Hat auch Deutschland Ufo-Akten?
Vor wenigen Tagen befasste sich der US-Kongress mit unbekannten Flugobjekten und deren Bedeutung für die nationale Sicherheit. Wie sieht es damit hierzulande aus? Ein Gespräch mit Andreas Müller
Am 17. Mai 2022 kam es vor dem US-Kongress erstmals nach mehr als 50 Jahren wieder zu einer öffentlichen Anhörung über Ufos bzw. unidentidentifizierte Phänomene im Luftraum (unidentified aerial phenomena, UAP)
Den Abgeordneten geht es vor allem um Fragen nach dem potenziellen Risiko, dass diese Flugobjekte für die nationale Sicherheit der USA darstellen könnten. Tatsächlich hat das US-Verteidigungsministerium die Existenz und Detektion solcher Phänomene über eigentlich militärisch kontrolliertem Sperrgebieten bestätigt und in einem öffentlichen Report erklärt, dass es sich weder um geheime eigene noch gegnerische oder Technologien oder Entwicklungen von Privatfirmen handelt. Darüberhinaus wollen weder die Chefin der US-Geheimdienste Avril Haines noch NASA-Administrator Bill Nelson eine außerirdische Herkunft einiger dieser Ufos gänzlich ausschließen.
Wie aber ist es in Deutschland um das Ufo-Thema bestellt? Gibt es auch hierzulande ein staatliches Interesse an der Erforschung unidentifizierter Flugobjekte und gibt es deutsche Ufo-Akten? Telepolis hat den Wissenschaftsjournalisten und Sachbuchautor Andreas Müller hierzu befragt.
Herr Müller, im Rahmen ihrer Recherchen zu Ihrem Buch haben Sie sich mit der Frage beschäftigt, wie man in Deutschland offiziell mit dem Thema umgeht. Der Titel dieses Buches lautet "Deutschlands Ufo-Akten". Gibt es in Deutschland überhaupt offizielle staatliche "Ufo-Akten"?
Andreas Müller: Tatsächlich gibt es diese Akten, es sind Dokumente verschiedener Ministerien, etwa für Verkehr, des Innern und natürlich des Verteidigungsministeriums. Zudem gibt es auch spannende Ufo-Akten (die auch so betitelt sind) beim Bundesnachrichtendienst (BND), der Bundeswehr selbst oder den Wissenschaftlichen Diensten des Deutschen Bundestages. Für mein Buch habe ich alle diese Dokumente aus den verschiedenen Archiven, etwa im Bundesarchiv Koblenz oder dem Bundeswehrarchiv in Freiburg, teils als erster Journalist einsehen und reproduzieren können. Andere Ufo-Akten waren bereits zuvor bekannt.
Seit wann gibt es deutsche Ufo-Akten?
Andreas Müller: Die erste deutsche Akte, die man guten Gewissens als "Ufo-Akte" bezeichnen könnte, stammt von 1826 und wurde vom Landrath Dern für die damalige königliche Regierung in Trier verfasst. Sie schildert ein Phänomen, das wir heute wohl als Ufo-Sichtung bezeichnen würden, nahe Saarbrücken. Bis heute ist rätselhaft, was damals beobachtet wurde.
Später gibt es Dokumente der Alliierten über unidentifizierte Flugobjekte über Deutschland während des 2. Weltkrieges, Akten der CIA und Fallbeschreibungen des amerikanischen Ufo-Forschungsprojekts der US Air Force "Project Blue Book", sowie Meldevorschriften der alliierten Militärregierung zu Sichtungen "fliegender Scheiben" im besetzten Deutschland.
Die erste Ufo-Akte der noch jungen Bundesrepublik wurde 1954 vom Bundesministerium für Verkehr angelegt. Mit diesem Vorgang versuchte man sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie andere Länder das Phänomen handhabten. Ähnliches war das Ziel einer Presseakte der Bundeswehr, die von 1959 bis 1979 vom Wehrbereichskommando II geführt wurde.
Ende der 1970er-Jahre legte das Auswärtige Amt dann umfangreiche Akten über eine Initiative zur Einrichtung eines Ufo-Untersuchungsbüros an den Vereinten Nationen an. Schlussendlich blieb von der Initiative nur ein offener Aufruf des Generalsekretärs übrig, dass sich interessierte Länder dazu austauschen sollten. Immerhin gab es eine kleine Ufo-Expertenkonferenz unter der Schirmherrschaft des damaligen UNO-Generalsekretärs Waldheim.
Hat auch Deutschland Ufo-Akten? (7 Bilder)
Was steht in diesen all diesen Dokumenten?
Andreas Müller: Wie gesagt, einige dieser Akten dienen zur Orientierung und Fallsammlungen. Eingehende oder gar speziell koordinierte Untersuchungen von Ufo-Sichtungen gab es kaum. Wenn, dann durch lokale Polizeibeamte und Behörden. Das änderte sich spätestens Mitte der 1980er-Jahre, als Grenzschutz und Geheimdienste auf Erscheinungen und Flugobjekte dies- und jenseits der innerdeutschen Grenze zur DDR aufmerksam wurden, die sie nicht kannten oder nicht identifizieren konnten.
Hier gab es dann tatsächlich gezielte Falluntersuchungen, Zeugenbefragungen, Auswertungen durch Beamte der vorgesetzten Stellen, des BND und des Innenministeriums. Allerdings suchte man hier keine Außerirdischen, sondern untersuchte die beobachteten Phänomene vor dem Hintergrund der Frage, ob es sich um Spionagehandlungen und -Technologien der DDR und Sowjets handeln könnte. Der gleiche Grund also, der auch hinter dem derzeitigen neuen Interesse an Ufos in den USA steht.
Und waren diese Ufos in der "Ufo-Akte des BND" auch tatsächlich Ost-Spione?
Andreas Müller: Nicht alle. Die große Mehrheit ließ sich schon damals etwa als Ballons, Sonden oder mit heutigem Wissen über die damals eingesetzte Technologie als marschflugkörperartige Aufklärungsdrohnen erklären. Heutige Multikopter-Drohnen waren damals noch undenkbar. Aber in der Akte gibt es auch ungeklärte Fälle, die bis heute wirklich rätselhaft sind. Das sind dann die Fälle, die aus Sicht der Erforschung anomalistischer und exotischer Ufo-Phänomene interessant sind.
Können Sie Beispiele solcher Fälle kurz schildern?
Andreas Müller: Für mich an interessantesten ist eine Ufo-Sichtung über der Insel Fehmarn im August 1986 aus der Ufo-Akte des BND. Damals beobachteten drei Beamte der Grenzschutzstelle Puttgarden ein Flugobjekt, das langsam auf den Fährbahnhof zuschwebte und teilweise fast stillstand. Die Beamten hatten direkte Sicht auf das etwa 300 Meter entfernte Flugobjekt, das so hell strahlte, dass sie keine genauen Formen erkennen konnten und nur ein sehr leises Summen hörten. Einen Hubschrauber schließen die Beamten aus und auch Rückfragen bei nahe gelegenen anderen Stellen, Radar und Küstenwache erbrachten keine Erklärung.
Zu einem anderen spannenden Vorfall im Buch gibt es zwar keine offizielle Akte, aber die glaubwürdige Aussage der Besatzung eines Sanitäter-Hubschraubers (SAR) der Luftwaffe des Hubschraubergeschwaders 64 Ahlhorn im Dezember 1982. Dieser war auf Rückflug zum Fliegerhorst Faßberg, als die Besatzung gegen 00:25 Uhr auf eine grünlich-weiß, hell leuchtende Erscheinung aufmerksam wurde. Diese näherte sich dem Heli derart, dass sich der Pilot gezwungen sah, ihr in einem hastigen Manöver auszuweichen, das fast einen Absturz der Maschine zur Folge hatte.
Dann sind Ufos also auch eine Frage der Flugsicherheit allgemein? Auch hierzu gibt es ja Behörden und Einrichtungen in Deutschland.
Andreas Müller: Das stimmt. Selbst wenn man nicht nach "fliegenden Untertassen und Aliens" sucht, sollte man ja wissen, was sich da offenbar mit zivilen und militärischen Flugzeugen den Himmel teilt. Hierzu habe ich bei der Bundeswehr und der Deutschen Flugaufsicht nach dortigen Positionen zu Ufos/UAP nachgefragt. Das Credo lautet: So etwas haben wir noch nie geortet, aber natürlich haben wir den Luftraum im Griff und beobachten potenzielle Gefahren.
Dann sind Ufos in und über Deutschland also doch kein Thema?
Andreas Müller: Das sind sie natürlich schon. Denn es gab und gibt ja entsprechende Vorfälle und Sichtungen, mit denen man sich dann auch auseinandersetzen muss – und sei es nur im Interesse der Flug- und nationalen Sicherheit. Zudem zeige ich auch, dass es auch Ufo-Ortungen durch die Deutsche Flugsicherung gab, etwa als im Januar 2009 ein unidentifiziertes Flugobjekt über ganz Süddeutschland hinweg bis in den tschechischen Luftraum geortet, aber nicht identifiziert werden konnte.
Besonders interessant ist vor diesem Hintergrund, dass mir von Bundeswehr und auch vom österreichischen Bundesheer bestätigt wurde, dass das hiesige Radar in Europa derzeit für Ufos regelrecht blind gestellt ist: Objekte, die sich also gänzlich unkonventionell verhalten, etwa weil sie zick-zack oder rechte Winkel fliegen, plötzlich stillstehen oder viel schneller als unsere schnellsten Jets und Drohnen fliegen, werden von den Algorithmen der Radarüberwachung aussortiert und nicht weiter verfolgt.
Für die Überwachung des konventionellen und bekannten Fluggeschehens macht das durchaus Sinn. Aber auf diese Weise entgehen uns dann eben auch unkonventionelle Flugobjekte – seien das nun technologische Entwicklungen anderer Staaten (eventuell auch mit potenziell feindlich Absicht), exotische Flugobjekte (ja, dazu könnten auch außerirdische Besucher zählen) oder noch unbekannte Naturphänomene.
Während es im ersteren Fall aus Sicherheitsgründen bedenklich wären, diese Objekte nicht zu untersuchen, wäre es bei Letzteren nicht zuletzt aus wissenschaftlicher Sicht doch tragisch, wenn wir sie nur deshalb nicht erkennen, nur weil wir nicht gezielt und interessiert danach suchen. Auch hier sollten wir uns aus der internationalen Isolation in Sachen Ufos herausbegeben, in der wir uns derzeit noch völlig ohne Not befinden. Immerhin untersuchen und erforschen fast 30 andere Länder Ufos aus militärischem und/oder wissenschaftlichem Interesse. Wer weiß, was man da findet.
Andreas Müller Deutschlands Ufo-Akten: Über den politischen Umgang mit dem Ufo-Phänomen in Deutschland
452 Seiten, 29,99 € ISBN: 978-3754306802
Interessieren sich denn Universitäten und Forschungsinstitutionen hierzulande für Ufos über Deutschland?
Andreas Müller: Entsprechende Anfragen bei den zuständigen Max-Planck-Instituten oder beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wurden mir von diesen verneint. Man sehe da keinen Forschungsbedarf, heißt es.
Allerdings wurde erst kürzlich die wissenschaftliche Erforschung von UAP im Rahmen des Interdisziplinären Forschungszentrums für Extraterrestrik (IFEX) unter Prof. Hakan Kayal ganz offiziell in den Forschungskanon der Universität Würzburg aufgenommen (Hier betreibt man u.a. eine KI-gestützte Detektoreinheit, die nach UAP Ausschau hält und diese automatisch von bekannten Objekten wie etwa Flugzeugen, Vögeln, Insekten oder astrophysikalischen Phänomenen (Sternschnuppen oder Meteoriten usw.) unterscheidet.
Man geht da ähnliche Wege wie das "Galileo Project" um den Harvard-Astronom Prof. Avi Loeb in den USA. Doch tatsächlich ist die Uni Würzburg die erste Universität weltweit, die die wissenschaftliche Erforschung von Ufos/UAP in ihren Forschungskanon aufgenommen hat.
Zugleich arbeitet das IFEX hierzu in Person ausgewählter assoziierter Mitglieder mit erfahrenen Ufo-Untersuchern und Experten zusammen. Was da entsteht, ist also extrem spannend und in der akademischen Gemeinschaft und Ufo-Forschung weltweit derzeit (noch) einmalig.
In den USA werden Ufos derzeit vom Verteidigungsministerium untersucht und eine geplante Ufo-Behörde wurde auch zur Kooperation mit verbündeten Partnerstaaten angehalten. Eine institutionalisierte Erforschung von UAP gibt es in Deutschland bislang aber noch nicht. Muss Deutschland da nacharbeiten?
Andreas Müller: Meine Gesprächspartner bei der Bundeswehr haben sich da stets offen und interessiert gezeigt. "Derzeit existiert hierfür kein politischer Wille und Auftrag", heißt es aber. "Sollte sich das ändern - etwa aufgrund der Ergebnisse der Amerikaner - könnte auch die Bundeswehr umgehend darauf reagieren". Tatsächlich sind die notwendigen Einrichtungen und Instrumente ja bereits vorhanden und der Luft- und nahe Weltraum werden ständig überwacht. Noch sind wir aber nicht an diesem Punkt. Wissenschaftlich ist das Interesse geweckt und dank Wissenschaftlern wie Prof. Kayal wurde auch die Tür zur institutionalisierten akademischen Forschung geöffnet.
Interessanterweise zweifeln aber selbst die Autoren einer Ausarbeitung zum Thema Ufos der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages von 2009 daran, dass Deutschland vor Ufos im eigenen Luftraum Augen, Ohren und Sensoren verschließt. Da heißt es wortwörtlich:
Die Tatsache, dass sowohl Großbritannien als auch Frankreich sich mit der Fragestellung nach der Existenz von Ufos (…) beschäftigten und dies – nach vorheriger Geheimhaltung – in den letzten Jahren sogar via Internet veröffentlicht haben, legt die Vermutung nahe, dass sich auch deutsche Behörden oder Ministerien mit dieser Fragestellung befasst haben bzw. befassen.
Ob dies tatsächlich im Stillen so war oder ist, darüber sagen die bislang bekannten Akten nichts aus.
Andreas Müller, Jahrgang 1976, studierte Kommunikationsdesign an der HBK Saar und arbeitete schon früh als Journalist mit Schwerpunkt anomalistischer Phänomene. Er ist Herausgeber des Nachrichtenportals GrenzWissenschaft-Aktuell.de (GreWi), in dieser Position assoziiertes Mitglied am Interdisziplinären Forschungszentrum für Extraterrestrik (IFEX) an der Universität Würzburg und Autor des im Oktober 2021 erschienen Buches "Deutschlands Ufo-Akten – Über den politischen Umgang mit dem Ufo-Thema in Deutschland" (GreWi/BoD, 452 Seiten, ISBN: 978-3754306802).