"Hass im Netz" als Türöffner

Was, wenn der Staat, der vor "Hass im Netz" schützen soll, selbst übergriffig wird? Symbolbild: Pete Linforth auf Pixabay (Public Domain)

Auch beim Netzdurchsetzungsgesetz geht es um den Ausbau des repressiven Staates

Seit 1. Februar 2022 müssen große Anbieter sozialer Netzwerke potenziell strafrechtlich relevante Inhalte dem Bundeskriminalamt (BKA) melden. Das entstammt einer Neuregelung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das bereits Mitte 2020 im Bundestag beschlossen wurde.

Dabei war es natürlich ein geschickter Schachzug, von einem Gesetz gegen Rechtsextremismus und Online-Hetze zu reden. So könnte Kritik an einer weiteren Stärkung der repressiven Staatsapparate klein gehalten werden. Von linker und linksliberaler Seite, woher sonst immer wieder begründete Kritik an Gesetzesverschärfungen kommt, wurde allerhöchstens moniert, dass das Gesetz nicht schon früher verabschiedet wurde oder nicht noch durchgreifender geregelt ist.

Dabei dürfte allen Beobachtern klar sein, dass ein solches Gesetz sich eben nicht nur gegen Rechts richten wird. Hier werden gesetzliche Instrumente geschmiedet, die ebenso gut auch gegen linke Aktivisten und Autoren zur Anwendung kommen können. Kürzlich wurde vor dem Amtsgericht Fulda ein Mann zu einer Geldstraße verurteilt, weil er auf einer antirassistischen Demonstration die Parole "Nazis Morden, der Staat schiebt ab – es ist das gleiche Rassistenpack" gerufen hatte.

Dies wurde vom Gericht als Beleidigung der Polizei und als Schmähkritik gewertet, auch wenn die Parole an keinen bestimmten Polizisten, sondern an die Polizei als Organisation allgemein gerichtet war. Wird eine solche Parole nicht mit der Neuregelung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes nicht auch bald Gegenstand von juristischen Ermittlungen sein, wenn sie in den sozialen Medien auftaucht?

"Das neue Gesetz wird ein Kraftakt"

Das ist nur ein Beispiel dafür, wie das Gesetz die Handhabe für juristische Ermittlungen schafft. Die Schranke würde dann vor allem in der begrenzten personellen Kapazität der Dienste liegen. Mag es auch einfach sein, über einen Algorithmus inkriminierte Texte zu finden, für die Ermittlungen braucht das noch immer viel Personal. Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, der das Gesetz begrüßt, hat die Größenordnung des Ermittlungsaufwands angesprochen.

Auf die Staatsanwaltschaften würden jährlich etwa 150.000 neue Fälle zukommen. "Die Länder müssen die Strafjustiz deutlich verstärken", fordert Rebehn. Für Gerichte und Staatsanwaltschaften, die schon heute am Limit arbeiten, wird das neue Gesetz ein Kraftakt", so der Jurist.

Gegen die Forderung nach immer neuen Gesetzen

Zu den fundierten Kritikern des Gesetzes gehörte der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Ulrich Kelber. Er erklärte bereits frühzeitig in einer Stellungnahme, dass der Entwurf zahlreiche Vorschläge enthält, die deutlich über den Bereich von Hasskriminalität und Rechtsextremismus hinausgehen. Ob mit dem Entwurf die verfolgten Ziele erreicht würden, erscheine ihm deshalb "mehr als fraglich", so Kelber.

Gleichzeitig enthalte der Entwurf "erhebliche Eingriffe in Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger". Darunter fällt etwa die geplante Meldepflicht. Demnach müssten Betreiber sozialer Netzwerke, die mehr als zwei Millionen aktive Nutzer haben und in den Geltungsbereich des NetzDG fallen, ihnen gemeldete Hasspostings gegebenenfalls an das Bundeskriminalamt (BKA) weiterreichen.

Hier sieht Kelber die Gefahr, dass so wieder eine zentrale bundesweite Verfolgungsbehörde geschaffen wird, die schließlich lange Zeit aus historischen Gründen im Nachkriegsdeutschland abgelehnt wurde.

Damit wird der Schwerpunkt der praktischen Tätigkeit zunächst nicht bei den Ländern liegen, sondern zentral zum Bund verschoben. Die betroffenen Straftaten – bzw. hier: Sachverhalte mit strafrechtlichem Anfangsverdacht – bewegen sich aber in einem rechts-dogmatisch höchst komplexen Umfeld. So ist zu hinterfragen, in welchen Fällen "konkrete Anhaltspunkte" für die genannten Straftaten vorliegen und wie die Anbieter der sozialen Netzwerke dies künftig beurteilen sollen.


Aus der Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten

Kelber erinnert gibt sich zudem dankenswerterweise daran, dass die Forderung nach immer neuen und schärferen Gesetzen oft erfolgt, obwohl die bestehen gesetzlichen Möglichkeiten noch nicht einmal ausgeschöpft werden. Kelber spricht hier von einem Vollzugsdefizit. Das ist allerdings kein Versehen oder Fehler, sondern hat System.

Immer wieder wird in der Sicherheitspolitik nach neuen und schärferen Gesetzen gerufen, obwohl die bestehenden Regelungen noch längst nicht ausgeschöpft sind. Dafür werden immer besondere Gelegenheiten genutzt, beispielsweise, wenn eine Demonstration mal wieder nicht in den Bahnen geblieben ist, die der bürgerliche Staat dafür vorschreibt, wird nach Verschärfungen beim Demonstrationsrecht gerufen.

Wenn wieder mal populistisch das Thema Kriminalität von Menschen ohne deutschen Pass durch die Medien gezerrt wird, werden sich sofort Politiker finden, die für eine Verschärfung der Abschiebegesetze plädieren. Es geht dabei immer darum, die repressiven Staatsapparate weiter auszubauen.

Es gehörte lange Zeit zur vornehmsten Aufgabe einer linken und auch linksliberalen Staatskritik, für einen Abbau dieser überladenen Staatsapparate einzutreten. Sie lehnten den Ruf nach immer neuen und schärferen Sicherheitsgesetzen als populistische Erzählung ab, mit der suggeriert wird, politischen und sozialen Probleme könnte mit autoritärer Staatlichkeit begegnet werden.

Doch gegen das Netzdurchsetzungsgesetz waren solche fundamentalen Einwände kaum zu hören, obwohl es genügend Gründe dafür gab. Die allgegenwärtige Erzählung vom Hass im Internet, der angeblich den Zusammenhalt der Gesellschaft bedroht, lässt auch Kritiker der autoritären Staatsgewalt verstummen.

Die Frage, ob es der richtige Weg ist, ständig neue Verschärfungen und Verbote gegen den Hass im Internet zu fordern und zu verkünden, wird kaum gestellt. Dabei wäre es dringend nötig, uns zu fragen, ob wir in einer Welt leben wollen, in der jedes falsche Wort gleich juristische Schritte auslöst.

Was sich Politiker (nicht) gefallen lassen müssen

Auch ein von der Rechtsanwältin und langjährigen Grünen-Politikerin Renate Künast vor dem Bundesverfassungsgericht erstrittenes Urteil stärkt die autoritäre Staatlichkeit. Es geht um die Daten von Internetnutzern, die Künast in Postings misanthrop und sexistisch beleidigt hatten. Es ist einerseits verständlich, wenn sich Künast gegen diese Art von Drohungen und Beleidigungen wehrt – und darin sollte sie auch unterstützt werden.

Doch Künast sah sich hier nicht als Feministin, die von Rechten angegriffen wird. Dafür hätte sie alle Unterstützung verdient. Sie erklärte nach ihren Gang durch die juristischen Instanzen, ihr sei es darum gegangen, deutlich zu machen, dass sich Politikerinnen und Politiker nicht alles gefallen lassen müssen.

Hier wird nicht auf den Schutz von Opfern rechter Gewalt rekurriert, sondern auf einen besonderen Schutz von Politikern als Teil des Staatsapparates. Dabei waren die Grundrechte auch immer Abwehr- und Schutzrechte in der Hand der Bevölkerung gegen einen übergriffigen Staat. An diese Tradition erinnert heute kaum noch jemand.

Seit Jahrtausenden setzen sich Menschen auch satirisch mit ihrer Obrigkeit auseinander und wurden immer schon beschuldigt, damit die Herrschaft zu beschädigen. Wenn heute nur noch die Frage gestellt wird, was sich Politiker gefallen müssen, und niemand die Gegenfrage stellt, was sich denn ein Großteil der Bevölkerung auch von Politikern aller Parteien gefallen lassen muss, dann muss man sich schon Sorgen um die Konfliktbereitschaft der Restlinken machen, wie es der Soziologe Joachim Hirsch kürzlich in einem Aufsatz ausdrückte, in dem er linke Staatskritik in Zeiten von Corona bemängelte.

Immerhin waren es seit der Studierendenbewegung linke Initiativen und die darauf folgenden Entwicklungen, etwa die Entstehung der so genannten neuen sozialen Bewegungen, die allmählich demokratischere und liberalere Verhältnisse durchzusetzen vermochten. Es ist zu befürchten, dass dies wir in Zukunft kaum mehr der Fall sein wird. Die autoritäre Entwicklung, die durch die Corona-Krise und die darauf bezogene staatliche Politik erheblich verstärkt wurde, kann sich dadurch noch ungehemmter fortsetzen.

Joachim Hirsch

Die Überschrift des Aufsatzes war noch als Frage formuliert: Was ist aus der Linken geworden?

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.