Grüne verlängern AKW-Laufzeiten
Nach dem Stresstest: Der grüne Bundeswirtschaftsminister Habeck will zwei Atomreaktoren im Reservebetrieb weiterfahren lassen. Scharfe Kritik kommt von Umweltschützern.
Nachdem die Grünen schon seit über zwanzig Jahren ihre Wurzeln zur Friedensbewegung durchtrennt haben und seit Beginn des Jahres ernsthafte Klimaschutzbemühungen mit Reaktivierung von Kohlekraftwerken, dem Verzicht auf Tempolimits und der Anschaffung von LNG-Terminals für Frackinggas aus den USA aufgegeben haben, nun auch nach das Ende der Grünen als Anti-Atom-Partei.
Am Montag gab Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bekannt, dass die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis Mitte April als Einsatzreserve bereitgehalten werden sollen. Neue Brennelemente würden nicht geladen.
Dafür wird eine Änderung des Atomgesetzes notwendig sein, das bisher den Betriebsschluss der letzten drei Reaktoren – neben den beiden genannten noch einer im AKW Emsland – bis spätestens 31. Dezember 2022 vorsieht.
Zur Begründung gibt der Minister die Ergebnisse eines Stresstests an, die die Übertragungsnetzbetreiber (50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW) durchgeführt haben. Der habe ergeben, dass „stundenweise krisenhafte Situationen“ im kommenden Winter „zwar sehr unwahrscheinlich sind, aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können.“
Die Risiken bestünden in einer Gemengelage aus Niedrigwasser in den Flüssen in Folge der sommerlichen Dürre, „des aktuellen Ausfalls rund der Hälfte der französischen Atomkraftwerke und der seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine insgesamt angespannten Lage auf den Energiemärkten“.
Habeck verweist ausdrücklich auf die Einbindung in das europäische Stromnetz, das berücksichtigt werden müsse, und verspricht eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen zur Absicherung der Versorgung. Namentlich werden Verbesserung der Leitungskapazitäten und die bessere Ausnutzung des Stroms aus Biogasanlagen genannt. Deren Betreiber haben bisher wenig Anreize, ihre eigentlich recht flexiblen Anlagen so zu fahren, dass sie vor allem zu Zeiten liefern, in denen der Bedarf hoch ist, Sonne und Wind aber wenig ergiebig sind.
Scharfe Kritik kommt von verschiedenen Umweltverbänden und Anti-AKW-Initiativen. In einer gemeinsamen Stellungnahme weisen das Münchner Umweltinstitut, Robin Wood, das globalisierungskritische Netzwerk Attac, der Deutsche Naturschutzring, die Organisation Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW), die Kampagnenorganisation Ausgestrahlt, die Deutsche Umwelthilfe und andere darauf hin, dass die Anlagen bereits seit über dreißig Jahren laufen. In den letzten Jahren seien die Anlagen auf Verschleiß gefahren worden. Eine eigentlich für 2019 fällige Generalrevision war, wie berichtet, wegen des baldigen Termins für die Stilllegung unterblieben.
Aus Sicherheitsgründen müssen die verbliebenen AKW eigentlich sofort vom Netz, spätestens aber Ende dieses Jahres. Selbst der Stresstest der Bundesregierung kommt zu dem Ergebnis, dass die Einsparung beim Erdgas durch einen weiteren Betrieb der AKW marginal wäre. Dies bringt in einer handfesten Energiekrise so gut wie nichts und steht in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen Risiko.
Karin Wurzbacher, Umweltinstitut
Insbesondere der letzte in Neckarwestheim noch laufende Reaktor, dem Habeck nun noch eine weitere Gnadenfrist einräumen will, sollte den verantwortlichen Politikern und Strommanagern eigentlich schlaflose Nächte bereiten. An ihm werden seit Jahren immer mehr Haarrisse an Rohren des Kühlkreislaufs festgestellt.
Anlass zur Sorge macht auch der Druck, den die französische Regierung, wie Telepolis bereits berichtete, auf den dortigen AKW-Betreiber EDF ausübt, seine AKW wieder in Betrieb zu nehmen. Auch jenseits des Rheins sind die Meiler alt und weisen inzwischen erhebliche Sicherheitsmängel auf.
Doch dort wie hier wurde der Ausbau von Sonne, Wind und Biogas in den vergangenen Jahren erheblich gedeckelt, wohl wissend, dass Ersatz nötig ist und die Versorgung gefährdet sein könnte. Bei Biogasanlagen könnte es sogar schon bald einen Rückgang der Kapazitäten geben.
Immerhin scheint in diesem Jahr der Ausbau der erneuerbaren Energieträger langsam wieder in Schwung zu kommen, wenn auch der Windkraft-Zubau noch weit von den bisherigen Rekordjahren und noch weiter von den Zielvorgaben der Ampel-Koalition entfernt ist.
Der Fachinformationsdienst IWR aus Münster schätzt, dass 2022 Solaranlagen mit einer Leistung von insgesamt acht Gigawatt (GW) ans Netz gehen werden. Bei der Windenergie werden zwei GW erwartet.
Für den Sonnenstrom würde damit erstmals wieder das Niveau des bisherigen Rekordjahres 2012 erreicht, in dem die damalige Koalition aus Unionsparteien und FDP die Solarenergie parallel zum Atomausstiegsbeschluss abwürgte.