Hauptsache schön rechts

Walter-Benjamin-Platz in Berlin-Charlottenburg. Bild: Bernhard Wiens

Ein Architekturstreit über "rechte Räume" ist entbrannt

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Am Anfang ist ein heiliger Orte ganz gewöhnlich. Nach seinen Merkmalen unterscheidet er sich kaum von Orten der Umgebung. Plötzlich aber findet dort ein Ereignis statt, das durch die Verknüpfung mit ihm bedenkenswert wird. Der Ort wird zum Tat-Ort, ob durch individuelle oder kollektive Handlung ob fiktiv oder real. Die Menschen sehen den Ort nun anders, mit anderen Augen und Sinnen. Der Ort wird zum "Ander-Ort".1

Rückt das auslösende Ereignis nach und nach in die Vergangenheit, wird es unwillkürlich ins Monströse aufgeblasen. Der Ort wird mit Zuschreibungen aufgeladen, die ihn zur Kult-Stätte machen, zum kulturellen Erinnerungsort. Der Ort ist heilig geworden. Er wird nicht mehr mit alltäglicher Gesinnung betreten. Er liegt in einem Mythen-Raum, der den Alltag aufhebt. Architekten bekommen den Auftrag, die Monströsität zu inszenieren.

Solche "Schlagbilder", wie Michael Diers sie nennt, sind etwa das Hermannsdenkmal, das Deutsche Eck und das Kyffhäuserdenkmal. Sie bündeln durch die neue Sinngebung des Ortes die Emotionen der Menschen und lenken sie meist in Richtung Krieg. Sie schaffen nationale Identität. Am Kyffhäuser ist es das "neue Reich", das im Anschluss an die Wiedererweckung Kaiser Barbarossas aufzurichten ist. Der passende Ort für Björn Höcke, dort oder nahebei schwere Fahnen schwenken zu lassen.

Die drei schlagenden, die Sinne erschlagenden Denkmäler sollten dem Ersten Weltkrieg den Boden bereiten. Faschismus und Nationalsozialismus knüpften mit noch einmal gesteigerten Architektur daran an und stellten eine Kontinuität her, die bis ins Heute reicht. Davon hatte sich die bisherige deutsche Geschichtsrezeption abgesetzt, ging sie doch von den Brüchen aus, die die beiden willkürlich herbeigeführten Katastrophen des 20. Jahrhunderts aufgetan und hinterlassen haben. Aber der neue "Geschichtsrevisionismus" eignet sich wieder die alten Mythenräume an, und nicht nur das. Es wird sogar Neues gebaut, das bewusst den Anschluss an die alten faschistischen Konstruktionen betreibt. Über diesen Neubau, den Walter-Benjamin-Platz in Berlin, hat die Zeitschrift ARCH+ eine Architekturdebatte entfacht.

Hauptsache schön rechts (15 Bilder)

Per Handschlag wurde am 21.3.1933 vor der Garnisonkirche das Schicksal der Demokratie besiegelt. Bild: Bundesarchiv, Bild 183-S38324 / CC-BY-SA-3.0

Die Zeitschrift, deren aktuelle Nummer vom Architekturtheoretiker Stephan Trüby und seinem Team konzipiert worden ist, erweitert das Thema mit Fallbeispielen aus ganz Europa. Die Politik wird, wenn in Stein, in "Gedenk-Stein" gehauen, sakralisiert. Die Architekturform wirkt dann auf die Gesellschaft zurück, stiftet ihren Sinn, aber derart, als gelte dieser Sinn nicht nur für die Jetztzeit, sondern für alle Zeiten. So funktioniert die Geschichtspolitik der Rechtspopulisten und so versuchen sie, den öffentlichen Raum zu besetzen.

An Ungereimtheiten stören sie sich nicht. Auf ihr Betreiben hat auf öffentlichen Plätzen Ungarns ein ziemliches Statuen-Rücken eingesetzt. Auf dem zentralen Budapester Kossuth-Platz spielt sich seit Jahrzehnten ein Turbo-Geschichtsrevisionismus ab, so schnell verschwinden Skulpturen politischer Heiliger in der Versenkung und tauchen wieder auf. Denkmalpflegerische Säuberungen scheinen mit politischen Säuberungen einherzugehen. Schwierig wird die Rezeption der glorreichen alten Zeit, wenn sie etwa auf Miklós Horthy stößt, der als Staatsoberhaupt bis 1944 mit den Nazis kollaboriert hatte. Und über die Umgestaltung des "Freiheitsplatzes" schreibt Zsuzsanna Stánitz: "Das 2014 errichtete Denkmal zur Erinnerung an die Opfer der deutschen Besatzung Ungarns (...) stellt Ungarn einseitig (...) dar. Miklósz Horthys Kollaboration mit dem Nationalsozialismus und die aktive Beteiligung Ungarns an der Deportation der Juden wird ausgeblendet."

Das Valle de los Caídos in Spanien ist ein Mausoleum, das sich der Diktator Franco schon zu Lebzeiten hat erschaffen lassen. Zugleich und paradoxerweise ist es eine Nekropole für Gefallene des Bürgerkriegs. Das Monument ist in den Fels getrieben. Das Kreuz auf dem Berg ist 150 m hoch. Der 2018 ergangene Beschluss der demokratischen Regierung, Franco umzubetten, wurde von seiner Familie abgeblockt und rief die Rechte auf den Plan.

In Spanien hatte sich nach dem Tod Francos geradezu eine Kultur des Vergessens herausgebildet. Vergebens. Um die Jahrtausendwende bildeten vor allem Hinterbliebene der Bürgerkriegsopfer Vereinigungen zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses. Demokratie kann nicht auf der Verdrängung, sondern nur auf dem Erinnern aufgebaut werden. Aber der Konflikt zwischen den Lagern schwelt weiter. Francos postumes Schicksal mutet wie eine Farce der Barbarossa-Sage an.

Die Kirche ist mit einem Kloster im Valle de los Caidos vertreten und war neben der Falange die größte Stütze Francos. Der "Klerikalfaschismus" hat auch in Deutschland seinen symbolischen Ort. Die Garnisonkirche in Potsdam bot die Plattform für die Union von Kolonialismus und Militarismus, die, nachdem die Weimarer Republik beseitigt war, im totalitären Staat aufging. Hitler und Hindenburg besiegelten am "Tag von Potsdam", dem 21. März 1933, das Schicksal der Demokratie per Handschlag.

Schon vor dem ersten Weltkrieg waren die Unternehmungen zur Niederschlagung des Boxer-Aufstandes und zum Völkermord an den Herero in der Garnisonkirche (ab)gesegnet worden. Zur Folgezeit schreibt Philipp Oswalt: "In der ganzen Weimarer Republik war die Kirche offizielle Versammlungsstätte und Symbolort für rechtsradikale, antisemitische und demokratiefeindliche Organisationen", vom "Stahlhelm" bis zum Kyffhäuserbund.

Die 1968 gesprengte Kirchenruine befindet sich im Wiederaufbau. Die Initiative ging von rechtsradikalen, geschichtsrevisionistischen Kreisen aus. Die Kirche suchte ihren Einfluss in dem Projekt zu stärken und mäßigend zu wirken. Das könnte auf eine Alibi-Funktion hinauslaufen. Altbischof Wolfgang Huber fand zum Baubeginn christlich-friedfertige Worte. Es fragt sich jedoch, ob die unheiligen Allianzen, die die Kirche damals und heute wieder eingegangen ist, die Versöhnungsrhetorik nicht eines Tages in Hasspredigten umschlagen lässt, wie sie vormals der Hofprediger des Kaisers pflog. Adolf Stoecker hetzte von der Kanzel gegen "Deutschfeinde" und Juden. Der würdevolle architektonische Rahmen für Militarismus und nationale Hybris ist in Potsdam wieder gegeben.

Einzig Bischof Dröge äußerte 2016 Bedenken gegenüber einem "authentischen" Wiederaufbau: "Inhaltlich hatte ich die Frage aufgeworfen, ob nicht der Verzicht auf eine vollständige Rekonstruktion des historischen Baus auch eine angemessene architektonische Botschaft darstellen würde, und gesagt: Es wäre gut, wenn schon durch die architektonische Gestaltung sichtbar (würde), dass nicht einfach das Alte wiederhergestellt wird."2

Das Marktprinzip ist nicht unpolitisch

"Geschichte ist mir scheißegal. Hauptsache es ist schön", sagte der Architekt Léon Krier. Er bekennt sich zu einer ahistorischen, von gesellschaftlichem Wandel unberührten Ästhetik. Es ist ein Bekenntnis zum Unpolitischen, das an die Fünfziger Jahre erinnert, als diejenigen, die vom Nationalsozialismus kompromittiert worden waren, plötzlich mit Politik "nichts mehr zu tun haben" wollten. Sie sei ein schmutziges Geschäft. Das Unpolitische hinterließ sogar bei Thomas Mann seine Spuren.

Analog kann für die Architekturdebatte behauptet werden, dass unter dem Deckmantel des Ahistorischen und des Unpolitischen sich die Neigung zu einem Stil verbirgt, der sich gegen die Moderne und die Nachkriegsmoderne richtet, die konkret auf die sozialen Verhältnisse reagiert haben. Die die "schlechte Gegenwart" fliehenden, ein wertbeständiges Handwerk herbeizitierenden Stile firmieren unter Titeln wie "retrospektives Bauen", "Kritische Rekonstruktion" oder "Heimatstil." Spätestens an dieser Konfrontation wird deutlich, dass Architektur nicht nur "gebaute soziale Realität", sondern extrem politisch ist. Aber gibt es überhaupt eine rechte und eine linke Architektur?

Für Trüby, der die Moderne gegen die Rekonstruktivisten verteidigt, sind Architektur und Städtebau "immer politisch", obgleich die politischen Bedeutungen und die architektonischen Formen nicht immer parallel, sondern asymmetrisch verlaufen. Trüby muss jedoch diese These schnell relativieren, denn nach seiner und der allgemeinen Beobachtung lösen sich die überlieferten Gegensätze und politischen Auseinandersetzungen zwischen links und rechts auf. Alle Strömungen driften zur Mitte. Diese wird indifferent. Alles geht. Die Programme gleichen einander an, aber die Mitte wird auch anfällig für rechte Ideologien, die um so leichter in sie vordringen.

Diesem politologischen Ansatz entspricht ein architekturkritischer. Trüby gibt selbst Beispiele, wie sich an ähnliche Bauwerke gegensätzliche Ideologien anheften können. Hier könnte das Stichwort "neoklassizistischer Monumentalismus" eingegeben werden, in dem sich sowohl faschistische als auch kommunistische, genauer stalinistische Ideologeme abbilden. Das nimmt allerdings nicht wunder, geht man davon aus, dass die erbitterte Gegnerschaft der Systeme auf Grund ihrer Ähnlichkeit zustande kommt. Hypothetisch gesprochen handelt es sich um zwei Seiten einer Medaille.

Ebenso schwer ist es bisweilen, Architekten und ihre "Sprache" einem bestimmten Lager zuzuordnen. Von den zahlreichen Neuerern am Vorabend des ersten Weltkriegs seien Hans Poelzig und Heinrich Tessenow genannt, die sowohl modern als auch heimatlich-konservativ - oder eine Symbiose aus beidem - bauten. Stilwechsel bleiben im Lauf der beruflichen Biographie von Architekten nicht aus.

"Manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern. / Werch ein Illtum.", dichtete Ernst Jandl. Das trifft auf Parteien wie auf Architekturen zu. Sie begegnen sich in einem sozialen Raum der Austauschbarkeit. Das ist der abstrakte Raum des Marktes, der die Autonomie und Qualität der Orte wie Städte aufgelöst hat. Guy Debord: "Die kapitalistische Produktion hat den Raum vereinheitlicht, den keine äußeren Gesellschaften mehr begrenzen." Was bleibt angesichts dessen von rechts und links? Niklas Maak hielt in der FAZ ein einfaches, aber beunruhigendes Beispiel parat: Räume, die gemieden werden sollten, um unbeschadet eine Kippa tragen zu können, sind rechte Räume. Die Rechte eignet sich den öffentlichen Raum an.

Der abstrakte Raum des Marktes, der rechten Kräften Vorschub leistet, findet sich seit der Jahrtausendwende am Walter-Benjamin-Platz in der gutbürgerlichen westlichen Mitte Berlins. Der gleichmäßig mit Platten belegte Platz wird flankiert von zwei 100 m langen und 25 m hohen Gebäuderiegeln, die mit Loch- bzw. Rasterfassaden, stehenden Fensteröffnungen sowie beidseitig umlaufenden Kolonnaden versehen sind. Die Bauten sind mit graugrünem Sandstein verkleidet, die Fliesen der Kolonnaden sind in Schwarz/Weiß/Rot gehalten.

Die Inschrift von Ezra Pound auf dem Walter-Benjamin-Platz. Bild: Bernhard Wiens

Die erdrückende Imposanz-Architektur steht quer zur Urbanität der gediegenen Umgebung. Nach den Worten ihres Architekten Hans Kollhoff verkörpert sie einen Raumtypus, den es in Berlin noch nicht gibt. Verena Hartbaum stieß 2013 auf den Ur-Typus: die Via Roma in Turin, verwirklicht 1936 durch den Hofarchitekten Mussolinis, Marcello Piacentini. In eine Bodensteinplatte des Berliner Imitats sind die rätselhaften Zeilen eingraviert: "Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert." Sie stammen von Ezra Pound, dem bekennenden Faschisten und Verehrer Mussolinis. Heutige Faschisten haben den Dichter zum Namenspatron gewählt.

Das Schlüsselwort des gedrechselten Verses ist "Usura". Es steht für Wucher, den Pound im Einklang mit Mussolini mit dem Judentum assoziierte. Schlussfolgerung: Juden sind zu handwerklicher Wertarbeit beim Hausbau nicht fähig. Der Urheber ist bei der Berliner Inschrift nicht angegeben, und die Platte liegt unauffällig, abseits von der Mitte. Kollhoff bestreitet den Vorwurf Hartbaums, eine "antisemitische Flaschenpost" in Berlin gelandet zu haben. Aber der verschwiegen-verschämte Umgang mit seinen Inspirationsquellen ist eine Nagelprobe auf den Antisemitismus. Es ist eine klassische, von Adorno aufgewiesene Methode faschistischer Agitatoren, nicht den Schädling des Volkes, den Parasiten, zu benennen, sondern nur Anspielungen zu machen. Aber jeder im Saal weiß, um wen es sich handelt.

Die Analogie des Platzes zu faschistischer Architektur ist nun evident, aber ist die Übereinstimmung auch inhaltlich begründbar? Der Stadtforscher Walter Prigge wies schon 2002 darauf hin, dass Kollhoffs Ensemble dem Muster einer weit verbreiteten Investorenarchitektur entspricht. Form und Funktion werden voneinander getrennt, um die vom Investor verlangte, auf Masse und Kasse abgestellte Funktion unhinterfragt zu liefern. Anschließend wird die Form - als unterhaltsames Moment - der Funktion nachgeliefert. Beide werden mit Hilfe marktgängiger Bilder der Stadt wieder zusammengefügt. Das Marktprinzip vermittelt die Architektur mit sozialer Realität. Die historische Darstellungsbeziehung von städtischer Architektur und Stadtbürgertum ist im Zuge der Globalisierung zur leeren Behauptung geworden.

China ist schon angekommen

Die europäische Stadt wird zur Maske. Sie wird zum Designprodukt fetischisiert. Kollhoffs Objekt ist das Abziehbild der kompakten europäischen Stadt. Es abstrahiert von historischen Stadtmodellen, indem es einen geglätteten, stilisierten und schematisierten Klassizismus aufbläht. Das geht bis zu den Rundsäulen der Kolonnaden, die mit stilistisch reduzierten dorischen Kapitellen versehen sind.

Das hört sich relativ neutral an. Ein Reduktionismus ist nicht zuletzt Kennzeichen der Moderne. Aber in der Monumentalisierung des Klassizismus liegt genau das, was die Nazis unter Heimatschutzstil verstanden, der prompt kompatibel mit megalomaner Repräsentationsarchitektur wurde. Der Heimatschutzstil rekurriert auf einen Klassizismus aus der Zeit um 1800.

Seit vorigem Jahr hat Frankfurt a.M. eine neue Altstadt. Bild: Bernhard Wiens

Um dorthin zu kommen, wandten die Nazis das Verfahren der Abstraktion von überlieferten Stilen an und landeten bei einer Typisierung, die geschichtslos und übertragbar auf andere Orte ist. Diese Architektur zerstört entgegen der Behauptung jeden Regionalismus mit dem Ziel einer Homogenisierung auch der Menschen. Bei Kollhoff ist dieses Architekturschema auch auf andere Haustypen anwendbar. In Berlin-Dahlem hat er eine monumentale Villa erstellt, die eher nach einer Trutzburg als nach Schinkel aussieht. Der Bauherr scheint keine Bedenken zu haben, die Mischung aus Protz und Kitsch vorzuzeigen. Wird das der neue Populismus?

Nach Trüby ist die Rekonstruktions-Architektur ein "Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten". Er und sein Team vertreten dagegen einen Purismus, der sich auf die Bauhaus-Moderne berufen könnte, aber verkennt, dass in der Architekturgeschichte Stile sich nur auf ungeraden Wegen, mittels Abschweifungen und Kompromissen durchsetzen. Noch 1987 bescheinigte ein Kritiker der Turiner Via Roma, "modern und klassizistisch zugleich" zu sein. Generell wird der faschistischen Architektur Modernisierungspotential zugesprochen. Der heutige Umgang mit Bauten aus jener Zeit sollte von Fall zu Fall überlegt werden. Da sie ihrer ursprünglichen Verwendung entzogen, nutzlos geworden sind wie der Flughafen Tempelhof, böte das Ansätze zu einer verfremdenden Neu-Interpretation, die die Brüche der Geschichte und der Zivilisation deutlich macht.

Trübys Gestus der erhobenen Zeigefingers wird auch architekturpädagogisch von geringem Erfolg sein. Die Teile des Publikums, die sich, ohne auf die Feinheiten zu achten, an den Bausünden der Nachkriegsarchitektur stören und vorvergangene Sehnsuchtsorte wieder haben wollen, werden so nicht überzeugt. Aber es war höchste Zeit, dass Trüby und sein Team einer rechtslastigen Architekturideologie Grenzen aufgezeigt haben, die im Fall des Walter-Benjamin-Platzes überschritten sind. Die Gestaltung des Platzes ist auch ein Hohn auf den Namensgeber. Der Philosoph W. Benjamin nahm sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben.

Bleibt noch die maskierte Stadt: Die neue Frankfurter Altstadt ist weder ein "schöpferischer Nachbau" der alten, noch ist sie eine detailgetreue Reproduktion 1:1. Sie wäre leichte Beute für Kopisten, die es nicht ganz so genau nehmen. Die Altstadt könnte sich demnächst in China wiederfinden. In der Nähe von Dongguan werden gerade zwölf europäische Städte oder deren Wahrzeichen nachgebaut, darunter das Heidelberger Schloss, Bologna und die Alhambra. Dem Investoren könnten jedoch die Mittel knapp werden. Es handelt sich um den Konzern Huawei, der dort einen Stützpunkt ausbaut, der seine Mitarbeiter motivieren soll. Ist auch in China die Flugscham so weit gediehen, dass auf einen Besuch des mittelalten Europas verzichtet wird?

Zahlreiche Kopien finden sich auch an anderen Orten Chinas, darunter das so idyllische wie touristische österreichische Hallstatt, das in Boluo spiegelverkehrt rekonstruiert wurde. Ein Entwickler, der ansonsten für die Hochhauskulisse drumherum zuständig ist, sagt: "Imitieren heißt erschaffen... Ideen entstehen nicht aus dem Nichts." Hätte man den Chinesen nicht den Nachbau des künftigen Berliner Flughafens andienen sollen? Wer das chinesische Bautempo kennt, weiß, dass die Kopie schneller als das Original fertig geworden wäre. Die für Berlin bestimmten Flugzeuge hätten schon mal dort landen können. Die Kopierkunst stammt nicht einmal aus China. In Las Vegas wurde Venedig nachgebaut, das wiederum in Macau nach dem amerikanischen Vorbild nachgebaut wurde, nur größer.

Die Bilder haben das Abgebildete verschluckt. Wo was wirklich gebaut wird, ist egal, denn die Wirklichkeit stiehlt sich davon. Auf diesem Terrain gedeihen nur noch identitäre Phantasien. Wohnen wird zu einem Ideal, welches das Ich ersetzt und über die widerspruchsvolle soziale Realität hinwegtäuscht.