Günstiger Nahverkehr allein bringt Autos nicht zum Stehen
Das Neun-Euro-Ticket lockte mehr Menschen in Busse und Bahnen. Der Autoverkehr ging jedoch kaum zurück. Warum das günstige Angebot die Erwartungen nicht erfüllte?
Von Juni bis August 2022 führte die Bundesregierung das Neun-Euro-Ticket ein. Es galt vielen als soziale Wohltat, weil es auch ärmeren Menschen ein Stück Mobilität ermöglicht. Große Hoffnungen wurden auch darauf gesetzt, dass es einen Beitrag zum Klimaschutz leisten könnte, indem es Verkehr von der Straße auf die Schiene oder den Bus verlagert.
Neun-Euro-Ticket: Sozialer Ansatz mit begrenztem Klimaeffekt
Eine Studie des Münchner ifo-Instituts in Zusammenarbeit mit den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Salzburg zeigt nun aber, dass diese Verkehrsverlagerung weitgehend ausgeblieben ist. Insgesamt ging der Autoverkehr um vier bis fünf Prozent zurück. Vor allem Pendler im Berufsverkehr ließen ihr Auto kaum stehen.
Doch selbst der geringe Rückgang könnte noch überschätzt sein. Denn für die Studie wurden Mobilitätsdaten von Handynutzern ausgewertet. Dabei wurden allerdings nur Fahrten ab einer Entfernung von 30 Kilometern berücksichtigt.
Öffentlicher Nahverkehr: Mehr Nutzung, mehr Verspätungen
Weitere Daten stammen von verschiedenen Verkehrszählstellen in Deutschland, die Auskunft über den Berufsverkehr geben können. Diese Zählstellen registrierten lediglich einen Rückgang des Autoverkehrs um ein Prozent.
Die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs hat durch das Ticket deutlich zugenommen. Täglich fuhren fast 430.000 Menschen mehr mit der Bahn als vorher. Die höhere Auslastung führte aber auch zu 30 Prozent mehr Verspätungen, insbesondere im Regionalverkehr.
Erfahrungen aus anderen Städten: Kostenloser ÖPNV allein reicht nicht
Die Ergebnisse decken sich weitgehend mit den Erfahrungen aus Städten, die bereits einen kostenlosen ÖPNV eingeführt haben. In der estnischen Hauptstadt Tallinn stieg die Nutzung des ÖPNV nach Einführung des Gratis-Tickets um rund 30 Prozent. Der Autoverkehr nahm dagegen nur geringfügig ab. Ähnliche Effekte zeigten sich in deutschen Städten wie Templin und Lübben.
Die Erfahrungen der Städte zeigen aber auch: Allein die Einführung eines kostenlosen ÖPNV führt nicht zu einer Verlagerung des Verkehrs vom Auto auf Bus und Bahn. Vielmehr werden vor allem Fußgänger und Radfahrer zur Nutzung des ÖPNV animiert, was den Klimaeffekt verschlechtern dürfte.
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Um die Menschen dazu zu bewegen, das Auto stehenzulassen, sind flankierende Maßnahmen notwendig, die von den Kommunen relativ einfach umgesetzt werden können, wie z. B. weniger Parkplätze und mehr verkehrsberuhigte Zonen.
Fehlende flankierende Maßnahmen beim Neun-Euro-Ticket
Das Neun-Euro-Ticket wurde jedoch ohne flankierende Maßnahmen eingeführt. Stattdessen senkte die Bundesregierung die Steuern auf Kraftstoffe, sodass Autofahren billiger wurde und ein Lenkungseffekt, wenn er denn überhaupt gewollt war, ausblieb.
Und so wie in den Städten mit dem kostenlosen ÖPNV auch Zielgruppen angesprochen wurden, die man gar nicht erreichen wollte, führte das Neun-Euro-Ticket – aus Sicht des Klimaschutzes – zu mehr unerwünschten Fahrten.
Freizeit-Effekt: Mehr Zugfahrten an Wochenenden
In der Zeit, in der es das Ticket gab, lag die Zahl der Bahnfahrten um rund 34 Prozent höher, als in den Monaten Juni bis August normalerweise zu erwarten gewesen wäre, heißt es in der Studie. Nach Ablauf des Tickets sank die Zahl wieder auf das normale Niveau.
Es zeigt sich zudem, dass Zugfahrten verstärkt an Wochenenden zunahmen. Darüber hinaus legen die Ergebnisse nahe, dass eine beträchtliche Anzahl von Personen das 9-Euro- Ticket für zusätzliche, freizeitinduzierte Zugreisen nutzte.
Herausforderungen für Kommunen und Verkehrsbetriebe
Der öffentliche Verkehr war dem Ansturm auf das Ticket nicht gewachsen. Überfüllte und verspätete Züge waren an der Tagesordnung. Und die Infrastruktur der Städte wurde erheblich belastet.
Die Kommunen warnten vor erheblichen Einnahmeverlusten ihrer Verkehrsbetriebe, die von Bund und Ländern nicht vollständig aufgefangen wurden. Um die Qualität des ÖPNV zu sichern, hätten zudem mehr Busse und Bahnen angeschafft werden müssen, wofür den Kommunen aber das Geld fehlte.
Und das ist auch der Grund, warum in der Vergangenheit viele Kommunen ihre Angebote für einen kostenlosen ÖPNV wieder abgeschafft haben. So musste etwa in Templin und Lübben der Gratis-ÖPNV nach einigen Jahren wieder aus Kostengründen abgeschafft wurden.