Habeck oder Merz – wer treibt den Sozialabbau stärker voran?

Friedrich Merz und Robert Habeck. Dazwischen schlägt ene Axt schlägt auf ein Holzstück mit Aufdrucken sich schüttelnder Hände

Bild Friedrich Merz: photocosmos1, Bild Robert Habeck: penofoto / Shutterstock.com / Grafik: TP

Grünen-Chef Habeck und CDU-Chef Merz setzen auf "Experimentierklauseln". Beide wollen den Sozialstaat flexibler gestalten. Wer von beiden geht dabei den radikaleren Weg?

"Keine Experimente" war Wahlkampfslogan des Bundeskanzlers Konrad Adenauer. Diese Zeiten sind vorbei – jetzt werden "Experimentierräume" und "Experimentierklauseln" als Antwort auf eine digitalisierte Arbeitswelt bezeichnet.

Mit einer sogenannten "Experimentierklausel" will die CDU etwa Kommunen und Landkreise unbürokratisch Dinge ausprobieren lassen, meldet t-online.

Die Entscheidungsträger vor Ort müssten die Sicherheit haben, schnelle Entscheidungen zu treffen, heißt es in dem Programm. Diese Ansätze hat Generalsekretär Carsten Linnemann bereits in der Vergangenheit gelobt. Wie eine solche Regelung umgesetzt werden soll, sagt die CDU Wählerinnen und Wählern bislang nicht.

Konkret beschreiben muss die Union diese Forderungen nicht, denn die Adressaten wissen genau, was gemeint ist. Unternehmensvertreter von Bertelsmann, Beiersdorf, BMW, Bayer-Konzern, Münchener Rückversicherung, Telekom und TUI werden hier schon konkreter. In einem gemeinsamen Positionspapier "Arbeit in der digitalen Transformation" verdeutlichten sie ihre Forderungen bereits vor Jahren: "Grundvoraussetzung für die Transformation" in die digitale Arbeitswelt seien "Freiräume für Experimente".

Erfolgreich werden diese Neuerungen nur, indem "Experimentierräume im Sinne kontrollierter Veränderung" durchgesetzt werden:

Zielgruppenorientierte Experimentierräume ermöglichen es, eine passgenauere Mitbestimmungskultur zu entwickeln und tarifliche oder gesetzlich formulierte Öffnungsbereiche zu schaffen.

Arbeit in der digitalen Transformation

Konkret sollen derzeitige Regelungen zur Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz abgeschafft werden.

Ein wichtiges Element sind digitale Labore, neudeutsch "digital Labs" genannt. Orientiert an Erfahrungen der Startup-Szene werden damit "unternehmensinterne Einheiten" bezeichnet, in denen kreative Freiräume geschaffen werden sollen. In der Praxis bedeutet dies häufig ein Arbeiten ohne Tarifvertrag und mit ausgeweiteter Arbeitszeit.

Dabei wird ein enormer Aufwand betrieben, um die Digitalisierung im Sinne der Unternehmen voranzubringen. Unternehmensvertreter warten nicht auf Gesetzesänderungen – sondern setzen Veränderungen der Arbeitsbedingungen durch. Übereifrige Beschäftigte oder unter Druck gesetzte Projektmitglieder verschicken Mails, Zwischenergebnisse und Arbeitsaufträge am Wochenende oder im Urlaub.

Führungskräfte drängen auf eine Erreichbarkeit rund-um-die-Uhr. So wird ständige Erreichbarkeit gefördert und erzwungen. Diese bewusst erzeugten Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz werden dann als "Sachzwangargumente" gegen Arbeitsschutzbestimmungen genutzt.

Weltweiter Trend zu "Zonen" für das Geld der Reichen

Friedrich Merz, der jahrelang für den Investmentriesen Blackrock tätig war, zeigt, wie nah ihm die Gedankenwelt der Vermögenden weiterhin ist. Bereits 2009 erklärte der Milliardär Peter Thiel in einem Vortrag Freiheit und Demokratie für unvereinbar. Er forderte die Gründung tausender kleiner Gemeinwesen als sicheren Hafen für die Reichen und ihr Geld.

Die Entwicklung zu diesen "Experimentierzonen", in denen nur die Gesetze des Marktes gelten und auf staatliche Regeln weitestgehend verzichtet wird, beschreibt Quinn Slobodian in seinem Buch "Kapitalismus ohne Demokratie".

Er schildert Beispiele nicht nur aus Hongkong oder Dubai – und zeigt, Thiels Vorstellungen sind keine reinen Wunschfantasien. Vielmehr gibt es Sonderwirtschaftszonen und Freihäfen seit einigen Jahrzehnten. "Zone" nennt Slobodian diese heterogenen Gebilde, von denen es nach seiner Schätzung aktuell etwa 5.400 gibt. Auf betrieblicher Ebene wären dies Experimentierklauseln.

Gemeinsamkeiten von Merz und Habeck

Während auf der großen Wahlkampfbühne immer wieder Differenzen zwischen Union und Grüner Partei betont werden, zeigen sich bei "Experimentierklauseln" zum Sozialstaat klare Schnittmengen zwischen Habeck und Merz. "Reallabore sind ein Schlüssel für die Transformation", schreibt das Bundesministerium für Wirtschaft auf seiner Homepage. "Die rechtliche Grundlage für Reallabore sind oft Experimentierklauseln".

Für die "Erprobung innovativer Technologien, Produkte, Dienstleistungen" solle so "von Fall zu Fall ein gewisses Maß an Flexibilität" durchgesetzt werden.

"Es kommen dunkle Zeiten auf uns zu", warnt die Linken-Vorsitzende Ines Schwerdtner vor einem Kahlschlag des Sozialstaats unter einem möglichen Kanzler Friedrich Merz. Das CDU-Wahlprogramm zeigt, Merz wolle den Sozialstaat "kurz und klein schlagen".

Habeck dagegen betont Gemeinsamkeiten mit der Union:

Vielleicht lernt die Union, dass nicht die Grünen ihre Hauptgegner sind, sondern dass wir ganz andere Feinde haben, die im Moment nicht nur den Rechtsstaat, sondern eine konstruktive Stimmung im Land zerstören wollen.

Von Gefahren für den Sozialstaat spricht der Vizekanzler nicht.