Happy Birthday, Schweinesystem!

Seite 3: Autoritärer Kreislauf durch Identifikation mit der Ökonomie

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Die Angst vor dem blanken Elend und vor der totalen Entwürdigung in den Fängen der Arbeitslosenverwertung, die man zuvor begeistert gegenüber angeblichen "Sozialschmarotzern" bejahte, kroch langsam in die Büros und Arbeitsstellen der Angestellten. Sie lähmte den Widerstandswillen nicht nur gegen den im Gefolge der Agenda 2010 einsetzenden Lohnkahlschlag, sondern auch gegen die zunehmende Intensivierung der Ausbeutung, gegen die immer weiter vorangetriebene Verschärfung des Arbeitsregimes in der BRD. Das abschreckende Beispiel der Entrechtung ihrer arbeitslosen Klassengenossen führte zu einer Entmachtung der noch "in Arbeit" befindlichen Lohnabhängigen, die so ziemlich alles mit sich machen ließen, um bloß nicht "abzustürzen". Der Sadismus vieler Angestellter und Mittelschichstangehörigen, der die hohen Zustimmungswerte zu vielen Repressionsmaßnahmen gegen die arbeitslosen "Schnorrer" ermöglichte, bekam so eine masochistische Komponente.

Inzwischen werden die Lohnabhängigen in Deutschland buchstäblich in den Wahnsinn gehetzt, wie die extreme Zunahme von berufsbedingten psychischen Erkrankungen offenbart: Um 120 Prozent sei die Zahl der psychischen Erkrankungen unter Deutschlands "Arbeitnehmern" seit 1994 angestiegen, meldete etwa das Wissenschaftliche Institut der AOK Mitte August (Die kränkelnde Arbeitsgesellschaft). Die größten Steigerungsraten wurden dabei beim Burnout, dem "arbeitsassoziierten Erschöpfungszustand", konstatiert: Allein in den vergangenen sieben Jahren sind die auf diese ausbeutungsbedingte Erkrankung zurückgeführten Krankheitstage um das Elffache (auf 2,7 Millionen Fehltage) explodiert.

Anstieg Burnout-Fälle Deutschland (Daten

Diese irrsinnigen Tendenzen zur Arbeitshetze und Arbeitsverdichtung haben bekanntlich keine beständige Oppositionsbewegung entfacht, sie tragen vielmehr zur Verfestigung eines "autoritären Kreislaufs" bei all jenen Lohnabhängigen, die sich eine Alternative zur kapitalistischen Dauerkrise nicht vorstellen können. Der Sozialpsychologe Oliver Decker hat diese Ökonomisierung autoritärer und rechter Ideologien, die von der Agenda 2010 befeuert wurde, folgendermaßen auf den Punkt gebracht:

Die ständige Orientierung auf wirtschaftliche Ziele - präziser: die Forderung nach Unterwerfung unter ihre Prämissen - verstärkt einen autoritären Kreislauf. Sie führt zu einer Identifikation mit der Ökonomie, wobei die Verzichtsforderungen zu ihren Gunsten in jene autoritäre Aggression münden, die sich gegen Schwächere Bahn bricht.

Je stärker der Druck auf den autoritär fixierten Angestellten lastet, desto größer sein Bedürfnis, schwächere Menschen genauso ausgepresst und ausgebeutet zu sehen, wie er es selbst wird. Dieser "autoritäre Kreislauf" bildet auch den Morast, der Erniedrigungsshows wie dem "Dschungelcamp" ihre albtraumhaft hohen TV-Einschaltquoten ermöglicht (Bloch vs. Dschungelcamp). Der kausale Zusammenhang zwischen Verelendung und Entrechnung der Arbeitslosen und der Verschärfung der eigenen Arbeitsbedingungen wird hierbei in ausgeblendet und weicht irrationalen Reflexen von Hass und Sadismus, die den Boden für neofaschistische Krisenideologien bereiten.

Ein ähnlich gearteter kausaler Zusammenhang besteht auch zwischen der Intensivierung der Ausbeutung der "Ware Arbeitskraft" in der Bundesrepublik einerseits, sowie der Ausbildung der europäischen Schuldenberge andrerseits. Bevor die Agenda 2010 in Gestalt des deutschen Spardiktats zu einem europaweiten Exportschlager werden konnte, war sie die Grundlage der erfolgreichen Exportoffensiven der deutschen Industrie in der Eurozone. Dass real rückläufige Lohnniveau in Deutschland ging ja einher mit einer Steigerung der Produktivität der hoch entwickelten deutschen Industrie. Hieraus ergab sich eine für die Industrie sehr vorteilhafte Entwicklung der Lohnstückkosten (des Anteils der Löhne an den Kosten einer Ware) in Deutschland, die weit unter dem EU-Durchschnitt blieben.

Vergleich Anstieg Lohnstückkosten international.

Wie aus der obigen Grafik ersichtlich wird, die die Entwicklung der Lohnstückkosten zwischen 2000 und 2011 darstellt, weist Deutschland in dieser Kategorie den mit Abstand niedrigsten Anstieg auf, der selbstverständlich einen entscheidenden Faktor bei der Erringung der deutschen "Exportweltmeisterschaften" darstellte.

Mit der Euroeinführung und der damit einhergehenden Durchsetzung der Agenda 2010 explodierten folglich die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber der Eurozone, die sich inzwischen auf den gigantischen Betrag von rund 700 Milliarden Euro summieren. Die Lohnabhängigen in der Bundesrepublik mussten sich also die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft durch beständiges "Gürtel enger schnallen" vom Munde absparen. In Südeuropa - das aufgrund des Euro nicht mehr mit Währungsabwertungen auf die Exportoffensiven der deutschen Industrie reagieren konnte - führten die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse zur Ausbildung von Defiziten, von Schuldenbergen in eben demselben Ausmaß. Die Mathematik hat es nun mal so eingerichtet, dass der Überschuss des Einen zwangsläufig das Defizit des Anderen darstellt, auch wenn diese Tatsache zu den größten Tabus der deutschen Krisenideologie gehört. Die folgende Grafik visualisiert diese Explosion der Leistungsbilanzüberschüsse der deutschen Exportindustrie gegenüber den Ländern Eurozone, die im Gefolge von Euro-Einführung und Agenda 2010 einsetzte.

Leistungsbilanz Deutschland - Eurozone

Obwohl die Folgen der Agenda 2010 (Lohnkahlschlag, Prekarisierung, Arbeitsverdichtung) die Herausbildung dieser "europäischen Ungleichgewichte" entscheidend verstärkten, war es aufgrund der inzwischen eingeübten ideologischen Reflexe den deutschen Meinungsmachern ein Leichtes, nach den Hartz-IV-Empfängern nun auch die europäischen Krisenopfer zu Krisenverursachern zu stempeln. Die unter dem drakonischen deutschen Arbeitsregime stöhnenden Lohnabhängigen empören sich nun über die als faul und korrupt imaginierten Südeuropäer, für deren angebliche Schuldenexzesse nun die Zeche zu zahlen sei - der kausale Zusammenhang zwischen Lohnkahlschlag wie Arbeitshetze in Deutschland und der Verschuldung in Südeuropa blieb ausgeblendet.