Hackertreffen 2000 in Rom

Italienische Hacker nahmen Zuflucht in den Katakomben.

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"Un bordello de connezione" ist nicht etwa ein neues Konzept für virtuellen Sex, sondern das Fluchen eines italienischen Hackers über die lahme Internet-Anbindung. Der Ausruf hallte mehrmals durch die katakombenähnlichen unterirdischen Gänge des Forte Prenestino, in dem sich vom 16.-18.Juni 2000 die italienische Hacker-Szene zum dritten Mal versammelt hatte.

Eingang zum Forte Prenestino

Diesem Treffen vorausgegangen waren das erste Hackmeeting 1998 in Florenz, organisiert vom Umfeld des Strano Network sowie das zweite Treffen 1999 in Mailand, organisiert vom lokalen Hacklab Loa. In diesem Jahr übernahm eine Crew aus Rom die Organisation, die sich aus Mitgliedern des ehemaligen "Avana Net", jetzt "Forteprenestino Net" und Betreibern des autonomen Kulturzentrums Forte Prenestino zusammensetzte.

Malerischer Ort der Begegnung war das seit 12 Jahren besetzte Forte Prenestino, eine der vielen Befestigungsanlagen der Stadt Rom aus dem letzten Jahrhundert, das zu einem virulenten Ort der römischen Subkultur geworden ist. So mischten sich unter die aus dem ganzen Land angereisten Hacker auch viele Besucher, die einfach zum Essen, Trinken, Tanzen oder aus Schaulust gekommen waren und sorgten für ein buntes Treiben, an dessen Höhepunkt, in der Vollmondnacht zum Sonntag, wohl mehrere Tausend Menschen beteiligt waren. Die zahlreichen Angebote sorgten dafür, dass sie sich gut in die ober- und unterirdischen Räume der Anlage verteilten.

Vorführung eines ASCII-Films

In diversen exotischen Versammlungsräumen, dem Tee-Salon, dem Kino und der sogenannten "Kathedrale" fanden die für Hacker-Treffen üblichen technischen Seminare und Workshops statt, zu Themen wie Free-Software, Kryptographie, TCP/IP Protokoll, Linux, Packet Radio, Reverse Engineering, "Zen und die Kunst des Programmierens", Informationsbeschaffung im Netz, aber auch politische Veranstaltungen zu Hacker-Ethik, Copyright, Zensur und Netzrecht. In mehreren Veranstaltungsblöcken wurden zusätzlich künstlerische und aktivistische Projekte vorgestellt, die kritische Medienreflexion betreiben wie z.B. RTMark, Mark Napier, Zero one dot org, bzw. das Internet für Widerstandspraktiken nutzen wie z.B. auch Indymedia.

Damit wird deutlich, dass sich die italienische Hackerszene nicht nur stark mit politisch aktiven Gruppen unterschiedlichster Couleur verbunden fühlt - das Spektrum reicht von Cyberrights bis Transgender, und ganz groß firmiert die Hausbesetzerbewegung -, sondern auch der Netzkunst und -kultur große Bedeutung beimisst. Die Tradition der Kooperation zwischen technischen, politischen und künstlerischen Hackern ist eine Selbstverständlichkeit in Italien, während in Deutschland die einzelnen Szenen eher isoliert voneinander agieren und starke Abgrenzungstendenzen aufweisen.

Probleme und Unmut hat einzig das "Hackcenter" hervorgerufen, eben weil es sich dabei nicht um ein Zentrum handelte, sondern um über 30 nebeneinanderliegende 12-16 qm grosse unterirdische Räume (ehemals Gefängniszellen), die an einem unendlich langen Gang aufgereiht lagen, verbunden durch ein Local Area Network. Stabilität und Bandbreite der Anbindung des LAN ans Internet ließen wohl einige Hackerwünsche offen, was von einigen lautstark beklagt wurde. Und die Gefängnis-Architektur sorgte dafür, dass die kleinen Gruppen, die sich jeweils in den Zellen einrichteten, unter sich blieben, so dass zu wenig neue Kontakte geknüpft wurden und kaum Diskussionen im grösseren Rahmen stattfanden.

Zu wenig Auseinandersetzung

"Zu wenig Auseinandersetzung" habe stattgefunden, weil das "Hackcenter" auf lauter einzelne Räume aufgeteilt war.

Kritiker der Veranstaltung, wie Martha MacKenzie, eine der Inititatorinnen des ersten Hackmeetings, sahen darin ein Symptom dafür, dass das ursprüngliche Anliegen der ersten Treffen, nämlich die dezentralen Hacklabs einmal im Jahr zusammenzubringen, um gemeinsam über aktuelle Probleme zu diskutieren und ein politisches Vorgehen abzustimmen, gescheitert ist. Die italienische Hackerszene ist nicht wie in Deutschland in einer nationalen Vereinigung zusammengeschlossen, sondern setzt sich aus lokalen Hacklabs zusammen, die zwar eine Art Backbone bilden, aber unabhängig voneinander und lokal agieren. Das Programm des Treffens wurde zwar in der gemeinsamen Hack-it-Mailingliste abgestimmt und diskutiert, die etwa ein halbes Jahr vor dem Treffen eingerichtet worden war, beim Treffen selbst gab es aber zu wenig Auseinandersetzung.

Dennoch sorgte das Hackmeeting in Rom für großes Aufsehen. Alle lokalen und nationalen Zeitungen sowie Radio und Fernsehen berichteten darüber. Die sensationslüsterne und meist eher uninformierte Berichterstattung machte aber wieder einmal die Ambivalenz deutlich, in der sich Hacker bewegen. Während die Medien die Exotik des Hackens ausbreiten oder von Cyberterrorismus fantasieren, gehen dezent gekleidete Herren durch das Hackcenter, die neue Mitarbeiter für ihre IT-Firmen anwerben wollen. Für eine eigene Berichterstattung sorgte deshalb Radio Cybernet in Zusammenarbeit mit dem lokalen, freien Radio "Onda Rossa" sowie Candida TV, ein Videokollektiv.

Im abschließenden Plenum wurde mit Kritik und Selbstkritik nicht gespart. Ein großes Problem aller Hackertreffen sind die vielen Kids, die nur kommen, um Daten aus dem Internet herunterzuladen oder ihre Games zu spielen, aber an weiterführendem Austausch nicht interessiert sind. Da die Internetanbindung diesmal aber bereits grosse Probleme bereitet hat, wurde abschließend, im Hinblick auf das nächstjährige Treffen in Catania, Sizilien, ein sehr radikaler Beschluss gefasst: Es wird beim nächsten Mal gar keine Internet-Anbindung mehr geben! Bei genauerer Betrachtung leuchtet der erst einmal absurd wirkende Gedanke ein. Der Zweck eines Hackertreffens ist, weder von da aus wirklich Sites oder Server zu hacken, noch große Mengen von Daten aus dem Netz herunterzuladen. Vom nächsten Treffen ohne Internet verspricht man sich deshalb einen intensiveren Austausch untereinander, der vielleicht die Vision einer schlagkräftigen Bewegung des digitalen Untergrundes wieder näher rücken lässt.

Alle Fotos Videostills von Cornelia Sollfrank