Gute Presse, schlechte Presse
Seite 3: Präzedenzfälle als Prüfstein für die Medien- und Meinungsfreiheit
- Gute Presse, schlechte Presse
- Eine sich verselbständigende Dynamik
- Präzedenzfälle als Prüfstein für die Medien- und Meinungsfreiheit
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Nein, man muss die Meinung Ken Jebsens nicht teilen, nicht die des Blauen Boten und schon gar nicht von Deutschland-Kurier oder Flinkfeed, um einen kritischen Blick auf das aktuelle Vorgehen der Landemedienanstalten zu richten. Sie selbst handeln intransparent bei der Auswahl der beanstandeten Webportale. Dass es bei der Corona-Berichterstattung auch wissenschaftlich fundierte Kritik gibt, belegt eine Studie der Universität Passau. Den Schweizer Medien stellt die Universität Zürich ein besseres Zeugnis aus. Dass Netzsperren allgemein aufhorchen lassen sollten, sogar im Falle Donald Trumps, erläutert ein Münchner Medienanwalt im Schweizer Online-Medium Infosperber.
So berechtigt die Sorge um eine konstruktive Nutzung des Internets auch ist, so wenig sind Desinformation und viele zurecht inkriminierte Themen – wie Hassrede, Bedrohung und Silencing von in der Öffentlichkeit Tätigen und Fake-News – ein Spezifikum des Internets. Das lange erhoffte und von Polizei sowie Staatsanwaltschaften vielfach verpasste aktive Vorgehen gegen Offizialdelikte, wie Hatespeech und direkteren Aufrufen zu Straftaten sollte nicht den Blick auf die Potenziale verstellen, die in dem neu implementierten Vorgehen stecken.
Stets wurde mit anschlussfähigen Themen, wie etwa Kinderpornografie, versucht, weitergehende Zensurmaßnahmen festzuschreiben jenseits des Rechtswegs - was einst der heutigen EU-Präsidenten Ursula von der Leyen den Schmähtitel "Zensurula" einbrachte. Durchaus obliegt es dem Staat, bei Fragen des Jugendschutzes und Volksverhetzung juristisch gegen Medien einzuschreiten – statt dies an andere Stellen auszulagern.
Während nun Reporter ohne Grenzen Deutschland (ROG) für das Jahr 2020 im weltweiten Ranking bezüglich des Zustands der Pressefreiheit herabgestuft, fokussierte die NGO für journalistische Freiheit besonders die verstärkten Angriffe auf Journalisten bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Weniger im Blick scheint, dass staatliche Organe, wie beispielsweise die Polizei, es nicht selten versäumten, Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs zu schützen. Optimistisch zeigte sich ROG mit Blick auf das Verfassungsgerichtsurteil gegen die BND-Überwachung der Internetkommunikation von Journalisten vom Mai 2020.
Inzwischen gibt es Kritik an der Neufassung des Gesetzes vom März 2021, weil auch dieses wiederum Pressefreiheit und Informantenschutz bedroht. Hier bietet sich ein Ansatz, die Bedrohung des Journalismus in der Digitalisierung genauer unter die Lupe zu nehmen.
Wir dürfen gespannt sein, ob ROG im Bericht für 2021 auch die Angriffe auf in Ungnade gefallene Journalisten und Blogger von Online-Medien mitzählen wird. Ken Jebsen hat mit Kind und Kegel das Land verlassen. Nach der Veröffentlichung seiner Adresse durch den Spiegel, tauchten nicht nur Demonstranten vor seinem Privatwohnsitz auf, sondern auch prügelwütige Aktivisten beim Einkauf im Bioladen, wo er mit seinen Kindern zur Zielscheibe wurde. Das Gebaren des Spiegels erinnert an das des Focus 2014, als dieser die Adresse des GDL-Vorsitzenden Weselsky veröffentlicht hatte. Welche Relevanz eine solche Information haben soll, außer dass sie Druck und Gefahr, für die in der Öffentlichkeit Tätigen hat, ist ja einschlägig aus anderen Kontexten rund um die NSU-Anwälte der Nebenkläger und nicht wenige Journalisten bekannt. Ein Beitrag zur Medien- und Meinungsfreiheit ist das sicherlich nicht.
Der neue, auf privater Initiative basierende, Medienkodex zum Schutz für Journalisten dürfte hier nicht greifen, denn er richtet sich primär an Medienhäuser und schützt wohl weniger freie Journalisten. Die Frage ist, ob es gelingt angesichts aufgeheizter Debatten um neuralgische Themen und Personen das einerseits intransparente und andererseits noch nicht rechtsbewehrte Vorgehen der Landesmedienanstalten, sowie das zeitgleiche Abschalten von Online-Kanälen, Apps und Messengern durch Internetprovider kritisch und mit einem sehr wachen Auge zu betrachten.
Denn es dürften wichtige Weichenstellungen für die Zukunft von Pluralismus und Medienfreiheit sein. Schützenhilfe erhalten die Landesmedienanstalten - oder umgekehrt? - vom Verfassungsschutz. Der des Landes Berlin nimmt nun KenFM aufs Korn, wie das Rechercheteam Florian Flade und Georg Mascolo berichten. Am Ende ihres Beitrags merken Sie nachdenklich an: "Der Verfassungsschutz müsse außerdem im Bereich von Medien besonders sensibel agieren. Mangelnde Qualität in der Berichterstattung könne beispielsweise kein Grund für eine Überwachung sein."
Wenn dieses Vorgehen Schule macht, dann steht auch für die, die sich jetzt auf der richtigen Seite wägen, als Frage unweigerlich im Raum: Who is next?
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