Haft von Ex-Präsident Lula da Silva spaltet Justiz in Brasilien
Richter ordnete Freilassung des ehemaligen Staatschefs an, Kollegen setzen Entscheidung aus. Linkspolitiker führt Wahlumfragen an
In Brasilien und Lateinamerika ist die Entscheidung des Präsidenten eines Berufungsgerichtes auf heftige Kritik gestoßen, den ehemaligen Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva (2003-2011) trotz der gegenteiligen Entscheidung eines untergeordneten Richters in Haft zu behalten.
Der Vorsitzende des Berufungsgerichtes in Porto Alegre, Carlos Eduardo Thompson, revidierte damit am Sonntag eine Order des Berufungsrichters Rogerio Favreto. Der Jurist hatte überraschend einem Antrag zweier Abgeordneter der Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) Lula da Silvas auf Haftentlassung stattgegeben.
Mit dem Justizstreit spitzt sich drei Monate vor der Präsidentschaftswahl in dem südamerikanischen Land der Disput um den Prozess und die Verurteilung des ehemaligen Präsidenten massiv zu. Lula da Silva führt trotz seiner Inhaftierung die Umfragen um das höchste Staatsamt deutlich an. Seine Anhänger haben die Losung "Wahlen ohne Lula sind Betrug" ausgegeben.
Während sich tausende Anhänger Lula da Silvas vor dem Gefängnis in Curitiba versammelten, um seine sofortige Freilassung zu fordern, kritisierten politische Persönlichkeiten aus dem lateinamerikanischen Ausland die Entscheidung des Gerichtspräsidenten in Porto Alegre. Die Anweisung, Lula da Silva in Haft zu behalten, "verlängere das Unrecht", schrieb Boliviens Präsident Evo Morales im Kurznachrichtendienst Twitter: "Lula steht weder politisch noch juristisch alleine." Das einzige Delikt des Inhaftierten sei es, der aussichtsreichste Kandidat zu sein, fügte Morales an. Die in Argentinien inhaftierte Aktivistin Milagro Sala beklagte eine "Politisierung der Justiz" in ihrem Land wie in Brasilien. Die Vorsitzende der Arbeiterpartei, Gleisi Hoffmann, unterstellte Teilen der Justiz, aus "Angst" vor einem künftigen Präsidenten Lula da Silva zu handeln: "Es ist klar, dass sie alles tun, um die Entlassung zu verhindern."
Favreto hatte zunächst trotz des Widerspruchs seiner Kollegen auf seiner Anordnung zur Freilassung beharrt und dafür eine Frist von einer Stunde gesetzt. Die Bundespolizei reagierte auf dieses Ultimatum nicht. Brasilianische Medien hinterfragten die Order von Favreto derweil mit der Behauptung, der Jurist sei bis zu seiner Berufung ins Richteramt 2010 Mitglied der Arbeiterpartei von Lula da Silva gewesen.
Richter Sergio Moro, der die Verurteilung des Ex-Präsidenten in einem mehrfach kritisierten und von Verfahrensverstößen geprägten Prozess vorangetrieben hatte, griff seinen Kollegen Favreto heftig an und bezeichnete ihn als "absolut nicht befugt", eine solche Entscheidung zu treffen.
Moro hatte Lula vorgeworfen, während seiner Präsidentschaft von der brasilianischen Baufirma OAS eine Luxuswohnung in der Küstenstadt Guarujá im Bundesstaat São Paulo sowie Bargeld entgegengenommen zu haben. Der Baukonzern soll im Gegenzug bei Verträgen mit Petrobras bevorzugt behandelt worden sein. Juristen beklagten jedoch, dass Moro keine Beweise vorlegte, die Anklageschrift war von heftigen Widersprüchen gekennzeichnet.