- und Verbotskultur"
Seite 2: "Nutzlose Arbeit muss vermieden werden"
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Tut mir leid, aber nach meinen Büchern handelt es sich bei Adorno um eine Art negativen Geschichtsmetaphysiker, allerdings mit Humor. Wie können Sie sich in Bezug auf den Hedonismus auf Adorno stützen?
Michael Hirsch: Auf das Thema mit der Überwindung der Arbeitsgesellschaft kam ich tatsächlich über Adorno, weil mir aufgefallen ist, dass bei Adorno wie bei Marx das einzig Konkrete die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung darstellt. Alles andere, wie etwa die Eigentumsverhältnisse, der gesellschaftliche Verblendungszusammenhang, die Rechtsstrukturen etcetera wird ja sofort sehr dialektisch und kompliziert. Aber auf der Ebene der konkreten Utopie ist die Forderung nach weniger, beziehungsweise Abschaffung der Lohnarbeit gut nachbuchstabierbar.
Die Gewalt der Formierung der Existenzen und die Zerstörung gesellschaftlicher Verhältnisse durch den Zwang der Lohnarbeit gilt es abzuschaffen und fast schon im Sinne einer tarifpolitischen Forderung für den 7-, oder 6- oder 5-Stundentag zu kämpfen. Analog zur Steigerung der Produktivkräfte muss nutzlose Arbeit vermieden werden. Adorno ist natürlich ein Negativist, aber die Forderung nach Verkürzung der Arbeit verlieh ihm immer eine recht simple, konkrete und utopische Note.
"Die Gesellschaft hat sich immer mehr totalitär verhärtet"
Aber im Spiegel-Interview mit Max Horkheimer nach Adornos Tod sprach dieser von seiner Theorie als Versuch, eine negative Theologie zu schaffen und auch bei Adorno gibt es mannigfach Bezüge und Hinweise auf das "ganz Andere", was ein sehr theologisch aufgeladener Begriff ist. Wie bekommen Sie das mit der konkreten Utopie zusammen?
Michael Hirsch: Ich denke schon, dass das in einem extremen Spannungsverhältnis steht. Ich bekomme es insofern zusammen, als ich sagen würde, dass Adorno im Sinne Gramscis Zweckpessimist war: Optimismus des Willens und Pessimismus des Intellekts. Seine ganze Übersteigerung der Theorie hat es etwas mit Zweckpessimismus zu tun. Außerdem leben wir eigentlich jetzt erst in den Verhältnissen, die Adorno damals fälschlicherweise meinte, analytisch an der damaligen Gesellschaft festzustellen. Die Form von Verblendungszusammenhang, den Adorno zu beschreiben meinte, gab es zu seiner Zeit eigentlich noch gar nicht in diesem Maße. Das ist erst jetzt eingetreten und zwar deswegen, weil man die emanzipatorische Möglichkeiten, die sich seit in der Ära Brandt zeigten, nicht genutzt hat.
Dadurch hat sich die Gesellschaft immer mehr totalitär verhärtet und ist erst jetzt zu diesem verselbständigten Zusammenhang geworden, den Adorno für seine damaligen Verhältnisse behauptet hat. Die Figur der Übertreibung besitzt also bei Adorno einen zweckpessimistischen, heuristischen Sinn. Adornos Theorie des Spätkapitalismus hat die Zukunft, also unsere Gegenwart beschrieben. Insofern kann man das zusammen denken: Neben dem negativistischen Passagen gibt es welche, wo sich Adorno sich fragt, wofür man kämpfen könnte oder was sinnvolle Forderungen wären, mit denen es möglich wäre, größere, in sich heterogene Gruppen zusammenzubringen.
"Wir leben in einem Anachronismus"
Tatsächlich hat Adorno mit seiner Theorie über den Jazz etwas beschrieben, was es erst empirisch seit dem Acid Jazz und jetzt dem Electronic Swing gibt...
Michael Hirsch: Der interessante Punkt in Bezug auf solche Hypertheorien, die sehr stark als kritische Negation funktionieren, ist der, dass sie eigentlich etwas in der Zukunft abwenden wollen, was sie in der Gegenwart denunzieren. Sie funktionieren wie eine Beschwörung: Sie wollen gegen die überwältigende Wahrscheinlichkeit der Verschlechterung der Verhältnisse anschreiben und behaupten insofern einen hömeopatischen Optimismus, für den es empirisch keine guten Gründe gibt. Das ist einesteils das eigentlich Theologische daran, anderenteils gibt es heutzutage sehr gute Indizien dafür, dass sich diese Form von Verhärtung und Verschlimmerung in der Gesellschaft real geworden ist, und dass das Ganze mittlerweile neodarwinistische Züge angenommen hat.
Daraus folgt aber bei Adorno und anderen nicht, dass sie das Kind mit dem Bade ausschütten und proklamieren, dass alle gesellschaftlichen Sprengversuche sinnlos sind. Denn wie gesagt leben wir in einem Anachronismus und in einem Bann, aus dem man nach Adorno jederzeit auch austreten könnte. Wir könnten bei diesem Fortschritt der Produktivkräfte auf viel höherem und emanzipierteren Niveau leben als wir es tatsächlich tun. Aber wir sind gebannt, verhext, nicht nur weil die Mächtigen herrschen, sondern auch weil wir selbst die Chancen, die wir haben, nicht nutzen, was auch mit der mangelnden intellektuellen Kraft zu hat.
"Der Mensch ist kein Mittel zum Zweck"
Nun gibt es ja auch eine Interpretation der Frankfurter Schule, in welcher der Vernunftkritiker und Anti-Totalitätsdenker ("Das Ganze ist das Unwahre") Adorno, der in der Tradition von Nietzsche bereits dem begrifflichen Denken eine repressive, da die Gegenständlichkeit vergewaltigende Eigenart unterstellt hat, als Vorläufer der Postmoderne gesehen wird. Halten Sie diese Auslegung für evident?
Michael Hirsch: Nein und zwar weil ich glaube, dass Adornos Projekt in sich selbst widersprüchlich und dialektisch ist. Die Vernunftkritik ist in sich gespalten: Es existiert auf der einen Seite eine Vernunftkritik an der modernen Gesellschaft als einer verselbständigten, die vermeintlich vernünftig ist, aber tatsächlich einem wahnsinnig gewordenen Realitätsprinzip unterworfen ist. Obwohl unsere Verhältnisse aus menschlichen Handlungen resultieren, sind sie die Menschen nicht Herr ihrer Lage.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich diejenige Vernunft, an die sämtliche moderne emanzipierte denkerische Modelle appellieren, nämlich die des demokratischen, klassisch republikanischen Rechtsstaats, eines Gemeinwesens, welches in freier Vereinbarung sich selbst die Regeln gibt. Diese Idee von demokratischer Souveränität kommt ohne Vernunft nicht aus. Diese Art von Vernunft wird aber wiederum gewissermaßen gegen die sozialen Tatsachen normativ behauptet.
Das ist überhaupt die Eigenart aller vernunftrechtlich argumentierender Positionen seit Kant: Man behauptet ja nicht, der Mensch sei gut, sondern versucht Axiome und Kriterien zu ergründen, aus denen wir vernünftige Verfahren der Entscheidungsfindung entwickeln können. Adorno möchte hier also die Vernunft retten.
Die andere Seite, das Hedonistische, das Freie, kommt hingegen in seinem ästhetischen Denken zu tragen: Dieser Bereich soll ja gerade nicht vernünftig geregelt werden, sondern nur die äußeren gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Ökonomien. Alles was mit unseren ethischen, ästhetischen und feinsinnigen Strömungen als Menschen zu tun hat, alle Sinnenpotentiale sollen nicht verrechtlicht und kollektiv geregelt werden, sondern idiosynkratisch dem Einzelnen überlassen bleiben.
Deshalb ist bei Adorno der Bereich des Ästhetischen, des Funktionslosen, etwas das in sich selbst seine eigene Berechtigung hat, so wichtig. Hier gilt das Primat des Besonderen: Der Mensch ist kein Mittel zum Zweck, auch nicht zum Aufbau einer höheren Form von Gesellschaft, sondern ein radikaler, irreduzibler Selbstwert.
Man hat also hier zwei Ebenen: Zum einen eine Ethik des Besonderen, den irreduziblen Wert des Einzelnen und auf der anderen Seite eine eher kollektiv-demokratische grundrechtliche, soziale Doktrin, die versucht, gesellschaftliche Verhältnisse zu bändigen.
Können Sie mir, Sie haben ja schon den Bereich des Ästhetischen angesprochen, ein Kunstwerk nennen, das in eine solche Richtung tendiert?
Michael Hirsch: In der Literatur sind es Beckett und Kafka, bei denen der sehr hermetische Modernismus, die Verweigerung des Einzelnen gegenüber allem Gesellschaftlichen gut herausgearbeitet ist. Es sind klassisch modernistische Autoren, die den Einzelnen als bedroht durch eine überwältigendes und einschüchterndes, völlig irrationales Kollektiv darstellen. Sie artikulieren auch sehr stark das Leiden an der eigenen Ohnmacht. Der Wert dieser Werke ist aber weniger der politisch denunziatorische, sondern der expressive, ästhetische.
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