Hauptsache schön rechts
Seite 2: Das Marktprinzip ist nicht unpolitisch
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"Geschichte ist mir scheißegal. Hauptsache es ist schön", sagte der Architekt Léon Krier. Er bekennt sich zu einer ahistorischen, von gesellschaftlichem Wandel unberührten Ästhetik. Es ist ein Bekenntnis zum Unpolitischen, das an die Fünfziger Jahre erinnert, als diejenigen, die vom Nationalsozialismus kompromittiert worden waren, plötzlich mit Politik "nichts mehr zu tun haben" wollten. Sie sei ein schmutziges Geschäft. Das Unpolitische hinterließ sogar bei Thomas Mann seine Spuren.
Analog kann für die Architekturdebatte behauptet werden, dass unter dem Deckmantel des Ahistorischen und des Unpolitischen sich die Neigung zu einem Stil verbirgt, der sich gegen die Moderne und die Nachkriegsmoderne richtet, die konkret auf die sozialen Verhältnisse reagiert haben. Die die "schlechte Gegenwart" fliehenden, ein wertbeständiges Handwerk herbeizitierenden Stile firmieren unter Titeln wie "retrospektives Bauen", "Kritische Rekonstruktion" oder "Heimatstil." Spätestens an dieser Konfrontation wird deutlich, dass Architektur nicht nur "gebaute soziale Realität", sondern extrem politisch ist. Aber gibt es überhaupt eine rechte und eine linke Architektur?
Für Trüby, der die Moderne gegen die Rekonstruktivisten verteidigt, sind Architektur und Städtebau "immer politisch", obgleich die politischen Bedeutungen und die architektonischen Formen nicht immer parallel, sondern asymmetrisch verlaufen. Trüby muss jedoch diese These schnell relativieren, denn nach seiner und der allgemeinen Beobachtung lösen sich die überlieferten Gegensätze und politischen Auseinandersetzungen zwischen links und rechts auf. Alle Strömungen driften zur Mitte. Diese wird indifferent. Alles geht. Die Programme gleichen einander an, aber die Mitte wird auch anfällig für rechte Ideologien, die um so leichter in sie vordringen.
Diesem politologischen Ansatz entspricht ein architekturkritischer. Trüby gibt selbst Beispiele, wie sich an ähnliche Bauwerke gegensätzliche Ideologien anheften können. Hier könnte das Stichwort "neoklassizistischer Monumentalismus" eingegeben werden, in dem sich sowohl faschistische als auch kommunistische, genauer stalinistische Ideologeme abbilden. Das nimmt allerdings nicht wunder, geht man davon aus, dass die erbitterte Gegnerschaft der Systeme auf Grund ihrer Ähnlichkeit zustande kommt. Hypothetisch gesprochen handelt es sich um zwei Seiten einer Medaille.
Ebenso schwer ist es bisweilen, Architekten und ihre "Sprache" einem bestimmten Lager zuzuordnen. Von den zahlreichen Neuerern am Vorabend des ersten Weltkriegs seien Hans Poelzig und Heinrich Tessenow genannt, die sowohl modern als auch heimatlich-konservativ - oder eine Symbiose aus beidem - bauten. Stilwechsel bleiben im Lauf der beruflichen Biographie von Architekten nicht aus.
"Manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern. / Werch ein Illtum.", dichtete Ernst Jandl. Das trifft auf Parteien wie auf Architekturen zu. Sie begegnen sich in einem sozialen Raum der Austauschbarkeit. Das ist der abstrakte Raum des Marktes, der die Autonomie und Qualität der Orte wie Städte aufgelöst hat. Guy Debord: "Die kapitalistische Produktion hat den Raum vereinheitlicht, den keine äußeren Gesellschaften mehr begrenzen." Was bleibt angesichts dessen von rechts und links? Niklas Maak hielt in der FAZ ein einfaches, aber beunruhigendes Beispiel parat: Räume, die gemieden werden sollten, um unbeschadet eine Kippa tragen zu können, sind rechte Räume. Die Rechte eignet sich den öffentlichen Raum an.
Der abstrakte Raum des Marktes, der rechten Kräften Vorschub leistet, findet sich seit der Jahrtausendwende am Walter-Benjamin-Platz in der gutbürgerlichen westlichen Mitte Berlins. Der gleichmäßig mit Platten belegte Platz wird flankiert von zwei 100 m langen und 25 m hohen Gebäuderiegeln, die mit Loch- bzw. Rasterfassaden, stehenden Fensteröffnungen sowie beidseitig umlaufenden Kolonnaden versehen sind. Die Bauten sind mit graugrünem Sandstein verkleidet, die Fliesen der Kolonnaden sind in Schwarz/Weiß/Rot gehalten.
Die erdrückende Imposanz-Architektur steht quer zur Urbanität der gediegenen Umgebung. Nach den Worten ihres Architekten Hans Kollhoff verkörpert sie einen Raumtypus, den es in Berlin noch nicht gibt. Verena Hartbaum stieß 2013 auf den Ur-Typus: die Via Roma in Turin, verwirklicht 1936 durch den Hofarchitekten Mussolinis, Marcello Piacentini. In eine Bodensteinplatte des Berliner Imitats sind die rätselhaften Zeilen eingraviert: "Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert." Sie stammen von Ezra Pound, dem bekennenden Faschisten und Verehrer Mussolinis. Heutige Faschisten haben den Dichter zum Namenspatron gewählt.
Das Schlüsselwort des gedrechselten Verses ist "Usura". Es steht für Wucher, den Pound im Einklang mit Mussolini mit dem Judentum assoziierte. Schlussfolgerung: Juden sind zu handwerklicher Wertarbeit beim Hausbau nicht fähig. Der Urheber ist bei der Berliner Inschrift nicht angegeben, und die Platte liegt unauffällig, abseits von der Mitte. Kollhoff bestreitet den Vorwurf Hartbaums, eine "antisemitische Flaschenpost" in Berlin gelandet zu haben. Aber der verschwiegen-verschämte Umgang mit seinen Inspirationsquellen ist eine Nagelprobe auf den Antisemitismus. Es ist eine klassische, von Adorno aufgewiesene Methode faschistischer Agitatoren, nicht den Schädling des Volkes, den Parasiten, zu benennen, sondern nur Anspielungen zu machen. Aber jeder im Saal weiß, um wen es sich handelt.
Die Analogie des Platzes zu faschistischer Architektur ist nun evident, aber ist die Übereinstimmung auch inhaltlich begründbar? Der Stadtforscher Walter Prigge wies schon 2002 darauf hin, dass Kollhoffs Ensemble dem Muster einer weit verbreiteten Investorenarchitektur entspricht. Form und Funktion werden voneinander getrennt, um die vom Investor verlangte, auf Masse und Kasse abgestellte Funktion unhinterfragt zu liefern. Anschließend wird die Form - als unterhaltsames Moment - der Funktion nachgeliefert. Beide werden mit Hilfe marktgängiger Bilder der Stadt wieder zusammengefügt. Das Marktprinzip vermittelt die Architektur mit sozialer Realität. Die historische Darstellungsbeziehung von städtischer Architektur und Stadtbürgertum ist im Zuge der Globalisierung zur leeren Behauptung geworden.