Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird
Zum Tod des KybernEthikers Heinz von Foerster, der sein Leben als konstruktivistisches Gesamtkunstwerk geführt hat
Heinz von Foerster, geboren am 13. November 1911 in Wien, ist am 2. Oktober 2002, kurz vor Vollendung seines 91. Geburtstags in Pescadero/Kalifornien in der Nähe von San Francisco verstorben. Von Foerster war ein Kybernetiker der frühesten Stunde, Physiker, radikaler Konstruktivist, aber auch ein Pionier der Computermusik. Selbst ein in der Kindheit entdecktes Interesse an Magie trieb den Kybernetiker bis in seine späteren Jahre um. Ein Multitalent, das im weltoffenen Elternhaus - mit Beziehungen zu Ludwig Wittgenstein und Hugo von Hofmannsthal - reiche Gelegenheit fand, sich neben der Physik auch viele Nebenwege der Wissenschaft und Kunst zu erschließen. Siehe dazu auch das Gespräch mit Heinz von Foerster in Telepolis: Wir sehen nicht, daß wir nicht sehen.
Dass von Foersters Begriff der Physik vor keinem Problem Halt macht, verrät bereits die Jugendanekdote. Seine Tante kommentierte seine Formel zu den möglichen Varianten der Zwölfton-Musik mit dem Verweis: "Jetzt zieht er gar das Geniale, das Künstlerische, hinunter in die Banalität der Formeln." Dass es keinen Widerspruch zwischen Künstlertum und Mathematik, Physik und Imagination gibt, dafür steht Heinz von Foersters Leben - ein Leben als radikal konstruktivistisches Gesamtkunstwerk. Nach dem Studium in Wien machte er seinen Abschluss in Physik 1944 an der Universität in Breslau. Promoviert wurde er nicht, da er den "Ariernachweis" nicht erbringen konnte. Bereits als Student lernte er die Philosophen des "Wiener Kreises" kennen.
Später an der Universität von Illinois wurde er Mitorganisator und Mitherausgeber der legendären Tagungen der Macy Foundation, um die sich solche aufstrebenden Berühmtheiten wie Gregory Bateson, Warren McCulloch, Margaret Mead, John von Neumann oder Norbert Wiener scharten. Als Kybernetiker der frühesten Stunde gab er mit diesen eine fünfbändige "Kybernetik" (1949 - 1953) heraus und nicht nur dieses Werk verrät den höchst produktiven Wissenschaftler mit ungezählten Publikationen (Einstiegslektüre).
1958 gründete von Foerster das Biologische Computer Labor (BCL, das mit seinem "transdisziplinären" Ansatz aus Logik, Epistemologie, Mathematik, Informatik, Neurophysiologie, Psychologie und Sozialwissenschaften den Denkprozess neu und kühn erfassen wollte:
"Ich will Verstehen verstehen."
Heinz von Foersters "Trademark" ist die Kybernetik zweiter Ordnung. Das heißt: Wenn der Kybernetiker sein eigenes Gebiet betritt, wird die Kybernetik zur Kybernetik der Kybernetik (Second Order Cybernetics). Der Steuerungskünstler und Beobachter wird selbst zum Teil des Geschehens und bewegt sich fortan in seltsamen Schlaufen, die es zu ertragen und zu entwirren gilt. Oder mit Humberto Maturana (Die Ohnmacht der Macht), der auch im BCL von Foersters mitarbeitete, gesprochen: "Alles Gesagte wird von einem Beobachter gesagt." Für von Foerster führte dieses Wissen aus dem begrenzten Feld wissenschaftlicher Welterschließung hinaus zu konkreten Fragen der Ethik und Pädagogik. So erklärte er den Unterschied zur Kybernetik erster Ordnung als den Unterschied zwischen überlieferten moralischen Prinzipien "Du sollst, Du sollst nicht" zu einer selbstaufgeklärten Ethik, die mit "Ich soll, Ich soll nicht" beginnt.
Gegen die professionellen Vereinfacher
Mit der Unterscheidung von trivialen zu nichttrivialen Maschinen machte von Foerster deutlich, dass unsere Weltsicht sehr stark von Komplexitätsverweigerungen beherrscht ist, die das Wirklichkeitsprogramm folgenschwer verfehlen. Scheinlösungen in der Politik und bei Problemen gesellschaftlicher Gestaltung sind vielleicht der höchste Preis, den wir bis in die aktuelle Gegenwart hinein dafür zahlen. Kühlschränke oder Kaffeemaschinen, die auf Knopfdruck gehorchen, sind nicht mit nicht-trivialen Maschinen zu vergleichen, die von ihren eigenen inneren Zuständen abhängig sind. Menschen und ihre Gesellschaften können nicht nach den Lehren der Mechanik begriffen werden, wenngleich der Ruf nach "professionellen Trivialisateuren" unsere Kultur bestimmt. Eine Erkenntnis, der grundsätzlich jeder zustimmen mag, die aber gerade auf die Begrenztheit von wissenschaftlicher Analytik und Sprachmustern verweist, die wir längst nicht abgestreift haben.
Historisch betrachtet stellte die Theorie der Selbstreferenzialität einen Bruch mit dem wissenschaftlichen Hauptstrom der 1960er und frühen 1970er dar. Diese Brüche erlebte von Foerster nicht lediglich als Paradigmenwechsel im engen Zirkel der Wissenschaft. Von Foerster bot etwa auf Wunsch der Studierenden einen Kurs in "Heuristics" an, der eine koproduktive Atmosphäre von Lehrenden und selbstverantwortlich Lernenden suchte. Schließlich wurde er für das Arbeitsergebnis, den "Whole University Catalogue", beschuldigt, Obszönitäten und unangemessene Themen wie Drogenkonsum zu behandeln.
Inzwischen entstand im imperialen Siegeszug selbstreferenziellen Denkens in Mathematik, Physik, Medizin, Biologie, Biochemie, technischen Disziplinen wie den Computerwissenschaften, aber auch Philosophie, Logik, Sprachwissenschaften, Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften, Pädagogik und Sozialwissenschaften selbst ein modischer Mainstream. Die Systemtheorie des verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann etwa wäre ohne einige Ansätze von Foersters zur Beobachtung höherer Ordnung und Selbstorganisation gar nicht denkbar. Von Foersters später Kultstatus widerlegt ihn wohl so fundamental wie historisch ironisch in einem seiner eigener Theoreme ("Heinz von Foersters Theorem Nr. 1"):
"Je tiefer das Problem, das ignoriert wird, desto größer die Chancen für Ruhm und Erfolg."
So wurde von Foerster zum mitunter aphoristischen Stichwortgeber selbstreferenzieller und transdisziplinärer Ansätze, die gegenwärtige Diskurse beherrschen:
"Handle stets so, dass sich die Zahl deiner Möglichkeiten erweitern."
Oder das vielleicht berühmteste Scheinparadox:
"Nur die Fragen, die prinzipiell unentscheidbar sind, können wir entscheiden."
Auch wenn von Foerster ein Hang zu inversiven Formeln und Wortspielen mit tradierten philosophischen Grundannahmen nachgesagt wurde, ging es ihm dabei immer um den alltäglichen Erkenntnisnährwert seiner Imperative. Dabei fokussierte er den Prozess der Globalisierung hin zu einer Weltgesellschaft, die nicht für die Kybernetik da sei, sondern kybernetisch bzw. konstruktivistisch funktioniert:
"Was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, ist unsere Erfindung."
Wissen und Gewissen sind daher zwei untrennbare Momente kybernetischer Welterschließung, der von Foerster im Anschluss an Dennis Gabor den Ruf "Kybernetiker dieser Welt, vereinigt Euch" folgen ließ. Aus der Kybernetik müsse eine "KybernEthik" werde, weil die Kunst der Steuerung dem Menschen diene und nicht, wie es die Geburt dieses Denkens aus militärischen Aufgabenstellungen heraus nahe legen mag, umgekehrt.
Auch der Tod ist möglicherweise ein Wechsel von einer ersten zu einer zweiten Ordnung. Der Tod beendet jedenfalls die irdischen Wahlmöglichkeiten des Beobachters, aber vielleicht hätte von Foerster die Abwandlung einer seiner radikalkonstruktiven Provokationen akzeptiert: "Der Tod, so wie wir ihn wahrnehmen, ist unsere Erfindung."