Grüne warnen vor Unterzeichnung des Cybercrime-Abkommens
In einem Schreiben an die Bundesjustizministerin weist die Fraktion darauf hin, dass pauschale Überwachungsbefugnisse den Terror nicht verhindern können
Während zahlreiche Politiker in den USA und in Deutschland seit vergangener Woche Einschränkungen der Grundrechte mit dem Argument der""inneren Sicherheit" fordern, macht die Fraktion Bündnis90/Die Grünen gegen Panikreaktionen und eine Ausweitung der Abhörbefugnisse der Ermittler mobil. Ein Dorn ist den Grünen vor allem die anstehende Unterzeichnung des Cybercrime-Abkommens des Europarats im Auge. Sie dringen auf Nachbesserungen beim Datenschutz.
In einem offenen Brief bitten Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin, sowie der Rechtsexperte der Grünen, Volker Beck, Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, die heftig umstrittene Konvention gegen Computerverbrechen "in Ihrer bisherigen Form nicht vorschnell zu unterzeichnen". Der Vorstoß ist erstaunlich, da das vom Europarat in Kooperation mit den Strafverfolgern in mehrjähriger Arbeit erstellte und im Juni vom Lenkungsausschuss für "gut" befundene Vertragsdokument (Cybercrime-Abkommen passiert eine der letzten Hürden) gerade nach den massiven Terroranschlägen vom vergangenen Dienstag von vielen Beobachtern als Instrumentarium zur Förderung der inneren Sicherheit begrüßt wird.
"Nach den Terroranschlägen in den USA sind auch in Deutschland Vorschläge zur Lockerung des Datenschutzes gemacht worden. Insbesondere das Internet ist als globales und nahezu unkontrollierbares Kommunikationsmittel in den Blickpunkt geraten - der Ruf nach Verschlüsselungsverboten und der Installation von Überwachungsprogrammen wird immer lauter.
Doch gerade die bisher bekannten Erkenntnisse über die konspirative Zusammenarbeit der mutmaßlichen Attentäter haben unserer Meinung nach gezeigt, dass die millionenschweren Investitionen der amerikanischen Geheimdienste in Überwachungstechnik keine relevanten Ergebnisse über diese Terrorgruppen gebracht haben. Vielmehr hat sich gezeigt, dass es zur Verhinderung von Straftaten viel effektiver ist, in menschliche Intelligenz zur Infiltration dieser Gruppen zu investieren." (Pressemitteilung zum Terror in den USA)
Geht es nach dem Willen des Staatenbunds, sollen die 43 Mitgliedsstaaten und assoziierte Nationen bald die Ermittler mit erweiterten Befugnissen zum Abhören des Netzverkehrs sowie zum grenzenlosen Datenaustausch ermächtigen. Den Autoren des Schreibens an die Justizministerin zufolge haben die jüngsten Ereignisse in den USA allerdings gezeigt, dass "Überwachungstechnik allein und pauschale Überwachungsbefugnisse nicht zu befriedigen Ergebnissen in Sachen Strafverfolgung führen." Eine sorgfältige Überprüfung der Cybercrime-Konvention sei daher "dringender geboten denn je". Datenschützer warnen seit langem, dass das Papier gegen bestehende Menschenrechtsverträge verstößt und zahlreiche Designfehler aufweist (Fette Bugs im Cybercrime-Abkommen).
Auch die Grünen haben ihre Bedenken nun in einem Beschluss zusammengefasst, den sie dem Schreiben an die Ministerin beigelegt haben. Darin kritisieren sie das vom Europarat vorgesehene Verbot von "Hackertools" als "rechtsstaatlich höchst unbestimmt und auch sachlich problematisch". Da Programme, die der Überprüfung der Computersicherheit dienen, häufig auch für Angriffe benutzt werden können, würde die Regelung möglicherweise dazu führen, dass notwendige Sicherheitsüberprüfungen von Computern und Netzen unterbleiben.
Kritisch sieht die Fraktion ferner "die vorgesehene Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Harmonisierung ihres Strafprozessrechts mit dem Ziel, die Gewinnung und Sicherung von Beweismitteln zu erleichtern". Die Konvention enthält unter anderem Vorgaben zur vorsorglichen Speicherung von Bestands-, Verbindungs- und Nutzungsdaten sowie zur Einrichtung von Schnittstellen zur Überwachung von Kommunikationsinhalten. Dabei sei nicht deutlich, unter welchen Voraussetzungen und für welchen Zeitraum die Daten auf Vorrat vorgehalten werden sollen. Dass Provider Abhörboxen installieren und den Ermittlern jederzeit zugänglich machen sollen, berge zudem "erhebliche zusätzliche Sicherheitsrisiken".
Des weiteren bemängelt die Fraktion Bestimmungen zum permanenten grenzüberschreitenden Zugriff von Ermittlungsbehörden auf Computerdaten. Sie ließen befürchten, dass hiermit "erneut die Frage nach der Zulässigkeit von beziehungsweise des Zugriffs auf verschlüsselte Kommunikation aufgeworfen wird". Die Grünen befürchten zudem, dass auf Grund der Umsetzung der vertraglichen Bestimmungen in nationales Recht personenbezogene Daten von Internetnutzern auch in Länder übermittelt werden müssen, in denen kein angemessenes Niveau des Datenschutzes gewährleistet ist und in denen "keine hinreichenden verfahrensmäßigen Garantien" bei Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis bestehen.
Die Fraktion drängt die Bundesregierung angesichts der aufgeführten Mängel, sich in den in den nächsten Wochen anstehenden Verhandlungen vor allem für eine Streichung der Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung von Daten sowie zur Bindung von Übermittlungen in andere Länder an verfassungsrechtliche - insbesondere datenschutzrechtliche - Garantien einzusetzen.
Ganz allein sind die Grünen mit ihren Forderungen nicht. Auch Jörg Tauss, Netzexperte der SPD, will seiner Parteifreundin Herta Däubler-Gmelin nahe legen, die Unterzeichnung der Cybercrime Convention "im Lichte der jüngsten Ereignisse noch einmal zu überlegen". Wie sich herausgestellt habe, sei nun klassische Ermittlungsarbeit gefragt und nicht mehr Telekommunikations-Überwachung.