"Halt ze German advance"

Seite 2: Das "deutsche Europa" ist zerfallen

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In diesen europäischen wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen, die zur Erosion der EU in der Eurokrise beitrugen, spiegelt sich nicht nur die bornierten nationalen Interessen, sondern auch die letale Systemkrise des Spätkapitalismus - die weder durch deutschen Sparsadismus, noch durch südeuropäische Gelddruckerei (EZB) überwunden werden kann. Vermittels der Auseinandersetzungen zwischen den Staatssubjekten wird der objektive Krisenprozess exekutiert. In den ausgebrannten institutionellen Höhlen der EU wird eine spezifische Form negativer Krisenkonkurrenz zwischen den Eurostaaten ausgetragen, bei der die Verlierer einen dauerhaften sozioökonomischen Abstieg erfahren. Mittels seiner europäischen Austeritätspolitik hat es Berlin vermocht, die Krisenfolgen auf die Peripherie abzuwälzen, während Deutschland als ein (verbliebenes) ökonomisches Zentrum gehalten werden konnte.

Objektiv betrachtet fand im Gefolge der Eurokrise ein Abschmelzen des sozioökonomischen Zentrums statt, während die Peripherie und die Elendsgebiete sich ausbreiteten. Deutschland hat streng betrachtet die Krisenkonkurrenz nicht "gewonnen", es ist nur "übrig geblieben". Die BRD ist der letzte verbliebene Passagier auf der sinkenden europäischen Titanic, die gerade dabei ist, vom Schicksal der Sowjetunion ereilt zu werden.

Dieser Kampf darum, wer im Verlauf des jüngsten europäischen Krisenschubs sozioökonomisch absteigen werde, ließ maßgeblich die nationalistischen Ressentiments und den unverhohlenen alten europäischen Chauvinismus hochkochen, die derzeit die EU zerfressen. Die EU stellt somit eine abgetakelte Fassade dar, hinter der längst anachronistische, regressiv-nationale Interessensgegensätze aufeinanderprallen. Wie gesagt: "Europa" als eigenständigen Machtfaktor gibt es längst nicht mehr, der Kontinent ist bereits zu dem jahrhundertealten national-imperialistischen business as usual zurückgekehrt - die europäischen Europahasser auf der rechten wie linken Seite des politischen Spektrums haben dies nur noch nicht bemerkt.

Die nicht gerade für ihre intellektuellen Kapazitäten bekannten Rechtsausleger Europas stilisieren hingegen diese abgetakelte und krisenzerfressene EU zu einer Art übermächtiger Chimäre, die weiterhin quasi diktatorisch die Völker Europas knechten würde. Sobald Brüssel zerschlagen sei, werde alles wieder gut werden, so die geschichtslose Idiotie der EU-Hasser, die Geschichtsbücher nur von weitem betrachtet haben dürften.

Dabei bestimmt nationale Machtpolitik schon längst wieder das Krisenschicksal Europas - und es ist zuvorderst deutsche Politik, die zielsicher den reaktionärsten Weg in die weitere Krisenentfaltung in der Eurozone wählte (Willkommen in der Postdemokratie). Das auf Verelendung und Sparwahn aufgebaute "Deutsche Europa", in dem in wirtschaftspolitischer Hinsicht nur noch "Deutsch gesprochen" (Volker Kauder) werden sollte, ist langfristig nicht stabilisierbar. Es wird durch diese zunehmenden inneren Widersprüche, die nationalistische Zentrifugalkräfte verstärken, zerrissen. Deutschlands Funktionseliten, angefacht von dem rechten Internet-Mob aus Pegida und AfD, haben diese chauvinistische Krisenpolitik eindeutig verbrochen. Sie tragen dafür die historische Verantwortung. Doch äußert sich in der subjektiven Entscheidung der deutschen Regierung eben auch - wie bereits angedeutet - ein objektiver Krisenprozess.

Negative Krisenkonkurrenz

Diese widersprüchlichen Tendenzen lassen sich nur erfassen, wenn der Krisenprozess aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet wird. Da ist zum einen die "subjektive" Ebene, auf der die einzelnen nationalstaatlichen Subjekte in der Eurokrise zu agieren versuchen, um ihre Machtmittel zu mehren. Und zum anderen gibt es die "objektive" Ebene, auf der sich die Krise des Kapitals entfaltet und den geopolitischen Akteuren in Form zunehmender innerer Widerspruche und "Sachzwänge" gegenübertritt.

Die Charakteristika des Krisenverlaufs in der Eurozone ergeben sich somit aus der Wechselwirkung zwischen den Entscheidungen der nationalen oder geopolitischen Subjekte (der Eurostaaten) und dem objektiven Krisenprozess, der sich hinter dem Rücken der Subjekte entfaltet und ihnen als Sachzwang gegenübertritt. Auch die mächtigsten Eurostaaten agieren auch als Getriebene der eskalierenden inneren Widersprüche des Kapitalverhältnisses.

Hieraus entspringt die für den Krisenprozess charakteristische Form der besagten "negativen" Krisenkonkurrenz, bei der die Eurostaaten ihre eigene Stellung im erodierenden Weltsystem nur noch auf Kosten des Abstiegs anderer Konkurrenzen eine Zeit lang halten können. Ein Paradebeispiel für diese negative neoimperialistische Krisenkonkurrenz stellt ja Deutschland als die flüchtige "Führungsmacht" des erodierenden Europa dar, die ihre dominierende machtpolitische Stellung durch eine gnadenlose Beggar-thy-neighbor-Politik gegenüber der Eurozone errang (Der Exportüberschussweltmeister), bei der die extremen deutschen Handelsüberschüsse die kollabierende europäische Peripherie in eine Art postmoderner Schuldknechtschaft gegenüber Berlin trieben.

Das "Geschäftsmodell" der Deutschland-AG beruht somit auf dem Export von Schulden - während sich die deutsche Öffentlichkeit beständig über die europäischen Auslandsschulden empört. Die Illusion einer heilen kapitalistischen Arbeitsgesellschaft in der BRD beruht somit auf dem sozioökonomischen Zerfall der Peripherie der Eurozone.

Deswegen ist beim (vorläufigen) "Krisengewinner" Deutschland keine dermaßen ausgeprägte Europaskepsis zu beobachten wie in anderen Euroländern. Der Glaube, von "Europa" fremdbestimmt zu sein, ist in der Bundesrepublik bei weiten nicht so stark ausgeprägt wie etwa in den Ländern, die als Krisenverlierer unter dem deutschen Sparwahn zu leiden haben. Dies ist einfach deswegen der Fall, weil Berlin seine Interessen vermittels der EU-Bürokratie weitgehend durchsetzen kann.

Gerade diese europäische Krisenkonstellation - Exportkonjunktur für die BRD, Austerität und Verelendung für die Peripherie - ist aber nicht langfristig aufrecht zu erhalten, da sie der Peripherie keine Perspektive bietet, außer der fortgesetzten Verelendung.

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