Hallo, aufwachen! Es ist Rezession!
Seit fast 50 Jahren beobachte ich die deutsche Wirtschaft. So schlimm war es noch nie: Rezession, Deindustrialisierung und Stellenabbau. Was können wir tun? Eine Kolumne.
Ich beobachte die deutsche Wirtschaft seit fast 50 Jahren sehr regelmäßig. Das, was derzeit passiert, hat es in Deutschland in dieser langen Zeit nie gegeben: Die Wirtschaft befindet sich in einer langen und schweren Rezession, aber die Politik will es nicht wahrhaben.
Man bestreitet, was offensichtlich ist, weil man wohl ahnt, dass sich keine politische Konstellation finden lässt, mit der man eine konsequente Politik zur Bekämpfung der Rezession machen könnte. Folglich reden die einen über "Deindustrialisierung", die anderen über "Fachkräftemangel" und die Dritten – wieder einmal – über die mangelnde Bereitschaft der Empfänger staatlicher Hilfen, eine Arbeit aufzunehmen.
Früher konnte man solche politischen Äußerungen als falsche Diagnosen in einer konjunkturellen Schwächephase bezeichnen, heute sind es einfach nur lächerliche Ausreden, weil keiner den Mut hat zu sagen, dass fast alle politischen Kräfte zusammen Deutschland in eine Sackgasse manövriert haben und nun den Rückweg nicht mehr finden können.
Die wirtschaftliche Lage ist schlecht
Die wirtschaftliche Lage ist leicht zu beschreiben. Einer der zuverlässigsten Indikatoren für die konjunkturelle Entwicklung ist der Auftragseingang beim Verarbeitenden Gewerbe (Abbildung 1). Hier zeigen die Zahlen seit Beginn des Jahres 2022 eindeutig abwärts. Das sind nunmehr fast zweieinhalb Jahre.
Der Index hatte in den ersten Monaten von 2022 den Wert von einhundert verlassen und ist nach einer langen Reise abwärts im Mai 2024 bei knapp über 80 gelandet. Nimmt man hinzu, dass auch die jüngsten Umfrageergebnisse für Juli alle weiter nach unten zeigen, muss man damit rechnen, dass in Kürze die Marke von 20 Prozent Rückgang beim Auftragseingang erreicht sein wird.
Das betrifft die Inlandsnachfrage ebenso wie die Auslandsnachfrage. Wer weiter schönbetet und auf ein Wunder hofft, wie das der Bundeswirtschaftsminister immer noch tut, vergeudet wertvolle Zeit, weil in nicht allzu langer Zeit die Nachfrageschwäche ganze Industriebereiche vernichten wird, die niemals mehr wiederhergestellt werden können.
Deutlich zeigt sich das schon in der Ankündigung vieler Unternehmen, den Personalbestand erheblich zu reduzieren. Es zeigt sich aber auch am Arbeitsmarkt insgesamt, wo die Zahl der Arbeitslosen seit einiger Zeit um etwa 20.000 pro Monat steigt und die Zahl der angebotenen offenen Stellen um etwa 10.000 pro Monat zurückgeht.
Doch auch darüber wird nicht geredet, weil es unmittelbar zeigen würde, wie abwegig die Diskussion über den Fachkräftemangel oder gar eine generelle Arbeitskräfteknappheit ist (wie von der EZB-Spitze behauptet).
Einer der größten Irrtümer dieser Zeit ist vermutlich der Glaube, konjunkturelle Schwankungen weitgehend ignorieren zu können, weil es früher oder später ja doch wieder aufwärts geht. Eine lange konjunkturelle Flaute bringt aber dauerhafte Einkommensverluste mit sich und verringert die Fähigkeit einer Volkswirtschaft, zu investieren und hochproduktive Arbeitsplätze anzubieten.
Strukturelle Probleme und Investitionsschwäche sind zumeist das Resultat mangelnder Dynamik der Gesamtwirtschaft, die im Versagen der Politik in konjunkturellen Schwächephasen ihren Ursprung hat. Wer eine Schuldenbremse im Grundgesetz stehen und eine dysfunktionale europäische Schuldenregel zu beachten hat, befindet von vorneherein auf extrem schwankendem Boden.
Die politische Lage ist vertrackt
Die Gründe für die Rezession liegen auf der Hand. Die europäische Zentralbank wollte wegen der aus ihrer Sicht unabdingbaren Inflationsbekämpfung eine Nachfrageschwäche erzeugen – und sie hat es geschafft. Das Land, das am meisten von der Investitionsnachfrage in Europa und der Welt abhängig ist, wurde dadurch am stärksten getroffen, weil hohe Zinsen nun einmal Gift für die Investitionstätigkeit sind.
Zwar ist die "Inflation" längst ausgestanden, weil es nur ein einmaliger Preisschub, aber keine gefährliche "Inflation" war, doch die EZB (siehe das Interview mit Isabel Schnabel) klammert sich an plumpe Rechtfertigungsversuche für ihre Fehlentscheidungen und verzögert so die Rückkehr zu einem angemessenen Zinsniveau.
Nun tun Politiker sich generell schwer, die unabhängige Notenbank zu kritisieren, weil sie glauben, jede Kritik von ihrer Seite werde als Angriff auf die Unabhängigkeit der Notenbank angesehen. Dass diese Kritik in der Öffentlichkeit aufkommt, ist nicht zu vermeiden, aber die Politik könnte viel stärker auf die allgemeine Diskussion wirtschaftlicher Phänomene Einfluss nehmen, wenn sie sich in und außerhalb der Öffentlichkeit mit hohem Sachverstand daran beteiligte. Daran aber fehlt es.
Man überlässt folglich den Notenbanken nicht nur die Entscheidung, sondern auch die gesamte Diskussion. Das kann mit Unabhängigkeit nicht gemeint sein und frustriert die Bürger, weil es niemals einen ernsthaften Versuch der Erklärung der wirtschaftlichen Entwicklung gibt.
Aber auch jenseits der Geldpolitik ist die politische Lage vertrackt. Am klarsten hat das der Bundeswirtschaftsminister gesagt. Er weiß, dass der Koalitionsvertrag der Ampel eine falsche Weichenstellung in Sachen Fiskalpolitik und Schuldenbremse enthält.
Er glaubt aber, man könne dennoch über die Runden kommen, wenn sich die Koalitionäre auf viele kleine Maßnahmen auf der Angebotsseite einigen, die praktisch nichts kosten, wie im jüngsten Wachstumspaket geschehen. Das ist ein Irrtum. Man kann an hunderten von kleinen Angebotsschräubchen drehen, ohne dass sich die Wirtschaft einen Millimeter bewegt.
Solange das grundlegende Zinsproblem nicht gelöst oder durch massive staatliche Nachfragepolitik überspielt worden ist (wie in den USA), ist jeder Versuch, mit dem Drehen kleiner Schräubchen die Welt zu bewegen, zum Scheitern verurteilt.
Das genau muss man sagen, wenn man eine aufgeklärte Debatte führen will. So zu tun, als gäbe es einfache und billige Alternativen zu staatlicher Nachfrageanregung, blockiert die unbedingt notwendige Debatte über die Schuldenfrage (die hier erklärt wird).
Es unterstützt unmittelbar die Position derer, die, wie Christian Lindner, den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang von Sparen und Schulden nicht kennen und auch nicht kennen wollen, weil er nicht in ihre ideologische Weltsicht passt.
Mehr als erstaunlich ist zudem, dass Habeck glaubt, seine Partei könne im nächsten Bundestagswahlkampf mit besseren Argumenten in Sachen staatliche Schulden die Wähler überzeugen, grün zu wählen.
Doch wie will er, dazu noch im Wahlkampf, Bürger überzeugen, die von ihm und von der Mehrheit der anderen Parteien jahrzehntelang mit dem Argument gefüttert worden sind, man könne Nachfragepolitik via staatliche Schuldenaufnahme ersetzen durch Wachstumspakete mit hunderten von kleinen und kleinsten Maßnahmen.
Es wird ihm nicht gelingen, eine umfassende Debatte über Schulden anzustoßen, weil die Masse der Bevölkerung darauf einfach nicht vorbereitet ist. Hinzu kommt, auch nach der nächsten Bundestagswahl wird es keine Mehrheit im Parlament geben, die eine unideologische Position in Sachen Schulden vertritt.
Die CDU ist in dieser Frage mindestens so verbohrt wie die FDP, aber ohne die CDU wird aller Voraussicht nach keine Regierung gebildet werden können.
Nein, der Ausweg aus der Sackgasse fällt nicht vom Himmel. Nur wenn sich in Deutschland genügend verständige Menschen zusammenfinden würden, um die Schuldenfrage einer rationalen Überprüfung zu unterziehen, könnte es in Zukunft Regierungen geben, die Deutschlands Zukunft nicht wie die jetzige leichtfertig verspielen. Ist das zu erwarten? Ich glaube es nicht. Deutschland und Europa gehen einer dunklen wirtschaftlichen Entwicklung entgegen.