"Hatten die einen Tipp, dass ein Attentat am Abend geplant war?"

Seite 2: Dem BND ist die Nähe seiner Stay-Behind-Organisation zur italienischen Gladio-Truppe unangenehm

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In ihrer Dokumentation lassen Sie auch einen BND-Historiker zu Wort kommen. Dieser bestätigt zum ersten Mal, dass aus den bisher ausgewerteten Altaktenbestände eine Beteiligung der deutschen Stay-Behind-Gruppe an sechs Übungen mit Nato-Mitgliedsländern ersichtlich ist; genannt werden Frankreich, Niederlande, Großbritannien, Belgien und die USA. Sie zeigen in Ihrer Dokumentation aber auch auf, dass es eine gemeinsame Übung zwischen den deutschen und italienischen Stay-Behind-Gruppen in Luxemburg gegeben hat. Das war 1980, also kurz vor dem schweren Anschlag auf den Bahnhof in Bologna. Was schließen Sie daraus?

Ulrich Stoll: Offenbar ist dem BND die Nähe seiner Stay-Behind-Organisation zur italienischen Gladio-Truppe unangenehm. Da Gladio in die brutalen Anschläge von Peteano, Mailand und Bologna verstrickt war, sind gemeinsame Übungen mit dieser Gruppe oder ein Training im gemeinsamen Trainingszentrum auf Sardinien dem BND wohl peinlich. Man saß aber gemeinsam im NATO-weiten Planungskomitee und kannte sicher auch Gladio-Mitarbeiter, die sich später als Mitglieder der Verschwörerloge Propaganda Due herausstellten. Der BND will von den Gladio-Verbrechen nichts bemerkt haben.

Sie zitieren in Ihrer Doku auch den italienischen Rechtsterroristen Vincenzo Vinciguerra. Dieser sagte 2008: "Ich wehre mich gegen die Behauptung, dass die Massaker in Italien angeblich faschistische Anschläge waren. Denn die Männer, die an solchen Operationen teilnahmen, waren alles Männer des Staatsapparates. Und der hat die Täter stets gedeckt." Was halten Sie von dieser Aussage?

Ulrich Stoll: Vinciguerra wurde für den Mordanschlag im Jahr 1972 auf Carabinieri in Peteano zu lebenslanger Haft verurteilt. Er war zwar ein Täter, aber nur ein Strohmann für staatlichen Terror, für eine so genannte "false flag"-Operation. Ihm ist zu verdanken, dass die italienische Justiz nachweisen konnte, dass hinter vermeintlich linkem Terror in Italien Rechtsextremisten standen, dass Sprengstoffgutachten gefälscht wurden, um rechte Terroranschläge den Kommunisten in die Schuhe schieben zu können. Die Neonazis von "Ordine Nuovo" wurden vom Geheimdienst geführt, um ein Klima der Angst, ein antikommunistisches Klima zu erzeugen. In diese Strategie der Spannung war auch Gladio verstrickt. Das alles ermittelte der Ermittlungsrichter Felice Casson.

1980 gab es auch den Anschlag auf das Oktoberfest. Bis heute gibt es Vermutungen, wonach Teile von Gladio etwas mit dem Anschlag zu tun haben könnten. Was haben Sie hierzu herausgefunden?

Ulrich Stoll: Das bayerische Landeskriminalamt hat erst jetzt die Spurenakten zum Oktoberfestattentat freigegeben. Die Ermittler der Sonderkommission Theresienwiese hatten demnach bereits einen Tag nach dem Oktoberfestattentat die Information auf dem Tisch, dass ein Rechtsextremist in Niedersachsen, der Förster Heinz Lembke, große Mengen an Waffen und Sprengstoff besaß und das Material in der Neonazi-Szene anbot. Bisher dachte man, die Spur zu Lembke sei lediglich in ein anderes Verfahren, die Ermittlungen gegen die rechtsterroristischen "Deutschen Aktionsgruppen", eingeflossen. Doch die Münchner Soko hatte den Tipp und versuchte nicht einmal herauszufinden, ob es Verbindungen Lembkes zu Gundolf Köhler und der Wehrsportgruppe Hoffmann gab. Ein Jahr lang suchte man nicht nach Lembkes Waffenverstecken.

Dass diese Spurenakten 34 Jahre zurückgehalten wurden, ist merkwürdig. Lembke wollte über seine Hintermänner aussagen, doch vor der Vernehmung wurde er erhängt gefunden. Der Generalbundesanwalt (GBA) schloss dann die Akte und erklärte, Lembke habe mit der riesigen Menge von 156 Kilo Sprengstoff und zahlreichen Waffen in seinen 88 Containern in Erdverstecken gar nicht den Staat angreifen wollen, sondern wollte als Partisan gegen die Russen kämpfen. Waffen in Erdcontainern und die Idee des Partisanenkampfes gegen die Russen ist aber genau das Konzept von Stay Behind, also kein Grund, beruhigt zu sein und wie der GBA die Akte zu schließen.

Das jahrzehntelange Schweigen der deutschen Behörden zu Stay Behind hat Spekulationen begünstigt

Im Zuge Ihrer Recherche haben Sie auch beim Generalbundesanwalt angefragt. Was genau wollten Sie wissen und: Wurden Ihre Fragen ausreichend beantwortet?

Ulrich Stoll: Der GBA zieht sich auf die Position zurück, dass es keine neuen Ermittlungsansätze gibt, dabei kennt er die jetzt freigegebenen BND-Akten vermutlich gar nicht. Diese Akten werfen zum Beispiel die Frage auf, ob die Wehrsportgruppe Hoffmann und italienische Neonazis gemeinsam in einem Terrorcamp im Libanon die Anschläge von Bologna und München planten. Konkrete Fragen wurden nicht beantwortet, auch mit dem Hinweis, die alten Akten lägen im Bundesarchiv und seien nicht verfügbar.

Obwohl der GBA anfangs davon ausging, dass Gundolf Köhler enge Kontakte zur Wehrsportgruppe hatte und ein Neonazi war, wird er seit 1982 von den Ermittlern als Einzeltäter ohne politische Motive dargestellt. Ich frage mich, ob der damalige Ministerpräsident Strauß Druck auf das bayerische LKA und den GBA ausgeübt hat. Strauß hatte die Wehrsportgruppe als harmlos dargestellt und wäre blamiert gewesen, wenn Hoffmann und seinen Leuten eine Tatbeteiligung hätte nachgewiesen werden können.

Agenten der Stay-Behind-Organisation bei einer Fallschirmübung. Bild: BND/Frontal 21

Wie bewerten Sie die Aufarbeitung von deutscher Seite in der Sache Stay Behind? Kann man da überhaupt von einer Aufarbeitung sprechen?

Ulrich Stoll: Während das Europaparlament eine deutliche Resolution gegen die illegalen Gladio-Geheimarmeen verabschiedete, passierte im deutschen Parlament so gut wie nichts. 1990 kamen mit der deutschen Wiedervereinigung zahlreiche Probleme auf den Bundestag zu: Es gab den Schalck-Untersuchungsausschuss und einen Untersuchungsausschuss zu den dubiosen Geschäften der Treuhand. Die Grünen waren aus dem Bundestag geflogen und nur wenige DDR-Bürgerrechtler saßen für Bündnis 90 im Parlament, vollauf beschäftigt mit diesen beiden Ausschüssen. Für Stay Behind hatte kaum jemand in der parlamentarischen Opposition Zeit. Es wäre dringend nötig gewesen, einen Untersuchungsausschuss wie in der Schweiz, in Belgien oder Italien einzusetzen. Das wurde verpasst.

Kann es sein, dass sich die Medien in Deutschland mit dem Thema schwer tun? Wenn man sich die bisherige Berichterstattung zum Thema anschaut, hat man den Eindruck, ein großes Interesse an der publizistischen Aufarbeitung von Stay Behind in Deutschland gibt es nicht. Woran mag das liegen?

Ulrich Stoll: Natürlich ist das heute Zeitgeschichte, also für viele Medien kein interessantes Thema mehr. Doch es kommt ja immer wieder Neues heraus: Ich habe jetzt erst nach zähem Nachfragen erfahren, dass 1996 in Berlin ein britisches Stay-Behind-Waffen- und Funk-Lager geborgen wurde. Welche Rolle neben der CIA der britische Geheimdienst MI6 bei der Geheimtruppe in Deutschland spielte, ist noch völlig unbekannt, die Briten geben dazu keinerlei Auskunft.

Es gibt immer wieder interessante Rechercheansätze: Oliver Schröm und Egmont Koch haben zum Beispiel nachgewiesen, dass ein italienischer Rechtsterrorist, der als Hintermann des staatlichen Terrors in Italien gilt, von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung finanziert wurde. Die Stasi-Akten zum Rechtsterroristen Heinz Lembke und zum Oktoberfestattentat bieten auch Neues und wurden von Tobias von Heymann ausgewertet. Daraus ergibt sich zum Beispiel der Verdacht, dass die westdeutsche Polizei die Wehrsportgruppe Hoffmann ab dem Morgen des 26.9.1980, dem Tag des Oktoberfestattentats, intensiv beobachtete. Hatten die einen Tipp, dass ein Attentat am Abend geplant war?

Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass ein Anschlag wie das Oktoberfestattentat von staatlichen Stellen unterstützt wurde oder dass man zuließ, dass Rechtsextreme an Sprengstoff gelangten, um politisch erwünschte Verbrechen zu verüben. Doch in Italien, das wissen wir, nutzte der Staat Rechtsextremisten, um durch Terror politische Ziele durchzusetzen.

Der Bundesnachrichtendienst hat mir erstmals Einsicht in einige wenige Akten aus der Frühzeit von Stay Behind gewährt. Es wäre gut, hier weiterzumachen und zuzulassen, dass die Rolle des Geheimdienstes und von Stay Behind im Kalten Krieg endlich umfassend aufgeklärt wird. Das jahrzehntelange Schweigen der deutschen Behörden zu Stay Behind hat sicher Spekulationen begünstigt.

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