Hartz IV für Anfänger: Zweite Ernte auf dem Schuldenberg

Seite 2: Das Inkasso-Universum

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Diese Dienstleistung hat für die Betroffenen ihren Preis: Kleinforderungen von zehn oder 20 Euro steigen oft schon mit dem ersten Inkasso-Schreiben auf an die 100 Euro; werden Mahn- und Vollstreckungsbescheide beantragt, Ratenzahlungen vereinbart, steigen die Kosten weiter.

Beispiel: Die Familie zahlt die Raten für den Kredit für die neue Waschmaschine nicht mehr, die Restsumme von 600 Euro wird daraufhin fällig gestellt, also sofort zur Rückzahlung fällig. Ein Inkassounternehmen wird eingeschaltet, das mit dem ersten Brief einen sogenannten Verzugsschaden von 124 Euro geltend macht.

Jetzt einigen sich die Eltern mit dem Inkassounternehmen auf eine Ratenzahlung von 50 Euro im Monat zum Zinssatz von fünf Prozent über dem Basiszinsatz, das ergibt wegen des negativen Basiszinssatzes von -0,88 Prozent einen Zins von 4,12 Prozent. Für die Ratenzahlung stellt das Inkassounternehmen 96 Euro in Rechnung. Die Gesamtforderung beträgt also nun 820 Euro. Am Ende wären hier auf eine Restforderung von 600 Euro 839,72 Euro gezahlt worden.

Kein Einzelfall

Und dies ist kein Einzelfall: Einkommen und Konsumverhalten wurden bewusst hoch angesetzt, um damit zu demonstrieren, dass fast jeder betroffen ist. Doch die Wahrscheinlichkeit, mit Schulden und Inkassounternehmen in Kontakt zu kommen, steigt, je niedriger das Einkommen, je enger das Spannungsfeld aus Wohnkosten und Einnahmen ist: Denn in einem unterscheiden sich Menschen nicht - man hat Wünsche und man hat Notwendigkeiten.

Ein Niedriglohn oder Hartz IV lassen wohl nie Raum für Rücklagen, Ausgaben für notwendige Anschaffungen oder den größeren Wunsch. Und Unternehmen haben dafür eine einfache Lösung: Ratenzahlung, Rechnungskauf.

Und wenn das schief geht, treten, wie gesagt, die Inkasso-Unternehmen auf den Plan, um die Forderung einzutreiben. Und um dabei eben auch gleich die "zweite Ernte" einzubringen.

Wenn das Inkasso in Aktion tritt, wird es schnell sehr teuer, und das schon bei kleinsten Forderungen. Würden Banken solche Zinssätze anbieten - Politiker, Öffentlichkeit, Verbraucherschützer würden wohl auf die Barrikaden gehen. Doch im Fall der Inkassounternehmen sind die Reaktionen das völlige Gegenteil: Das sei halt "Lehrgeld", Rechnungen müsse man halt bezahlen oder die gerechte Strafe dafür hinnehmen, die Unternehmen wollten eben ihr Geld, heißt es in Politik und Öffentlichkeit, so sie das Thema überhaupt wahrnehmen.

Geschäftsmodell "Verzugsschaden"

Nur: Die Gesetze sehen weder Lehrgeld noch Strafe vor, so lange man sich im Zusammenhang mit den Schulden nicht strafbar gemacht hat. Vorgesehen ist vielmehr, dass jemand, der mit der Zahlung in Verzug gerät, den Schaden zu erstatten hat, der dadurch entsteht. Und die Inkassokosten sind ein solcher "Verzugsschaden", theoretisch jedenfalls, denn wenn es um Inkassounternehmen geht, wird alles unfassbar kompliziert und oft auch undurchschaubar.

Zunächst einmal ein paar "Basics": Im Jahr 2013 hatte die Bundesregierung, mit großer Fanfare, ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Inkassokosten regulieren sollte. Denn bis dahin machte jedes Unternehmen seine eigenen Preise, und so manche Firma entfaltete dabei große Kreativität. Und wie immer in solchen Fällen war es die Gerichtsbarkeit, die im Streitfall, und den gab es oft, das letzte Wort hatte.

Das "Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken"

Also brachte die damalige Koalition aus CDU / CSU und FDP das "Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken" auf den Weg: Fürderhin sollten Inkassounternehmen neue Informationsplichten haben, die Aufsicht verbessert werden. Doch besonders ließ man sich hierfür feiern: Künftig sollten Inkasso-Unternehmen Schuldnern nur noch das in Rechnung stellen dürfen, was auch ein Anwalt abrechnen dürfte.

Kurz erläutert: Anwälte rechnen nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ab. Dabei wird zunächst einmal auf den Gegenstandswert geschaut, im Fall von Schulden ist das die Hauptforderung, also beispielsweise die noch offenen 600 Euro für die Waschmaschine. Der Höhe des Streitwerts ist eine sogenannte "Wertgebühr" zugeordnet: Bei Streitwerten von bis zu 500 Euro sind das 45 Euro, für jeden angefangenen Betrag von 500 Euro kommen bis 2.000 Euro 35 Euro hinzu. Bei 600 Euro liegt die Wertgebühr also bei 80 Euro.

Als nächstes kommen dann die Rahmengebühren ins Spiel: Dabei handelt es sich um Faktoren; die oben genannten Wertgebühren entsprechend dem Faktor 1,0. In der Anlage 1 des RVG werden die Faktoren festgelegt, die für einzelne Tätigkeiten verlangt werden können.

Vor allem bei der Geschäftsgebühr (Nummer 2300), also dem, was ein Anwalt zu Beginn seiner Tätigkeit in Rechnung stellt, und auch von den Inkassounternehmen mit dem ersten Schreiben gefordert wird, liegt die Bandbreite bei zwischen 0,5 und 2,5, wobei mehr als 1,3 nur verlangt werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Hinzu kommt eine Auslagenpauschale (Nummer 7002) von 20 Prozent der Gebühr und maximal 20 Euro.

In Geld ausgedrückt: Liegt die Forderung bei unter 500 Euro, können zwischen 27 Euro (22,50 Euro + 4,50 Euro Auslagenpauschale) und 70,20 Euro (58,50 Euro + 11,70 Euro Auslagenpauschale) verlangt werden. Im Fall der Waschmaschine können indes zwischen 48 Euro (inklusive Auslagen) und 124,80 Euro gefordert werden.

Die Feinheiten

Einmal abgesehen davon, dass die vermeintliche gesetzliche Verbesserung tatsächlich keine war, weil die Gesetzgeber nahezu zeitgleich auch am RVG geschraubt haben und ein zuvor geltende Wertgebührenstufe für Kleinforderung strichen, was die Inkassokosten gerade für sehr niedrige Forderungen erheblich erhöhte: Die arg technisch anmutenden Feinheiten des RVG haben es in sich mit enormen Folgen für die Schuldner.

Denn wie selbstverständlich genehmigen sich sehr viele Inkassounternehmen grundsätzlich immer eine 1,3-Gebühr. Und so passiert es, dass jemand, der 2,99 Euro für ein Online-TV-Abo nicht gezahlt hat, plötzlich dafür 73,19 Euro zahlen soll und natürlich bietet man auch gerne eine Ratenzahlung an. Und stellt dafür eine 1,0-Gebühr in Rechnung.

Alle Jahre wieder vermelden die Medien die Existenz eines riesigen Schuldenberges in Privathaushalten. Wenn man sich anschaut, wie hoch die Inkassokosten ausfallen, dann kann man ungefähr vermuten, wie groß der Anteil dieser Kosten am Schuldenberg ist.

Es ist ein lukratives Geschäft, daran besteht kein Zweifel, so lukrativ, dass manches Unternehmen auf die Idee gekommen ist, selbst ein Inkassounternehmen zu gründen, um die eigenen Forderungen beizutreiben. Eigentlich dürfen verbundene Unternehmen keine Inkassokosten in Rechnung stellen.

Doch meist kann man die Nähe von Auftraggeber und Inkasso erst auf den dritten oder vierten Blick erkennen und die wenigsten Betroffenen schauen überhaupt genau hin: Es ist, wie gesagt, eine undurchschaubare Welt und die Aussicht auf Mahn- und Vollstreckungsbescheide, auf noch höhere Kosten, der oft drohende Ton in den Schreiben der Unternehmen, verfehlen ihre Wirkung oft nicht.

Dabei wirft die Thematik durchaus Fragen auf: Ist es berechtigt, dass Inkasso-Unternehmen eine 1,3-Gebühr verlangen? Gemäß RVG muss der Anwalt die Rahmengebühr nach "billigem Ermessen" an Hand der zu erwartenden Schwere und des Umfangs des Auftrags zu bestimmen.

Vereinfachtes Mahnverfahren

Und der Advokat ums Eck wird sich zunächst die Unterlagen der Mandantschaft anschauen, dann hinsetzen, ein Schreiben an die Gegenseite diktieren, dann vielleicht auf die Reaktion antworten. Im Fall der Nichtzahlung würde der Anwalt dann einen Mahnbescheid, danach dann einen Vollstreckungsbescheid beantragen.

Kurz erklärt: Beim sogenannten "vereinfachten Mahnverfahren" wird zunächst ein Mahnbescheid beantragt, bei dem das Mahngericht aber in den meisten Fällen nicht prüft, ob die geltend gemachten Forderungen berechtigt sind. Der Empfänger hat dann zwei Wochen Zeit, um zu widersprechen; in diesem Fall geht die Sache ins "streitige Verfahren" über: Der Kläger muss dann Gerichtsgebühren einzahlen und die Klage begründen.

Wird kein Widerspruch eingelegt, kann dann der Vollstreckungsbescheid beantragt werden, und sobald der rechtskräftig ist, bleibt er dies auch für 30 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem er erlassen wurde. Für den Antrag auf Mahn- und Vollstreckungsbescheid, für spätere Vollstreckungsmaßnahmen stellt der Anwalt dann weitere Gebühren in Rechnung.

Und in dieser Konstellation ist der Fall recht eindeutig: Der Anwalt erfüllt den Auftrag seiner Mandantschaft und stellt dafür dem Mandanten die im RVG festgelegten Gebühren in Rechnung. Der Mandant hat also durch die Einschaltung des Anwalts einen Schaden erlitten, denn die Gegenseite, so die Forderung berechtigt ist, zu erstatten hat.