Hass auf Moskauer, Juden und "andere Unreine"
In der ukrainischen Pro-EU-Bewegung mischen Rechtsradikale mit
Die Szene hätte aus einem Science-Fiction-Film stammen können, so skurril und brutal war das, was sich am Sonntag nicht weit vom ukrainischen Präsidialadministration und nur 500 Meter vom Kiewer Maidan abspielte. Jugendliche mit schwarzen Masken ließen ihre schweren Kette mehrmals über dem Kopf kreisen, um sie in den Reihen der Polizisten niedergehen zu lassen. Andere zum Sturm auf den Amtssitz des Präsidenten in Bankowa-Straße bereite Militante trugen Tarnanzüge, Gasmasken, schusssichere Westen. Sie warfen Pflastersteine und Molotow-Cocktails und sprühten Reizgas in die Reihen der jungen Polizisten. Diese standen untergehakt und dichtgedrängt und hatten außer ihren Helm nichts, um sich zu schützen, weder Schutzschilder noch Schlagstöcke. Es war ein ungewohntes Bild. In diesen Stunden, am Sonntagnachmittag, sah man die Polizisten als Opfer und nicht als brutale Angreifer.
Wer waren die Vermummten?
Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums beteiligten sich am Sonntag an dem Sturm auf die Präsidialverwaltung (Die ukrainische Pro-EU-Bewegung will nicht aufgeben), das Gewerkschaftshaus und den Stadtrat von Kiew Mitglieder der Partei Bratstwo (Brüderschaft). Ukrainische Internetmedien berichteten, auch Mitglieder der Partei Swoboda (Freiheit) seien an diesen Aktionen beteiligt gewesen. In beiden Gebäuden wurden von Vermummten Fenster eingeschlagen und Türen aufgebrochen.
Im Stadtrat tagt nun ein "Revolutionsrat". Im Gewerkschaftshaus nahm ein "Stab des nationalen Widerstands" seine Arbeit auf. Dem Stab gehören Vertreter der drei Oppositionsparteien an: Vaterland (Julia Timoschenko/Arseni Jazenjuk), Swoboda (Oleg Tjagnybok) und Udar (Vitali Klitschko). Die Polizei verhaftete elf Personen, die an den Angriffen auf die drei öffentlichen Gebäude beteiligt waren.
Karriere eines ukrainischen Nationalisten
Wer steht hinter der Organisation Bratstwo? Die Organisation wurde 1999 von Dmytro Kortschynsky, einem der bekanntesten ukrainischen Nationalisten gegründet. Einige Journalisten in Kiew meinen, Kortschynsky sei ein Agent des russischen Geheimdienstes, weil seine Aktionen dem Image der Ukraine immer wieder schaden und die Schlacht vor der Präsidialverwaltung eine Falle war. Doch Belege dafür gibt es nicht.
Kortschynsky hat für einen Nationalisten eine "einwandfreie" Biographie. 1990 gehörte er in Lviv zu den Gründern der Ukrainische Nationalversammlung (UNA), die auch einen militärischen Flügel - die Ukrainische Nationale Selbstverteidigung (UNSO) - hat. Beide Organisationen stehen in der Tradition der 1929 in Wien gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). 1997 verließ Kortschynsky die UNA-UNSO nach einem Streit. Militärische Erfahrungen sammelten Kortschynsky und seine Kameraden in drei Kriegen. Von 1992 bis 1994 kämpften UNSO-Mitglieder in Transnistrien zusammen mit russischen Nationalisten für "angestammte ukrainische" und "russische Erde" gegen die Moldauer Zentralregierung. 1996 bis 2003 kämpften UNSO-Mitglieder gegen russische Truppen in Tschetschenien und 2008 - im russisch-georgischen Krieg - kämpften nach Mitteilung des russischen Ermittlungskomitees 200 UNA-UNSO-Mitglieder auf Seiten der Georgier.
"Die Ukraine den Ukrainern" - der Aufstieg von Oleg Tjagnybok
Dass die Rechtsradikalen in der Ukraine nicht nur zu brutaler Gewalt fähig sind, sondern auch zunehmenden Einfluss in der Bevölkerung haben, zeigt der Aufstieg von Oleh Tjagnybok. Der Mann mit dem meist grimmigen Blick steht bei Pressekonferenzen immer neben Vitali Klitschko und Arseni Jazenjuk. Alle drei sind die Sprecher der pro-europäischen Protestbewegung. Doch Tjagnybok steht für alles andere als humane, europäische Werte.
1991 gehörte er zu den Gründern der Sozial-Nationalen Partei der Ukraine (SNPU), deren Mitglieder gerne in schwarzen Uniformen auftraten und vor dem Parlament Krawalle inszenierten. Als offizielles Symbol verwendete die Partei eine modifizierte Wolfsangel, wie sie auch von der SS-Division "Das Reich" verwendet wurde.
Auf einer Versammlung im Juli 2004 sprach der Parteigründer Klartext. Er lobte die militärischen Leistungen der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), den bewaffnete Arm der OUN, der im Zweiten Weltkrieg an der Seite der deutschen Wehrmacht kämpfte:
Sie hatten keine Angst, so wie wir jetzt auch keine Angst haben sollen, sie nahmen das Maschinengewehr auf den Hals und gingen in den Wald, sie bereiteten sich vor und kämpften gegen die Moskauer, sie kämpften gegen die Deutschen, sie kämpften gegen die Juden und gegen andere Unreine, welche uns unseren ukrainischen Staat nehmen wollten … Man muss die Ukraine schließlich den Ukrainern geben. Ihr, junge Leute, und ihr, Grauhaarige, das ist die Mischung, vor der die Moskauer jüdische Mafia, die heute die Ukraine regiert, am meisten Angst hat.
Das Außenministerium Israels warf dem Parteiführer Antisemitismus vor. Der spätere Führer der orangenen Revolution und Präsident, Viktor Juschtschenko, schloss Tjagnybok aus seinem Wahlblock "Unsere Ukraine" aus. Ein ukrainisches Gericht wollte die Äußerung jedoch nicht als ungesetzlich bewerten.
Weg vom NS-Image
Im Februar 2004 benannte Tjagnybok die SNPU in "Swoboda" (Freiheit) um, ein kluger Schachzug, wie sich herausstellte. Die Partei verwendet als Symbol jetzt nicht mehr die anrüchige Wolfsangel, sondern drei hochgestreckte Mittelfinger auf einer hellblauen Flagge. Zu den Kernpunkten der umbenannten Partei, deren Vorsitzender Tjagnybok wurde, gehört ein Staatsbürgerrecht, das nur die als Bürger der Ukraine anerkennt, welche die ukrainische Sprache und die Landeskunde beherrschen. An den Schulen soll - bis auf die Sonntagsschulen - nur in ukrainischer Sprache unterrichtet werden. Die Kommunistische Partei soll verboten und der Staatsapparat von "Agenten Moskaus" gesäubert werden. Mit den USA und Großbritannien sollen zweiseitige Vereinbarungen über gegenseitige Militärhilfe im Falle einer Aggression geschlossen werden.
Nach der Umbenennung stieg die Wählerschaft von Swoboda rapide an. Während für die Vorläuferpartei bei der Parlamentswahl 1998 nur 0,17 Prozent der Wähler gestimmt hatten, erhielt "Swoboda" bei den Parlamentswahlen 2012 10,44 Prozent der Stimmen und zog mit 37 Abgeordneten in die Werchowna Rada ein. Ihre größte Anhängerschaft - mit 31 bis 38 Prozent der Wähler - hat die Partei in den drei westukrainischen Gebieten Lviv, Iwano-Frankiwsk und Ternopil. Swoboda schafft es offenbar immer besser, die Unzufriedenheit der Menschen über die wirtschaftliche und politische Dauerkrisen in der Ukraine auf ihre nationalistischen Mühlen zu lenken.