Hartz IV für Anfänger: Zweite Ernte auf dem Schuldenberg
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Wie Unternehmen Geld damit verdienen, wenn man selbst kein Geld hat
Es ist alles in Ordnung. Früh morgens sitzt die vierköpfige Familie am Frühstückstisch der 75 m²-Wohnung in Dreieich-Sprendlingen, einer der Kleinstädte, die die Landschaft prägen, sobald man einige Kilometer weit aus Frankfurt am Main hinausgefahren ist.
Hierher zieht man, um der Hektik, den gewöhnungsbedürftigen Wohnviertel der beiden ziemlich nahtlos ineinander übergehenden Metropolen Frankfurt (am Main) und Offenbach, zu entgehen; es gibt Natur und sympathische Neubauten, die im Laufe der vergangenen Jahre auf der grünen Wiese hochgezogen wurden, zu angenehmen Mietpreisen, wenn man die Frankfurter Verhältnisse im Kopf hat.
800 Euro kalt zahlt die Familie hier und 200 Euro Nebenkosten. Vielleicht hat die Familie auch gebaut: In den vergangenen Jahren wurden überall hier in der Gegend neue Baugebiete ausgewiesen, auch daraus entsteht eine monatliche Belastung für das Wohnen von irgendwas um die 1.000 Euro.
Keine finanziellen Sorgen, Sprünge sind drin
Der eine der beiden Erwachsenen verdient exakt das Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmern in Vollzeit im Jahr 2018, also 3.770 Euro brutto; das ist ein Nettogehalt von irgendwo um die 2.680 Euro. Hinzu kommt zwei Mal Kindergeld, zusammen 388 Euro. Die Familie hat also ein monatliches Gesamteinkommen von ungefähr 3.068 Euro. Davon gehen, wie gesagt, 1.000 Euro fürs Wohnen ab, dann noch mal 100 Euro für Strom.
Es ist also in Ordnung; man hat genug, man muss sich keine Sorgen, man kann Sprünge machen: Handys samt Vertrag für alle, das TV-Paket mit allen Kanälen, zwei Autos, finanziert, denn Autos, das ist der Nachteil hier draußen, die braucht man schon. Der örtliche Verkehrsverbund RMV ruft zwar üppige Preise auf, hat es aber nicht so mit regelmäßigen Verbindungen auf dem Land oder der Pünktlichkeit.
Und so ist die Liste der laufenden Verträge und Kredite ziemlich schnell immer länger geworden, haben die Kosten dafür irgendwann die 1.000 Euro erreicht, denn warum die neue Waschmaschine, den neuen Fernseher auf einen Schlag bezahlen, wenn man auch in Raten zahlen kann?
Mittelschicht und die Hartz IV- Debatte
Man sitzt also morgens zusammen, und vielleicht wischt einer auf dem iPad Pro durch die Nachrichten, liest, dass das Rentenniveau stabilisiert, die Mietpreisbremse verbessert werden soll, und dass die Parteien jetzt über ihre Hartz-IV-Konzepte streiten, und wahrscheinlich geht es den Leuten so wie vielen Mittelschichtlern, die auf die Debatte mit unbetroffener Gleichgültigkeit reagieren, oder die mit einer gewissen Wut auf die Sozialstaatspläne reagieren.
Da will man also wieder mal den "Leistungsträgern" in die Tasche greifen, um diese Leute durchzufüttern; sollen sie doch mehr Eigenverantwortung übernehmen, sich endlich mal selbst kümmern; auch wenn es sich bei der Familie um ein Beispiel handelt, entstammt die Ausgabenstruktur und Reaktionen realen Situationen.
Die Debatte über den Sozialstaat wird derzeit vielfach auf einem oberflächlichen Niveau geführt: Schlagwörter werden angeführt, aber nicht erklärt, und sehr oft ist das Ergebnis, dass das Wichtigste dabei unverstanden bleibt: Es geht nicht allein um Sanktionen, um die Frage, wie viel Mitwirkung man von einem Leistungsbezieher verlangen kann, soll oder muss, und es geht nicht nur darum, wie man Arbeitslosen einen Arbeitsplatz verschafft.
Hartz IV ist, wenn man sich die Dinge einmal genau betrachtet, nicht mehr nur eine Leistung, die einspringen soll, um das Existenzminimum zu sichern. Der Begriff muss vielmehr auch als Synonym für ein Spannungsfeld gesehen werden, in dem ein Missverhältnis aus Wohnkosten, Einkommen und persönlichem Konsum dazu führen kann, dass auch Gutsituierte jederzeit in eine bedrohliche Situation geraten können und das oft aus Gründen, die mit Hartz IV selbst nichts zu tun haben.
Die Fallbeispiele sollen dabei helfen zu verstehen, wie Lebenswege in bestimmten Situationen verlaufen würden, welche Herausforderungen sich dabei stellen.
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Der Schock
Mittags kommt in der Beispielfamilie der Schock: Der Arbeitnehmer in der Familie wird gekündigt. In diesem Fall beträgt das ausgezahlte Arbeitslosengeld I gemessen an den Beispielzahlen 1.732,20 Euro, zuzüglich Kindergeld sind das 2.120,20 Euro.
Wird der Arbeitnehmer nicht arbeitslos, sondern für länger als sechs Wochen (also die Dauer der Lohnfortzahlung) krank, beträgt das ausgezahlte Krankengeld nach sechs Wochen 2.412 Euro, plus Kindergeld macht das zusammen 2.800 Euro.
In beiden Fällen besteht weder ein ALG II- noch ein Wohngeldanspruch. Und es droht eine Situation zu entstehen, mit der viele, denen es gut geht, die gesund sind, einen festen Job haben, nicht rechnen, wenn sie ihre Verträge abschließen: Überschuldung.
Zu Erinnerung: Hier wurden Verträge für gut 1.000 Euro abgeschlossen; im Fall der Arbeitslosigkeit stehen der Familie also nur noch 120,20 Euro an verfügbarem Einkommen zur Verfügung, im Krankheitsfall bleiben wenigstens noch 800 Euro, und eine Vorbereitungszeit von sechs Wochen, was immer das auch wert sein mag, wenn man Verträge am Laufen hat, die man kurzfristig nicht los wird.
Hinzu kommt: Wer krank ist, braucht in der Regel Ärzte, und die sind in einer Kleinstadt in Deutschland oft eine Autofahrt weit entfernt; man hat also zusätzliche Ausgaben für Fahrtkosten und Zuzahlungen für Medikamente. Hilfsmittel, Krankenhaus, Physiotherapie. Bei dem Einkommen der Beispielfamilie sind zwischen 293,52 Euro (wenn ganzjährig Krankengeld bezogen wird) und 600 Euro (wenn ganzjährig Erwerbseinkommen bezogen wurde) im Jahr zu zahlen, bis die sogenannte Belastungsgrenze erreicht ist.
Kurz erklärt: Laut Gesetz fallen für bestimmte Behandlungen und Medikamente, Zuzahlungen von mindestens fünf, maximal zehn Euro an, für Krankenhausaufenthalte sind zehn Euro am Tag für bis zu 28 Tage zu zahlen, bis die Belastungsgrenze von zwei Prozent, bei chronisch Kranken von einem Prozent der jährlichen Bruttoeinnahmen der Familie erreicht sind. Kindergeld wird nicht als Einkommen gewertet.
Dass der Partner, die Partnerin auf die Schnelle eine Job findet, stößt hier, in "Kleinstadt-Deutschland", auf einige Hürden: Jobs vor Ort gibt es kaum, man muss sich in einer der größeren Städte umsehen und hat dann die entsprechenden Fahrtkosten, die dazu führen, dass sich 450 Euro Jobs nicht mehr rechnen.
Es geht ans Eingemachte
Man hat also auch hier eine Situation, in der es im Ernstfall schnell ans Eingemachte geht, und das allein auf Grund des Ausgabenverhaltens. Eine Absicherung dagegen ist nur bedingt möglich: Man kann die Einkommenslücke beim Krankengeld absichern, und für einiges Geld auch eine Zusatzversicherung für die Zuzahlungen abschließen.
Im Fall der Arbeitslosigkeit jedoch liegt die einzige Chance darin, so schnell wie möglich einen neuen Job zu finden, der ausreichend gut bezahlt ist.
Doch bis das passiert ist, sind mit einiger Sicherheit einige Rechnungen nicht bezahlt worden, und je länger es dauert, desto größer ist die Chance, dass Unternehmen Verträge kündigen oder Kredite fällig gestellt werden: In diesem Fall wird der gesamte Betrag zur Rückzahlung fällig.
Viele werden an dieser Stelle sagen, dass ihnen das niemals passieren würde, dass man rechtzeitig gegensteuern wird. Doch man muss sich auch bewusst sein: Viel wird über Hartz IV, über die Rente gesprochen.
Doch die Welt der Verträge und Schulden, die Gesetzgebung, die dahinter steht, ist ein Universum für sich selbst, ein Universum, in dem es nicht nur darum geht, dass Vertragspartner irgendwie ihr Geld bekommen, wenn der Kunde nicht zahlen kann oder nicht zahlen will, sondern in der auch findige Unternehmen mit dem Schuldenberg selbst Geld verdienen wollen und so eine Art "zweite Ernte" einbringen.
Denn ganz gleich ob beim Handy-Ticket für den örtlichen Verkehrsverbund, ob beim Versandhändler, der zurückgegebenen Kartenzahlung oder der Hausbank: Bleiben Zahlungen aus, geht die Forderung ziemlich schnell an eines der vielen Inkasso-Unternehmen, die in Deutschland versprechen, offene Forderungen beizutreiben.