Handy-Gespräche in der Öffentlichkeit und der Zuhörzwang

Nach einer Studie von britischen Psychologen scheinen wir zwanghaft zuhören zu müssen, wenn bei einem Gespräch nur eine Seite zu hören ist

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Dem kommt niemand mehr aus. Immer hat irgendjemand ein Handy mit oder ohne Headset und spricht mehr oder weniger wichtige Dinge. Beispielsweise, dass er gerade auf dem Flughafen, in der Straßenbahn oder wo auch immer ist, aber es können auch intime Dinge sein. Oft genug sind gerade in Situationen, in denen viele Menschen aufeinander treffen, die Handy-Redner die einzigen, die sprechen - unüberhörbar. Das mag ärgern und selbst, wenn man in keiner Weise zuhören mag und alles tut, um das Gerede auszublenden, scheint man oft wie magisch angezogen zu sein, doch zu verstehen und nachvollziehen, was da einer einem unsichtbaren Anderen erzählt. Britische Psychologen glauben, eine mögliche Erklärung für dieses verwunderliche Phänomen gefunden zu haben.

Handys sind zur unerbittlichen Grundausstattung vieler Menschen geworden. Und viele wollen unbedingt überall und immer erreichbar sein, aber auch jederzeit ihre Kommunikationsfähigkeit demonstrieren. Handys sind überdies zu einer Art Fessel, einer elektronischen Leine, geworden, um den Kontakt aufrechtzuerhalten, was auch heißt, um sich gegenseitig zu kontrollieren und zu überwachen. Stunden- oder gar tage- und wochenlang einfach untergetaucht zu sein, ist mittlerweile schon zu einem Affront geworden, der höchste Beunruhigung oder großen Verdacht evozieren kann.

Für die Unbeteiligten, um zum Thema zurück zu kommen, sind die ans Handy gefesselten Quatscher oft lästig, zumal sie auch gerne laut - der Gesprächspartner ist ja weit entfernt - sprechen und damit alle in der Nähe zwangsweise unterhalten. Vor allem dann, wenn es ansonsten ruhig und unkommunikativ zugeht, drängen sich die Quassler ihrer Umgebung auf.

Der Psychologe Andrew Monk und seine Mitarbeiter von der University of York wollten, wie sie in der Zeitschrift Behaviour and Information Technology (Hearing only one side of normal and mobile phone conversations) schreiben1, herausbekommen, warum Handy-Gespräche die unfreiwilligen Zuhörer nicht nur nerven, sondern sie auch dazu zwingen zu scheinen, ihnen zu lauschen. In einer früheren Studie hatte Monk bereits festgestellt, dass natürlich laute Stimmen die unfreiwilligen Zuhörer stärker belästigen.

Nach ihrer Hypothese verspüren wir die Neigung, einen Gesprächspartner verstehen zu wollen, wenn wir den anderen nicht hören können. Das sei bei einem Gespräch anders, bei dem alle Kommunizierenden zu hören sind, auch wenn die Lautstärke dieselbe ist. Um die Hypothese des "Zuhörzwanges" (need-to-listen) zu überprüfen, ließen sie Studenten entweder am Handy oder mit einer Kollegin/einem Kollegen eingeübte Gespräche in einem Zugabteil in der Nähe eines Reisenden führen, der nicht eingeweiht war. Der Inhalt war banal, es ging um einen Feiertag und eine Party bei einem Freund. Anschließend wurde der Mitpassagier gefragt, wie ärgerlich und aufdringlich er das Gespräch gefunden hat.

Die Befragten bestätigten die Hypothese und fanden die Gespräche am Handy, bei denen man nur eine Stimme hörte, oder Gespräche, bei denen nur einer zu hören war, als größere Belästigung, als wenn sie ein Gespräch hörten, an dem beide Gesprächspartner teilnahmen. Für das einseitige Gespräch gingen die beiden Studenten an der Versuchsperson vorbei und setzten sich dann hin. So sollte sicher gestellt werden, dass die Versuchspersonen wussten, dass dort zwei Personen waren. Es sei nicht ungewöhnlich, dass man bei den Geräuschen in einem Zug nur eine Person bei einem Gespräch hört, meint Monk. Niemand sei es zumindest aufgefallen, dass dies unnatürlich oder inszeniert gewesen sei.

Was also könnte der Grund für den Zuhörzwang sein, der in Zeiten der Handy-Kommunikation nur verstärkt, aber deutlich wird, wenn die Zeitgenossen immer häufiger für die Zuschauer und -hörer ins Leere reden? Wir werden, wenn wir nur die eine Seite hören, gewissermaßen in das Gespräch hineingezogen, weil wir durch Raten ergänzen wollen, was der unhörbar Andere gesagt hat, um Sinn in die Bruchstücke des Gehörten zu bringen. Vielleicht lauscht man auch deswegen, weil ohne einen sichtbaren Gesprächspartner, den wir archaischerweise erwarten, ja wir die Angesprochenen sein könnten. Da das Gegenüber fehlt, fühlt man womöglich den Zwang, diesen zu ersetzen, oder richtet die Aufmerksamkeit unwillkürlich auf das Gesagte, um bei Bedarf entsprechend reagieren zu können. Und wahrscheinlich ist der Zwang des Zuhörens stärker, wenn wir sehen, dass der Sprecher mit einem Abwesenden redet - zumal, wenn er dies mit einem Headset macht und wir zu unserer Beruhigung sicher stellen wollen, dass er nicht mit sich selber spricht.