Harry und die virtuelle Kammer des Schreckens
Electronic Arts bringt den zweiten Potter als Videospiel
Potterianer, denen die Passivität des Beobachters in Buch und Film nicht reicht, dürfen in Electronic Arts' Action-Adventure Harry Potter und die Kammer des Schreckens selbst in die Haut des jungen Zauberers schlüpfen, um als Harry zu entgnomen, Magierduelle auszutragen und Quidditch zu spielen.
An Harry Potter scheiden sich die Geister: Sind die Bücher genial oder trivial? Kann und vor allem darf man die Bücher verfilmen (Gib uns einen Fußtritt, oh Fremdling)? Darf man gar jene, die mit den Büchern vom Bildschirm befreit wurden, wieder mit einem Videospiel zurück an den Screen bannen? Electronic Arts darf - zumindest aufgrund der Rechte am Titel - und brachte bereits das Spiel zum ersten Teil für PS One, PC, Gameboy Color und Gameboy Advanced. In der Fortsetzung verzaubert Harry Potter zum ersten Mal die neue Spielekonsolengeneration mit GameCube, PS2 und XBox. Die GameCube-Version, die dem Text zugrunde liegt, ist mit der PS2- und XBox-Version weitgehend identisch, unterscheidet sich aber von der PC-Variante.
Anders als noch im ersten Teil des Videospiels, startet der Spieler nicht in Hogwarts, sondern darf bereits im Fuchsbau den Garten der Weasleys entgnomen und in der Winkelgasse einkaufen. Der virtuelle Einkaufsbummel führt den Spieler in die Bedienung des Spiels ein und zeigt gleich die grafische und akkustische Stärke des Spiels, das die Atmosphäre der virtuellen Zaubererwelt glaubhaft vermittelt dessen Straßen von Hexen und Zauberern bevölkert sind, mit denen sich Harry unterhalten kann. Gilderoy Lockhart und Lucius Malfoy haben wie im Buch ihre ersten Kurzauftritte in der Winkel- beziehungsweise Nokturngasse. Die vielleicht interessanteste Figur des Buchs, den Hauself Dobby, unterschlägt Electronic Arts dem Spieler. Hier verpassen Ron und Harry schlicht durch Trödelei den Hogwarts Express.
Mehr als dem Film verzeiht man dem Spiel, dass Harry der herausragende Held mit den Nebenfiguren Ron und Hermine ist. Die Bücher leben von der Stärke des Trios, der Film hebt bisweilen unnötig Harry hervor, im Spiel mit dem singulären Alter Ego ist diese Fokussierung unerlässlich. Hier befreit der Spieler in der Rolle des Harry bereits vor der eigentlich Ankunft Ron von der peitschenden Weide, eine nach den Vorstellungen des Buches nahezu unmögliche Aufgabe, kennt man nicht jenen Punkt, sie zu entschärfen, den Rowling aber erst im dritten Teil enthüllt.
Diese Freiheiten verleihen dem Spiel seinen eigenen Reiz, machen mehr daraus als eine virtuelle Nacherzählung, für die der Spieler jede Bewegung aus dem Buch kennt. Auch muss Harry sich später der Riesenspinne Aragog im Kampf stellen und im Quidditch wird kein besessener Klatscher in Verbindung mit einem Gilderoy Lockhart seinem Arm zum Verhängnis. Der Spieler hat vielmehr die Möglichkeit, den Pokal für Gryffindor zu erobern - und beim Quidditch ist es nun mal auch im Buch meist der Sucher, also Potter, der über Sieg- oder Niederlage entscheidet.
"Harry Potter und die Kammer des Schreckens" ist ein Action-Adventure im Stil von Zelda. Der Spieler muss keine tollkühnen Sprünge pixelgenau ausbalancieren sondern überwiegend die richtigen Schalter drücken und die passenden Zaubersprüche auf Objekte oder Gegner anwenden. Das Spiel überzeugt dabei mit schönen, geradlinigen Levels, wahrer Frust kommt jeoch bei manchen Sprüngen auf: Harry springt automatisch, ebenso automatisch passt sich die Kameraperspektive an - dreht sich die Kamera kurz vor dem Sprung, geht dieser ins Leere. Ansonsten ist die Steuerung mit drei Schnellzaubern und einer analogen Bewegung von Schleichen bis Rennen sehr gut.
Der Schwierigkeitsgrat ist moderat, und sollte Harry doch einmal zu Boden gehen, darf der Spieler sich am selben Raum erneut versuchen, muss also keine langen Wege vom letzten Speicherpunkt zurücklegen. In manchen Fällen verliert Harry dabei Hauspunkte - das Erreichen des Hauspokals ist aber dennoch kein großes Problem. Die sicherlich größte Herausforderung ist der Gewinn des Quidditch-Pokals, denn im Spiel gegen Slytherin gehen nicht nur die Gegenspieler heftig zur Sache, sondern Draco Malfoy ist im Spiel ein überaus geschickter Sucher.
Seltsam mutet die Zeiteinteilung des Spiels an, mit der Harry Potter dem christlich Allmächtigen Konkurrenz macht, indem er das Schuljahr nebst Erkundung der Geheimnisse um die Kammer des Schreckens und Quidditch-Turnier in sechs Tagen beendet und sich am siebten mit seinem Hauspokal ausruhen darf. Tagsüber lernt der Zauberschüler neue Sprüche und spielt Quidditch, in der Nacht wendet er sich den Geheimnissen um das Erbe Slytherins zu. Nebenbei darf er nach Belieben Hogwarts erkunden und dabei Magierkarten sammeln sowie von seinen Mitschülern verlorene Gegenstände suchen. Der Spieler ist gut beraten, dies auch in vollem Maße zu tun. Zwar nützen die Extras nur bedingt - für je 10 Karten steigt Harry Lebensenergie - aber wer sich nur auf die Aufgaben seines Erinnermichs beschränkt, hat das Spiel nach wenigen Stunden durchgespielt.
Die Entwicklerschmiede Eurocom hat mit "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" ein grafisch detailliertes virtuelles Hogwarts geschaffen, das Harry nicht nur von innen sondern mit seinem Nimbus 2000 auch äußerlich erkunden darf. Leider ist dieses Hogwarts zwar geräumig und mit zahlreichen Figuren aber mit zu wenig Aufgaben gefüllt. So gibt es keine Überraschungen, keine Minispiele, die auch nach dem Durchspielen Wiederholungswert haben. Auch bleibt die Welt dem Einzelspieler vorenthalten, obwohl sich zumindest Quidditch und das Magierduell durchaus für einen Zweispielermodus eignen.
Dafür dass sich der Titel eigentlich schon selbst verkauft, ist das Spiel mit erstaunlich viel Aufwand und auch Liebe zum Detail entwickelt. Der Ausflug in die Welt des Harry Potter ist ein Genuss für jeden Potterianer, der nur leider zu kurz ausfällt. "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" ist kein schnelles Geschäft mit den Rechten, aber auch keine Konkurrenz für Zelda.