Gute Presse, schlechte Presse

Seite 2: Eine sich verselbständigende Dynamik

Geht man dem beigefügten Link in der Mailantwort der MABB nach, dann erhält man ein vierseitiges Merkblatt, herausgegeben von Dr. Wolfgang Kreißig, dem Vorsitzenden der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), am 23. April 2021. Die aufgeführten Punkte - grafisch gestaltet wie für Schüler - gelten allgemein, werden jedoch hier gesondert für Online-Medien aufgeführt. Und auf Seite zwei ganz unten heißt es:

Zusammengefasst: Erfasst sind also zwei Arten journalistisch-redaktionell gestalteter Telemedienangebote. Solche, die insbesondere Inhalte klassischer Presse wiedergeben und solche, in denen regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen enthalten sind - wenn diese geschäftsmäßig angeboten werden. Keine Nachrichten sind Aussagen und Meinungen, die als solche transparent gemacht sind und erkennbar nicht darauf gerichtet sind, den Nutzer zu informieren.

Die bei KenFM, dem Webauftritt des ehemaligen und in Ungnade gefallenen rbb-Moderators Ken Jebsen, abgemahnten Beiträge sind ausnahmslos Meinungsbeiträge und unterliegen demnach eigentlich nicht der Aufsicht, wie aus den verlinkten Anwaltsschreiben auf dem Portal kenfm.de nachzulesen ist. Dennoch hat man Belege beigebracht, diese wurden jedoch nicht anerkannt und Jebsen nun neuerdings vorgeladen, um zur fehlenden Sorgfalt Auskunft zu geben.

Man muss Jebsens Einlassungen zur Corona-Krise nicht teilen, um die Brisanz der Möglichkeiten durch die Funktionsverschränkung zu erkennen: wenn Staatsanwaltschaft und Richteramt in einer Institution gebündelt werden. Wie sich das neue Gebaren dann noch auf den sonst üblichen und vielfach verteidigten Quellenschutz für Zuträger heikler Informationen an Journalisten – also Whistleblower – auswirken könnte, wurde m.E. bisher noch in keiner Berichterstattung erörtert.

Die kritisierten Beiträge bei KenFM thematisieren ausnahmslos die Corona-Politik, was auch auf die abgemahnten Beiträge des Blauen Boten durch die Landesmedienanstalt Baden-Württemberg zutrifft. Auf Telepolis-Nachfrage, ob sich alle Abmahnungen ausschließlich auf die Covid-19-Pandemie beziehen, erteilte die MABB keine Auskunft.

So notwendig Qualitätskontrolle im Internet auch ist, hier könnten Konstruktionsfehler in der Aufsicht erste Hinweise auf weitere Eingriffsmöglichkeiten von staatlicher Seite geben - etwas, dass das Bundesverfassungsgericht mit seinen die Staatsferne anmahnenden Urteilen zu Medienfragen immer besonders kritisch beäugt hat. Die Leiter der Landesmedienanstalt NRW und Berlin-Brandenburg, Tobias Schmid und Eva Flecken, äußern sich im Evangelischen Pressedienst am 7. Mai 2021 folgendermaßen zur Problematik:

Zunächst einmal gilt, dass sich die Landesmedienanstalten weder als Wahrheitspolizisten noch als Geschmacksdompteure verstehen. Unser gesetzlicher Auftrag ist nicht, die Wahrheit der Veröffentlichungen zu überprüfen, sondern das publizistische Handwerk. Weder müssen journalistisch-redaktionelle Angebote ausgewogen sein, noch untersuchen wir, ob die Darstellungen inhaltlich richtig oder falsch sind. Vielmehr geht es um die Art und Weise, wie journalistisch Publizierende arbeiten: Haben sie Herkunft und Quellen geprüft, Tatsachen nicht aus dem Zusammenhang gerissen, Umfragen auf ihre repräsentative Natur geprüft? Diese Fragen zeigen, dass es im Kern um Transparenz für die Nutzerinnen und Nutzer geht. Haben die Nutzenden eine Chance zu erkennen, um was für ein Angebot, was für einen Inhalt es sich handelt und vor welchem Hintergrund die Nachricht entstand?

Inwiefern das umgesetzt wurde, mag man selbst kritisch prüfen und wäre vor allem allen Journalisten empfohlen. Während sich anscheinend einige politisch Kurzsichtige über die Abmahnungen freuen, akzeptieren sie eine wichtige Prämisse, die immer schon der Anfang vom Ende der Medienfreiheit war: Die Einteilung in gute und böse Journalisten, in richtigen und falschen Journalismus, in Journalismus vs. Blogger-Aktivismus usw. Wenn diese Kategorisierung einmal akzeptiert ist, könnte man sich eines Tages durch eine unliebsame Recherche plötzlich auf der anderen Seite wiederfinden. Paragraph 19, Ziffer 8 MStV hält da Möglichkeiten offen.

"Eine Zensur findet nicht statt"

Erinnert sei an das im Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1 verbriefte Grundrecht:

Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Aber nicht nur die mit der Regulierung beauftragten Landesmedienanstalten, die nun also erstmalig für den privaten Rundfunk und die digitalen Medien – also auch für die Konkurrenz der eigenen Auftraggeber – zuständig sind, bedrängen bestimmte, nach ungeklärten Kriterien ausgewählte Online-Portale.

Auch die großen Internetgiganten, allen voran Google, tragen dazu bei. Dabei ist interessant, warum Google auf seinem Youtube-Kanal einen reichweitenstarken Player wie KenFM abschaltet, der für das eigene Geschäftsmodell eigentlich von Vorteil ist - mit einer eigenen Reichweite von einst 500.000 Abonnenten, wovon immer wieder Beiträge viral gingen. Sonst profitiert man ja, denn je aufgeregter kommuniziert wird, desto mehr generieren die Plattformen Traffic und damit Werbeeinnahmen.

Gerade Google verdient eine eigene Betrachtung. Schließlich ist mindestens aus dem Film The Cleaners bekannt, dass der Internetgigant mit repressiven Staaten - wie beispielsweise der Türkei - Deals abschließt und Zensur akzeptiert, um im Land nicht ganz gesperrt zu werden. So finden sich in der Google-Suchmaschine der Türkei vorrangig nicht kritische Beiträge über Staatspräsident Erdogan. Die "Cleaners", also die Content-Moderatoren, erhalten entsprechende Löschanweisungen. Es müssen aber nicht zwingend staatliche Institutionen sein, die auf B2B-Ebene mit dem Internet-Giganten Kooperationen abschließen.

Bei den von Google/Youtube angemahnten Beiträgen von KenFM handelte es sich wiederum um das Thema Covid-19. Deshalb liegt der Verdacht nahe, dass das Vorgehen eine direkte Folge der Kooperation des Gesundheitsministeriums mit Google sein könnte - eine Kooperation, die laut Landgerichtsurteil aus München gegen kartellrechtliche Bestimmungen verstößt.

In diesem Kontext hatte die Landesmedienanstalt Schleswig-Holstein ihrer Kontrollfunktion gemäß von Google und dem Gesundheitsministerium Transparenz gefordert und darauf hingewiesen, dass algorithmisch bevorzugte Inhalte zu Covid-19 auf dieser Kooperation beruhen könnten. Dies berge die Gefahr, dass folglich die Suchergebnisse nicht garantiert dem wissenschaftlichen Sachstand in der Pandemie Rechnung trügen. Die Medienanstalt Hamburg/SH forderte, dass Google mindestens seine Algorithmen offenlegen und transparent machen müsse, wie die angezeigten Suchergebnisse zustande kommen, um diese einschätzen zu können.

Gleichzeitig wirft der Sachverhalt die Frage auf, ob die Durchschlagskraft einer Landesmedienanstalt ausreicht, wenn der juristische Weg zu einer klareren Verfügung führt.

Wie die Vorgängerin der aktuellen Leitung der MABB, Anja Zimmer, in einem Gastbeitrag der FAZ am 17. Februar 2021 ausführt, gehe es im Wesentlichen um zwei Komponenten bei der Umsetzung der Desiderate des Medienstaatsvertrags.

1. Transparenz bei den algorithmischen Empfehlungssystemen der Medienintermediäre, also der digitalen Player;

2. Transparenz im Hinblick auf den Absender.

Während betont wird, dass im Netz die gleichen Maßstäbe für Sorgfaltspflicht und Kontrolle gegen Desinformation herrschen müssten, wie in der analogen Medienwelt, wird ein Widerspruch nicht aufgelöst: Wer sich einem Selbstkontrollorgan anschließt, entgeht dem strengen Auge der Landesmedienanstalten auf Basis des §19 MStV und damit auch der Sanktionsmöglichkeit von hohen Zwangsgeldern oder gar einer Sperrung des Online-Angebots. Während sich also Springers BILD weiterhin die Verletzung der Sorgfaltspflicht oder die Untugend der Verdachtsberichterstattung aufgrund einer nicht bedrohlichen Rüge des Presserates leisten kann, geht ein entsprechendes Verfahren bei nicht regulierten Online-Medien direkt an die Existenz.

Ob es diesen gelingt, sich einem Selbstkontrollorgan anzuschließen, wäre nun ein interessantes Experiment. Als letzter Ausweg bleibt eventuell nur der Verlagerung ins Ausland, womit internationale Medienkonzerne bisher sehr erfolgreich waren beim Umgehen von Regulierungsversuchen und Steuerzahlungen.

Dass die enorme Marktmacht der IT-Goliaths reguliert werden muss, ist hingegen offensichtlich. Dass Google beispielsweise eigene Angebote bevorzugt als Suchergebnis anbietet, sorgt für eine erhebliche Schieflage im wahrnehmbaren öffentlichen Diskurs. Die Regulierungsbestrebungen könnten aber ganz banal an der Frage der Zuständigkeit scheitern. So wartet die Umsetzung einer Regulierung der großen Internetkonzerne - der "Medienintermediäre" - wie im neuen Medienstaatsvertrag gefordert, auf das "Digitale-Dienste-Gesetz" der EU-Kommission, das für eine europaweit einheitliche Regelung sorgen soll.

Ob dann künftig solche Public-Private-Partnership-Kooperationen - wie am Beispiel des Gesundheitsministeriums aufgezeigt – und wie sie auch über Correctiv und Arvato mit Facebook bestehen, nicht mehr existieren dürfen oder zumindest einer kritischen Kontrolle unterliegen, bleibt abzuwarten.

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