Hauptstadt-Schmooze
Digitale Jungunternehmer aus Berlin und London verkabeln ihre Laptops
Das Wort "schmooze" kommt eigentlich aus dem amerikanischen Englisch1 und bedeutet, eine Art intimer Konversation zu führen, die zugleich mit geschäftlichen Absichten verbunden sein könnte, die aber nicht im Vordergrund stehen. Vor allem in der jüngst zu Ende gegangenen ersten Blüte der New Economy war "schmooze" auf Parties und Empfängen am Rande größerer Konferenzen eine der bevorzugten, wenn nicht die hauptsächliche, Art des Gesprächs, um an Insider-Informationen und Aufträge zu kommen. "Schmooze" ist jedenfalls ein wichtiger modus operandi der New Economy. Nun hat man sich scheinbar an höherer Stelle in Berlin und London gedacht, dass es nicht schaden könne, wenn die "jungen Kreativen" der beiden Städte ihre Laptops miteinander verkabeln würden. Dienstag abend im ICA in London sah den Auftakt einer von Berlin Partner offiziell organisierten Schmoozing-Party.
Kultur, Kreativität und Kommerz
Das Institute of Contemporary Arts (ICA) befindet sich in einem der Krone gehörenden Gebäude und war kurz nach dem Krieg gegründet worden, als sich England in einer Aufbruchsphase befand und sich trotz wirtschaftlicher Nöte und andauernder Rationierungen mit Begeisterung der Moderne in jeder Hinsicht widmete. Die Surrealisten, die Situationisten, französischer Avantgarde-Film und amerikanische Pop Art wurden dort seinerzeit erstmals einem englischen Publikum präsentiert. Doch von Aufbruch ist in den stuckverzierten Räumlichkeiten in den oberen Stockwerken des Instituts wenig zu spüren. Wie dessen Direktor Philip Dodd in seiner kurzen Eröffnungsrede betonte, sieht das ICA seine Hauptaufgabe nicht in der Förderung zeitgenössischer Kunst, die am Betteltropf von Subventionen hängt, sondern in der Förderung "junger, kreativer Unternehmen", wofür es, seine Wortwahl, den heute vornehmlich gebräuchlichen Ausdruck "cultural Entrepreneurs" gibt.
Doch während "culture" keine Übersetzung benötigt, außer vielleicht den Hinweis, dass es sich im Englischen auf "vulture" (Geier) reimt, ist "Entrepreneur" mit "Unternehmer" nur unzulänglich übersetzt. Bezeichnet ist hiermit ein Unternehmertum, das sich an die Randzonen des kommerziell Erschließbaren begibt, das in den diversen Traumfabriken von Film, Pop, Werbung und Medien jene Bereiche urbar macht, die bislang noch als nichtkommerzielles Terrain galt, sondern als radikale Avantgarde, als Underground oder Subkultur. Herr Dodd gilt nicht nur als New-Labour-Intimus, sondern auch als ein ausgesprochener Vertreter jener Vermählung zwischen Kreativität und Kommerz, die New-Labour-Think-Tanks schon vor Jahren als ein signifikantes Wirtschaftswachstumspotential insbesondere für London identifizierten. Dodd machte seit 1997 das ICA zum Brennpunkt dieser mit dem Schlagwort Cool Britannia assoziierten Business-Strategie, womit es sich als idealer Schauplatz für die Annäherung von Londoner und Berliner Jungkreativen anbot.
Kreativ an der Spree
Da saßen sie dann also, die Aushängeschilder des berlinerischen Neue-Medien-Jungunternehmertums, im Theatersaal des ICA, jede/r einen Laptop vor sich, ich glaube es waren sechs Apple und ein Vaio, und sahen vor allem sauber und frisch aus. Von Triad über Berlinbeta bis hin zu pReview, Playframebis hin zu den nicht mehr ganz so jugendlichen Art+Com gab es kurze und professionelle Projektpräsentationen, gegen die im Einzelnen nichts einzuwenden ist. Stilsichere Grafik, fundierte Usability-Studien, solide Programmierung, reale Virtualität, waren so einige der aufgeschnappten Schlagworte, die aus den beschreibenden Wortgeschwadern der Berliner Digitalgestalter hervorstachen. Diese Tendenz sollte sich später im oberen Stockwerk fortsetzen, wo die eher designorientierten Firmen wie Moccu, garderobe23, defcom und moniteurs an Stehtischen vor Laptops Interessierten ihre Arbeiten zeigten, nebst Genuss großzügig bereitgestellter Mengen an Becks. Was die stur an Vorurteilen über Deutsche festhaltenden Engländer sicher überraschte, war der Umstand, dass die Präsentationen sogar richtig locker und lustig waren, wozu der, wenn ich mich nicht irre, mit wienerischem Akzent Englisch sprechende Sebastian Peichl als Moderator das "Seinige" beitrug. Von verschiedenen Sprechern betont wurde, dass man eine zweigleisige Strategie verfolge. Mit Aufträgen für Großkunden wie DaimlerChrysler und Deutsche Telekom werde das nötige Kleingeld für Miete und Unterhalt verdient, während man den Rest der wertvollen Zeit in eigene - übersetze mit "künstlerische" - Projekte ohne kommerzielle Hintergedanken investieren würde. Ebenfalls betont wurde, dass man in Berlin gerne eine Party feiert, weil die ganze Arbeit doch keinen Sinn machen würde, wenn man zwischendurch nicht auch ordentlich Spaß hat.
Rat Race in London
Es spricht sicherlich nur der Neid aus einem Wahllondoner, wenn ich diesem idyllischen Bild von den enormen Freiräumen zwischen Kuhdamm, Mitte und Treptow im folgenden ein wenig gegenhalten möchte. Auch in London wurde früher viel von diesen doppelgleisigen Strategien geredet. Tagsüber schuftet man für die zahlende Kundschaft, abends und nachts geht man seinen künstlerischen Hobbies nach. Doch spätestens seit 1998 hört man weniger und weniger davon. Dafür gibt es zwei Hauptgründe. In der Boomphase der New Economy schossen vor allem auch die Mieten im Web-Designer Eldorado Shoreditch in astronomische Höhen. Zugleich gab es durch die gute Auftragslage für diejenigen, die ordentlich Geld verdienen wollten, ausgiebig Gelegenheit dazu. Die Formel veränderte sich, leicht, aber signifikant. Von da an hieß es "tagsüber arbeiten wir hart für unsere kommerziellen Auftraggeber und nachts arbeiten wir auch hart für unsere kommerziellen Auftraggeber". Was da noch an Zeit übrig blieb, wurde mit der Betäubung des Zentralnervensystems verbracht. Der Flexecutives-Traum zerbrach und übrig blieb eine Entscheidung: Wer sich wirklich der Kunst widmen will, tut das, um den Preis eines wesentlich härteren Existenzkampfes. Wer Geld verdienen will, schmeist seine künstlerischen Jugendträume über Bord und widmet sich voll dem Geschäft, wobei zumindest noch die Option bleibt, möglichst nur interessante Aufträge anzunehmen und eine gewisse Business-Ethik zu wahren, was die Beziehungen zu ausländischen Investoren (multinationale Design-Agenturen, die inzwischen die besten Londoner Firmen aufgekauft haben) ebenso wie zu den eigenen Mitarbeitern betrifft.
Berliner Mythen
Ich würde mal vermuten, dass es eigentlich in Berlin gar nicht so viel anders ist. Vielleicht sind die Mieten noch etwas billiger, ganz gewiss die Drinks und die Zigaretten. Vielleicht hat die deutsche Hauptstadt nicht diesen kolossalen Druck auszuhalten, der auf Londoner Preisen und Lebensumständen lastet, weil sich hier das größte Finanzzentrum der Welt befindet, was sich auf alle kommerziellen Aspekte durchschlägt. Doch die Rede vom künstlerisch-kommerziellen Doppelleben klang schon ein wenig nach Lebenslüge oder zumindest nach Selbstsuggestion. Richtig verdächtig erschienen die zahlreichen Verweise auf die "Aufbruchsstimmung" nach dem Fall der Mauer und auf das wilde Party-Leben in illegalen Clubs im noch nicht vom Immobilienmarkt durchgegrasten Mitte und angrenzenden Revieren Anfang der neunziger Jahre. Dies scheint heute zu einem fixen Bestandteil des Berlin-Mythos zu gehören, etwas, wovon sich zehren lässt, worauf sich Identitäten gründen und was sich leicht zu einer beständigen Quelle der Inspiration und Unangepasstheit verklären lässt.
Fazit
Berlin versteht sich zu promoten. Während man in Hamburg, Düsseldorf, München, Köln und anderswo in deutschen Landen ebenso sein Geld in neuen Medienberufen zu verdienen weiß, genügt sich Berlin nicht darin, eben das zu tun, sondern muss auch noch dauernd davon reden. Insofern sind sich Berlin und London recht ähnlich. London könnte nicht funktionieren, wenn die hiesigen hart in Selbstausbeutung schuftenden Designer-Kreativen sich nicht dauernd einreden könnten, in der großartigsten Stadt der Welt zu leben. Dabei ist dieses Gerede nicht einfach nur heiße Luft, sondern das, was die Bubble weiter expandieren lässt. London ist, neben New York, Weltmeister in der Erhaltung und Erweiterung des Hype als Wirtschaftsfaktor. Berlin scheint sich davon ein Scheibchen abschneiden zu wollen, so ein klein wenig hinterherhinkend, aber zuversichtlich irgendwann aufzuschließen. Was völlig ausgeklammert bleibt bei solchen Gesprächen, sind Fragen zu wirklichen Inhalten: z.B. nach der Relevanz von Design im Verhältnis zum gesellschaftlichen Umfeld; zu den möglicherweise scharfen Gegensätzen zwischen Auftragsarbeiten für DaimlerChryslerBertelsTelekom und einer freien künstlerischen Arbeit; zur Definition des Begriffs "Arbeit" solcher junger Designfirmen im Kontext gegenwärtiger politischer Ökonomie; schlicht, Fragen zu allem, was irgendwie am Rande politisch sein könnte. Diese werden entweder nicht gestellt oder man blödelt sich darüber hinweg. Wohin das alles führt? In der Nachfolge-New-Economy verkauft man weiterhin vor allem Träume und Illusionen. Business kann cool und funky sein. Kapitalismus ist nicht so schlecht wie es scheint. Irgendwann werde ich mein Buch schreiben, ein Album komponieren, die Medienkunst revolutionieren. Bis man verkatert am nächsten Morgen wieder vor der Kiste sitzt und die ersten siebzig E-Mails des Tages herunterlädt, unter einem Himmel, der so grau ist wie ein toter Fernsehkanal ...
Teil 1 des Hauptstadt-Schmooze im ICA dauert noch den ganzen Juni, begleitet von Ausstellungen und Clubbing-Events. Teil 2 findet Ende Juni in Berlin mit Londoner Jungunternehmern und anderen Kreativen statt.