Hanau mahnt – zum zweiten Jahrestag

Seite 3: Die These vom Einzeltäter ist eine Innenperspektive…

All diesen Auswüchsen – denn normal ist das nicht in einem Rechtsstaat, der gleiches Recht für alle bereit hält, worüber auch das Buch von Ronen Steinke Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich Auskunft gibt, wenn auch mit dem Fokus auf Klassismus – geht ein langer Diskurs der Ausgrenzung voraus: Rassismus in Wort und Tat, Politikerworte und verfestigende Medienbilder und Hassliteratur à la Sarrazin & Co.

Dieser Diskurs ist mörderisch, er hat eine lange Geschichte (s.o. die Dokuserie von Raoul Peck) und der findet nicht nur im Internet statt, wenn sich auch dort solche problembehafteten Männer sehr gut versammeln können, die ihr eigenes Unvermögen in eine vermeintliche Heldentat zur "Rettung der Nation" ummünzen wollen. Carolin Schwarz hat die Strategien der rechten "Hasskrieger", die Medienaufmerksamkeit um jeden Preis erzielen wollen und oftmals bekommen, zusammengefasst.

Wolfgang Benz es in seinem 400-Seiten starken Buch "Vom Vorurteil zur Gewalt" akribisch aufzeigt: Die Radikalisierung im Kontext von Vorurteilen gegen andere, ist in allen nur erdenklichen Kontexten möglich – lange vor der Existenz des Internet. Die geistige Brandstiftung ist also immer ernst zu nehmen und zwar ohne Ausnahme.

Benz, der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, zieht am Schluss mit Blick auf den Terrorakt in Hanau das Fazit, dass es nur ein frommer Wunsch einer sich selbst idealisierenden Gesellschaft sei, den Mythos eines Einzeltäters zu pflegen. Tatsächlich sind die geistigen Brandstifter erkennbar, ihre mediale Vervielfältigung bekannt, das politische Versagen greifbar.

Auffällig ist, dass in dem Kontext eben nur bei bestimmten Attentätern nach persönlichen Dispositionen gesucht wird, die so eine monströse Tat erklären könnten: bei Rechtsextremisten, nicht bei Islamisten – letztere werden als Symptom einer Verallgemeinerung gedeutet, als vermeintlicher Beweis für angeblich alle Muslime erfassende Denkweisen. Hingegen wird ein Täter aus dem "eigenen Umfeld" als Verstoß gegen die Norm, als Ausnahme, als Ausrutscher in einer sonst angeblich ganz anderen Gesellschaft gedeutet, einer guten natürlich.

Vielleicht erklärt das die Lust am Einzeltäter. Ein Einzeltäter kann das idealisierte Selbstbild konstant halten, ein Einzeltäter schützt vor (selbst)kritischer Auseinandersetzung mit dem strukturellen Rassismus der eigenen Gesellschaft. So mag sogar noch das Zugeben von der Existenz eines Rassisten eine Teilstrategie der Rassismusleugnung darstellen

Die Einzeltäterthese deutet auf eine Innenperspektive hin, wo man den Verbrecher als Abweichler identifiziert. Die schnelle Zuweisung eines Gewalttäters zu einem ganzen Kollektiv hingegen, wie es dann geschieht, wenn zum Beispiel Muslime oder sonstige "Andere" Abweichler von der Norm sind, deutet auf eine Außenperspektive hin. Der Blick von außen aber homogenisiert die ganze Gruppe, glaubt, bei denen sei das eben so.

Der homogenisierende Blick von außen und der ausdifferenzierende Blick von innen sind zwei Seiten der gleichen Medaille – nämlich die, die die Menschen in zugehörig und nicht zugehörig einteilt. Und "Hanau" als eines mehrerer Chiffren zeigt und mahnt uns, dass wir da noch einen weiten Weg hin zur Gleichbehandlung und damit zur Anerkennung von Gleichwertigkeit zu gehen haben – so, wie die Menschenrechte es verbriefen und sie gerne als "westliche Werte" vor sich hergetragen werden.

Die Aufgabe der Medien ist die eines Kontrolleurs von Macht, im konkreten Fall einer Macht, alles unter den Teppich zu kehren. Hier gibt es die Möglichkeit, an der Seite der Ohnmächtigen für die Sache der Aufklärung zu kämpfen – und dafür gibt es jetzt einige Beispiele, und das zumindest stimmt mich verhalten hoffnungsvoll.

Denn aus den vielen Toten rassistischer Pogrome in BRD und DDR und seither lässt sich eines ganz klar ableiten: Was nicht geklärt wird, wirkt weiterhin tödlich. [DS1]Habe leider die Schriftzeichen nicht, um Kurtovic, Paun, Saracaoglu richtig zu schreiben – fände ich hier aber besonders wichtig.