Hat die Erfahrung mit dem Homeoffice die Ablehnung bei den Angestellten verstärkt?
Vor der Pandemie fand eine große Mehrheit Homeoffice attraktiv, aber die verordnete Telearbeit fanden nach Umfragen offenbar viele nicht mehr sonderlich verlockend
Man sollte meinen, dass es viele Menschen vorziehen, im Homeoffice zu arbeiten, auch wenn es große Widerstände gibt (Fahren, fahren, fahren: Telearbeit bleibt weiterhin marginal). Das scheinen auch Umfragen im einstigen Telearbeits-Muffelland Deutschland zu bestätigen. 50 Prozent hielten Arbeiten mobil oder im Homeoffice für sehr positiv, weitere 38 Prozent eher positiv, so ergab eine Umfrage im Juni 2019. Nur 1 Prozent sah Arbeiten im Homeoffice sehr negativ. Im Juli/August 2020 sagten 63 Prozent der Befragten, sie seien für einen Rechtsanspruch auf Homeoffice, was die SPD denn auch gesetzlich verankern wollte, aber gegen den Widerstand der Union nicht durchsetzen konnte.
87 Prozent derjenigen, die aufgrund von Corona im Homeoffice gearbeitet haben - das waren immerhin 36 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland - waren mit der Arbeit im Homeoffice zufrieden, 93 Prozent möchten dies auch weiter tun - aber nicht vollständig. Ganz loslassen will man nicht:
Die wesentlichen Vorteile, die die Beschäftigten in der im Juli/August 2020 im Auftrag des BMAS durchgeführten Befragung - auch in der Corona-Zeit - mit dem Homeoffice verbinden, liegen darin, dass Zeit für die Fahrt zur Arbeit eingespart, Arbeit und Privatleben besser miteinander verbunden sowie mehr und besser gearbeitet werden kann. Allerdings möchten die meisten Beschäftigten in der Zeit nach Corona weniger häufig im Homeoffice arbeiten als zum Befragungszeitpunkt, da oft vor allem der Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen vermisst wird. Eine deutliche Mehrheit von etwa zwei Dritteln präferiert ein Modell, bei dem sie einige Tage in der Woche im Homeoffice arbeitet und die übrigen Tage am Arbeitsplatz im Betrieb.
IZA Research Report No. 99: Verbreitung und Auswirkungen von mobiler Arbeit und Homeoffice, Oktober 2020
Aber das eine ist, im Homeoffice arbeiten zu wollen, das andere ist, nach Hause geschickt zu werden, was während des ersten Lockdowns geschehen ist und jetzt erneut - nicht als Anordnung, sondern als Empfehlung, die Wirtschaft soll ja geschont werden - im Rahmen des von der Exekutive verordneten Lockdown 2.0 ausgesprochen wird: "Bund und Länder fordern die Unternehmen eindringlich auf, jetzt wieder angesichts der hohen Infektionszahlen, wo immer dies umsetzbar ist, Heimarbeit oder mobiles Arbeiten zuhause zu ermöglichen."
Arbeitgeber konnten während des Lockdowns erkennen, dass es trotz oft fehlender Vorbereitung keinen Nachteil bedeutet, wenn die Angestellten nicht mehr alle zusammen in ihren Büros arbeiten, schon gar nicht in den Großraumbüros, die für IT-Konzerne als Brutstätten der Kreativität galten. Telearbeit ließ die Verheißung entstehen, Kosten einsparen zu können, weil Bürogebäude zwar nicht verschwinden, aber doch ziemlich schrumpfen können, was dann nicht nur Folgen hätte für die Unternehmen und ihre Angestellten, sondern auch für die Städte und deren Infrastruktur (Coronavirus und der Siegeszug der Telearbeit).
Homeoffice bedeutet jedoch auch, nicht mehr täglich gezwungen zu sein, das Zuhause zu verlassen und sich an einen räumlich von der Wohnung getrennten Ort zu begeben, der nicht privat ist, aber in dem man auch gezwungen ist, in direkten Kontakt mit anderen zu treten. Das ist freilich auch eine Chance, der familiären Privatheit oder der Single-Existenz räumlich und sozial zu entrinnen und mit anderen kommunizieren zu können. Eine Art regelmäßiger, entfremdender Zwangsurlaub von Zuhause also, der es auch erlaubt, sich wieder einigermaßen zufrieden in die Privatheit zurückziehen zu können, und der eine Distanz ermöglicht, die man nicht rechtfertigen muss.
Wenn man nur ein oder zwei Tage im Homeoffice arbeitet, lässt sich das noch beiseite stecken. Aber wenn man immer Zuhause arbeitet und abgesehen von Videokonferenzen nicht mehr "herauskommt", dazu noch überwacht und unter Selbstbeobachtung steht, ob man auch genügend leistet, während Kinder, Partner oder auch die eigene Arbeitsunlust mehr Zeit beanspruchen, was man nun persönlich lösen muss und nicht mehr ausschließlich dem Zwang zuschieben kann, dann kann Homeoffice auch zum Stress werden.
Nicht sonderlich attraktiv
Bei einer Civey-Umfrage im Oktober sagten denn auch auf dem Hintergrund der Erfahrungen 44 Prozent der Befragten, sie würden befürchten, dass flexible Arbeitszeiten und ortsunabhängiges Arbeiten sie überfordern könnte. 43 Prozent haben keine Sorge, 13 Prozent sind unentschieden.
Und dann gibt es noch eine interessante Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK im Auftrag von GetAbstract, die Anfang Oktober veröffentlicht wurde und wohl die längere Erfahrung mit Telearbeit widerspiegelt. Gerade einmal 20 Prozent der Berufstätigen sagen, sie würden auch gerne in Zukunft öfter im Homeoffice arbeiten. Bei den Menschen mit höherer Bildung sind es 27 Prozent, die auch anspruchsvollere Jobs haben dürften, während bei den Haupt- und Volksschulabsolventen nur 12 Prozent dieser Meinung sind. Das dürfte auch mit der eher langweiligeren Arbeit zusammenhängen, wo dann die Kommunikation mit anderen eine Entlastung darstellt.
Einsam im Homeoffice
Bei den 18- bis 29-Jährigen wollen auch 27 Prozent mehr im Homeoffice arbeiten, man kann auch sagen, nur 27 Prozent. Vermutet wird, die jungen Angestellten würden sich Zuhause, vielleicht weil vermehrt Singles, zu einsam fühlen. 15 Prozent aus der Altersgruppe arbeiten deswegen lieber im Büro, um der Einsamkeit zu entgehen. Das Büro scheint mehr Geselligkeit zu bieten, was die Arbeit vor den Bildschirmen alleine Zuhause trotz aller Kommunikation nicht zu bieten scheint.
Nur 21 Prozent denken, dass sie im Homeoffice genauso produktiv arbeiten wie im Büro. Das ist allerdings bildungs- und damit jobabhängig. 32 Prozent der Angestellten mit Abitur und/oder abgeschlossenem Studium können mindestens genauso gut arbeiten, bei den Haupt- und Volksschulabsolventen sind es hingegen nur 10 Prozent. Dabei kommen Männer mit 25 Prozent etwas besser mit dem Homeoffice klar als Frauen mit 17 Prozent, was vermutlich darauf hinweist, dass Frauen im Homeoffice stärker durch Arbeit im Haushalt und Kinderbetreuung belastet sind. So arbeiten auch Singles produktiver als Angestellte in Dreipersonen-Haushalten.
Ob dann hilft, was eine Ericsson-Studie imaginiert, "das Internet der Sinne im entmaterialisierten Büro"? Propagiert wird aufgrund einer Umfrage: "Die Pandemie hat viele Arbeitnehmer weltweit ins Homeoffice gezwungen. Auch wenn die Technik uns weiterhin miteinander verbindet, bleiben einige Vorteile persönlicher Treffen auf der Strecke. Ericsson Research stellt die Theorie auf, dass in zehn Jahren nicht nur Sehen und Hören, sondern auch andere sensorische Erfahrungen, wie Tastsinn, Geschmack, Geruch und Empfindungen von Hitze oder Kälte, Teil der digitalen Kommunikation sein werden."