Halbstarkenstrategien um die Ukraine
Der Waffenstillstand scheint zu greifen, aber die pubertären Gockel-Demonstrationen werden weiter in der Ukraine, im Westen und in Russland gepflegt
Nachdem die Separatisten bereits nach eigenen Angaben mit dem Rückzug schwerer Waffen gemäß Minsk 2 begonnen hatten, wenn auch 10 Tage später als vereinbart, hat das ukrainische Militär jetzt ebenfalls nach eigenen Angaben schwere Waffen wie Panzer und Artillerie 25 km von den im Abkommen festgelegten Grenzen abgezogen. Zunächst hatte man damit gezögert, weil erst zwei Tage lang völlige Waffenruhe herrschen sollte. Beide Seiten werfen sich weiterhin Angriffe vor, auch die OSZE-Beobachter sprechen von gelegentlichen Abschüssen. Noch ist vieles in der Schwebe, aber es ist ein Anfang.
Unklar ist schon einmal, welche Grenzen gemeint sind. Nach dem Abkommen sollen die ukrainischen schweren Waffen je nach Kaliber von der aktuellen Frontlinie mindestens 50 km bis zu 140 km abgezogen werden, während die der Separatisten in eine ebenso große Entfernung von der Frontlinie, wie sie beim ersten Minsker Abkommen im September 2014 bestanden hatte. Zudem wird weiter gepokert, weil das Misstrauen auf beiden Seiten hoch ist und es auf beiden Seiten Lager gibt, die das Minsker Abkommen ablehnen und weiter auf Eskalation setzen. Man rückt also erstmal nur 25 km zurück und nutzt wahrscheinlich die Zeit, um sich neu zu gruppieren und kampfbereit zu machen, falls der Waffenstillstand gebrochen werden sollte.
Die OSZE wird allerdings bei der vorgesehenen Aufgabe, die Umsetzung des Minsker Abkommens zu beobachten, von beiden Seiten ausgebootet, die ein bisschen wie kleine Kinder Pingpong spielen. Alexander Sachartschenko von der "Volksrepublik" Donezk machte gestern Abend klar, dass man keine Einzelheiten darüber preisgeben wolle, wohin genau die schweren Waffen zurückgezogen wurden. Das wird auch von den ukrainischen Streitkräften nicht mitgeteilt, weswegen die "Volksrepublik" es auch ablehnt. Zudem müsste offengelegt werden, ob auch wirkliche alle schweren Waffen schließlich so weit abgezogen worden sind, dass sie nicht mehr in das gegnerische Gebiet feuern können.
Sachartschenko sprach davon, man habe bereits 90 Prozent der schweren Waffen zurückgezogen. Nach dem stellvertretenden Kommandeur des Verteidigungsministeriums der "Donezker Volksrepublik" Eduard Basurin habe man die Medien und die OSZE zur Beobachtung eingeladen, die OSZE habe den Abzug beobachtet. Dagegen wird Kiew vorgeworfen, nur einige Waffen abzuziehen. Sachartschenko drohte bereits, dass die schweren Waffen wieder an die Front gebracht würden, wenn die ukrainischen Truppen nicht bis heute Abend 19 Uhr ihre schweren Waffen abgezogen haben. Ähnlich äußerte sich die ukrainische Militärführung, die damit drohte, den Abzug sofort rückgängig zu machen, wenn Angriffsversuche vorliegen.
Man darf gespannt sein, wie die USA und die EU reagieren werden, wenn der Abzug tatsächlich erfolgt. Offenbar ist man bei der Nato aber weiterhin gewillt, auf Eskalation zu setzen. So haben amerikanische und britische Truppen am Mittwoch in der Stadt Narva in Estland, direkt an der Grenze zu Russland, eine Parade abhalten müssen. Die Mehrzahl der Bewohner der Stadt sind Russen oder russischer Abstammung. Neben Soldaten aus Estland nahmen auch holländische, spanische, lettische und litauische Soldaten an der Feier zum Unabhängigkeitstag teil, um so den baltischen Staaten die militärische Nato-Präsenz zu demonstrieren und gleichzeitig Russland zu provozieren und die möglicherweise prorussischen Bewohner der Stadt einzuschüchtern, so musste dies zumindest verstanden werden.
Natürlich geht diese Logik immer nach dem Prinzip der Abschreckung, die von Merkel und Hollande erfreulicherweise wenigstens im Hinblick auf die Ostukraine mal durchbrochen wurde. Moskau scheint sich jedoch auch genötigt zu sehen, auf die Provokation entsprechend zu reagieren. So findet nun ein mehrtägiges Manöver russischer Truppen an der lettischen Grenze statt. Die Aktion in Estland scheint Teil einer Strategie zu sein. Nato-Oberbefehlshaber, US-General Philip Breedlove, der stets ein Scharfmacher war, wies trotz der zögerlichen, aber beginnenden Umsetzung des Minsker Abkommens auf die zu erwartende russische Aggression hin.
Putin habe seine Ziele in der Ukraine nicht erreicht. Problematisch sei es, wenn Moskau atomwaffenfähige Raketen auf der Krim stationieren würde (das Pentagon hat schon erwogen, mehr Atomraketen in Europa zu stationieren), Angriffe könnten auch in der Moldau und in Transnistrien geschehen. Und er machte auch klar, was die Nato nun neben militärischen, wirtschaftlichen, diplomatischen und medialen Druck fordert, um dein Einsatz zu erhöhen. Es seien mehr als tausend Waffensysteme wie Panzer, Artilleriesysteme oder Fahrzeuge in die Ukraine gebracht worden. Das klingt zwar schon deutlich anders als frühe Äußerungen, aber Nato-Generalsekretär Stoltenberg schloss sich an und forderte gestern während seines Besuchs von Italien, dass Russland diese tausend militärischen Systeme abziehen müsse, während britische und US-Soldaten in der Ukraine ukrainische Soldaten ausbilden sollen und Waffen aus den USA bereits geliefert wurden. Der ukrainische Präsident war gerade beim Waffeneinkauf in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
US-Außenminister Kerry droht derweil schon einmal mit einer weiteren Verschärfung der Sanktionen - "we are poised yet to do another round" -, natürlich ohne zu erklären, wann diese zurückgenommen werden. Keine zielführende Methode, um zu einer Einigung zu gelangen. Breedlove warnt nun vor Kürzungen der Verteidigungsausgaben der USA. Die Truppenpräsenz der USA in Europa sei weiterhin "entscheidend", da dürfe man nicht sparen. Was auch heißt, dass man den Europäern militärisch nicht vertrauen kann:
There is simply no substitute for our forward force presence in Europe. It is the bedrock of our ability to assure our allies, to deter real and potential adversaries and to act in a timely way should deterrence fail.
Das zeigt, es geht nicht um die Ukraine, sondern um Geopolitik der Supermacht, die die Nato als ihr Instrument benutzt. Dabei gibt es eben auch verschiedene Fraktionen der US-Politik. So hält sich Breedlove zurück, Waffenlieferungen an die Ukraine direkt zu fordern. In dieser Frage geht ein Riss durch das Weiße Haus.
Die Eskalationsstrategie, die von Teilen der US-Regierung gegenüber Russland forciert wird, produziert jedenfalls das erwartbare Ergebnis. Die russischen Menschen werden nationalistischer und unterstützten vermehrt die Gegenreaktion. Die Gockel-Dynamik des Wettrüstens funktioniert immer, da auf beiden Seiten dahinter Interessen profitieren, die auch die Massen mobilisieren können, wenn es gegen einen Feind geht. Putin jedenfalls geht trotz der Sanktionen und der abstürzenden russischen Wirtschaft gestärkt aus der Konfrontation mit den USA und den östlichen EU-Ländern hervor. 86 Prozent der Russen stellen sich hinter Putin, so eine Umfrage des Levada-Zentrums zwischen dem 20. und 23. Februar. 2013 hatte Putin erst 65 Prozent hinter sich. 54 Prozent glauben, dass Russland richtig handelt.