Bahnstreiks: Weihnachten 2023 wird ein Totalausfall und eine sehr stille Nacht?

Bild: Dagmara Dombrovska / Unsplash

Ein paar wichtige atmosphärische Informationen zum Thema Bahn. Sind Psychoanalytiker vonnöten?, fragt sich unser Autor.

Der erste Schnee ist gefallen und nun kommt Weihnachten in Sicht. Zeit für Weihnachtsthemen! Denn alle Jahre wieder denkt man bei der Bahn darüber nach, an Weihnachten zu streiken.

Für die ohnehin auch ohne einen Streik schon reichlich vorhandenen Wartezeiten an deutschen Gleisen, hier ein paar atmosphärische Informationen zum Thema Bahn.

Am 7. Dezember 1835 hieß es: "Macht hoch die Tür" für die erste deutsche Eisenbahn. Der "Adler" fuhr mit 200 Ehrengästen in neun Minuten von Nürnberg nach Fürth. Bereits am Folgetag wurde der reguläre Betrieb aufgenommen. Aber es wurde vor neurologischen Folgen der Fahrt ab 30 km/h gewarnt.

Die Fahrt war tatsächlich insofern wirklich gefährlich, als die schlechte Federung der Waggons bei nicht wenigen Passagieren zu sogenannten "Eisenbahnrücken" führte.

Im Großherzogtum Toskana waren die Bedenken der Landbevölkerung gegen die Eisenbahn sogar so groß, dass der Bischof von Fiesole 1854 einen Hirtenbrief veröffentlichte und expressis verbis darauf hinwies, dass der Dampf der Eisenbahnen nicht für die grassierende Erkrankung der Weinreben verantwortlich sei.

Dass die Eisenbahn ein Fortschritt für die Wirtschaft werden würde, war damals noch nicht ersichtlich. Aber sie wurde immer mehr zum Motor der Industriellen Revolution – und damit für lange Zeit auch der Klimaerwärmung.

Gottseidank fährt die Bahn mittlerweile mit grünem Strom und der ÖPNV gilt als Segen für Menschheit und Klimasystem. Das Thema Feinstaubbelastung durch den Schienenpersonennahverkehr wollen wir so kurz vor Weihnachten außen vor lassen.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden vielen Millionen Taler in den Ausbau eines deutschlandweiten Schienennetzes investiert. Die Pioniere des Ausbaus waren erst privatwirtschaftliche Unternehmen, wie zum Beispiel in Nürnberg die königlich privilegierte Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft (auch wenn sie 1922 inflationsbedingt ihren Dienst einstellte).

1844 wurden die königlich-bayerischen Staatseisenbahnen gegründet. In Baden und Württemberg gab es Staatseisenbahnen schon seit 1840 bzw. seit 1843.

DB-Sahel-Zonen

Bis heute ist der ÖPNV grundsätzliche Ländersache. Aber nicht nur dort im Süden, sondern überall in Deutschland stößt man auf infrastrukturelle DB-Sahel-Zonen mit maroden Schienen. Der mehrgleisige Ausbau von Strecken stockt überall gern bereits im Planfeststellungsverfahren aufgrund der Klagen von Anliegern und Umweltverbänden.

Die "schmutzigste" Bahnstrecke Deutschlands ist die Sachsen-Franken-Magistrale, die Eisenbahnachse zwischen Dresden und Nürnberg, wo zwischen Nürnberg und Hof noch Dieselfahrzeuge zum Einsatz kommen.

Eine durchgehende Elektrifizierung der Strecke ist angedacht, aber ob daraus etwas wird, wird die Zukunft zeigen. Immerhin soll das Bundesverkehrsministerium bis März 2024 eine Neuberechnung der Wirtschaftlichkeit dafür durchführen, aber das wird sicher teurer als die halbe Bahn.

Solche Kalkulationen sind nie einfach, wie zum Beispiel das von der Bundesregierung Mai 2023 forcierte Deutschlandticket für 49 Euro im Monat. Der Bund gleicht den Verkehrsunternehmen die entstehenden Tarifmindereinnahmen für 2023 in voller Höhe aus.

Was daraus 2024 wird, ist noch offen, einschließlich des Preises für das Ticket. Es wird gemunkelt, dass ein nicht unbedeutender Anteil der Fahrten ohne das Deutschlandticket gar nicht in Verkehrsleistungen umgesetzt worden wäre, besonders bei bedarfsorientierten Bedienformen wie Rufbussen.

Wenn das stimmt, wurde also eine Nachfrage ohne eigentlichen Bedarf geschaffen – was auch wieder schlecht für das Klima ist. Die völlig überfüllten Züge sprechen Bände.

Infrastrukturmaßnahmen wie ein Streckenausbau oder eine Ausweitung der Fahrzeug-Größen wäre da effektiver gewesen. So etwas wird zwar beim jetzigen Streik dieser Tage zugesagt, aber wäre das rein technisch überhaupt machbar? Angeblich schwierig, meldet der Flurfunk.

Wo sind die Hauspsychologen?

Von manchen Organisatoren "wird verlangt, daß(!) er etwas, was ungezügelt gewachsen ist, nachträglich in Ordnung einfängt – und das noch in Quantitäten, die in der Geschichte bisher unbekannt waren", so brachte es der Schriftsteller, Arzt und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908-1982) in "Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung um Unfrieden" auf den Punkt.

Für die armen Verkehrsplaner der ÖPNV ist das nämlich genau so. Nicht nur sie, sondern auch die Deutsche Bahn AG benötigt inzwischen eigentlich Psychoanalytiker in hoher Stückzahl – was daran scheitert, dass so in so viele Teilgesellschaften zersplittert ist, dass Zuständigkeiten auf Kommunen abgewälzt werden. Die haben grundsätzlich keine Hauspsychologen, und an der Stelle fährt der Zug auf sich selbst auf. Wham!

"Oh, Tannenbaum"

In der Weihnachtszeit 2023 wird es den Bahnkunden beim "Driving Home für Christmas" lieber sein, wenn der gute alte "Adler" wieder fahren würde. Denn er fuhr wenigstens. Aber mit der Deutschen Bahn wird Weihnachten 2023 wohl ein Totalausfall und es eine sehr stille Nacht werden.

Es drohen massive Streiks der GDL, der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. So, quo vadis, Verkehrswende?

Durch die ausfallenden Züge werden erhebliche CO2 Emissionen verursacht werden, weil zum Ausgleich verstärkt der motorisierte Individualverkehr zum Einsatz kommen wird. Das ist volkswirtschaftlich und für unsere Wälder die lustigste, weil klimapolitisch fast schlechteste aller möglichen Lösungen.

"Oh, Tannenbaum!" Aber schlimmer geht immer. Es könnte alles noch viel suboptimaler kommen – muss es aber nicht.

Wie in einem Roman von Charles Dickens

Wenn wir alle unserer klimapolitischen Verantwortung Rechnung tragen und der guten alten Bahn die Treue halten, trotz und gerade wegen der Widrigkeiten, die damit verbunden sind und es auch im Neuen Jahr weiter sein werden.

Wie schön ist doch schon allein, dass die Bahn uns gesagt hat, dass sie nun wahrscheinlich an Weihnachten wieder streiken werden. Das ist so weihnachtlich und lieb wie in einem Roman von Charles Dickens. Wäre einem nämlich sonst gar nicht aufgefallen. Wenn man wartet und an den Gleisen steht.

Mit Blick auf diese stillen Momente und gerade in der Weihnachtszeit hier ein Song: Sheena Easton - My Baby Takes The Morning Train. Für alle, die nach Weihnachten noch dastehen, noch ein zweiter: Jamiroquai - Travelling Without Moving.