Haushalte unter Druck: Die Energiearmut erreicht die Mittelschicht
Ein großer Teil der Bevölkerung in Deutschland gibt mehr als zehn Prozent des Einkommens für Gas, Strom und Öl aus. Inzwischen sind nicht mehr nur arme Menschen betroffen.
Die steigenden Energiepreise bringen viele Haushalte in Deutschland in Bedrängnis: Knapp jeder Vierte (25,2 Prozent) ist von sogenannter Energiearmut betroffen. Das ergab eine aktuelle Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Im vergangenen Jahr lag die Quote noch bei 14,5 Prozent.
"Die Gefahr für Energiearmut ist enorm gestiegen", sagt Ralph Henger, Ökonom für Wohnungspolitik beim IW, gegenüber Welt am Sonntag (WamS). Eine vergleichbare Entwicklung habe es selbst während der Ölkrise in den 1970er-Jahren nicht gegeben. "Galoppierende Energiepreise setzen private Haushalte zunehmend unter finanziellen Druck."
Als energiearm gilt ein Haushalt, der mehr als zehn Prozent seines Nettoeinkommens für Energie aufwenden muss. Diese Definition umfasst die Ausgaben für Heizen, Warmwasseraufbereitung, Kochen und Strom. Kraftstoffe für Autos werden allerdings nicht berücksichtigt.
In erster Linie sind Menschen mit einem geringen Einkommen betroffen oder Personen, "die sich in schwierigen (Übergangs-) Phasen befinden", heißt es in der Studie. Zum Beispiel: Arbeitslose, Rentner, Alleinerziehende. Vor allem sie geraten in Gefahr, ihre Ausgaben für Energie nicht mehr ohne fremde Hilfe decken zu können.
Arme und untere Mittelschicht besonders von Energiearmut betroffen
Zwei von drei Personen mit niedrigen Einkommen waren demnach im Mai von Energiearmut betroffen. Gemeint sind damit Menschen, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens zur Verfügung haben. Im Vorjahr waren von ihnen dagegen "nur" 49 Prozent betroffen.
Doch auch in der Mittelschicht machen sich die hohen Energiepreise zunehmend bemerkbar. Vor allem in der unteren Mittelschicht steigt der Anteil der energiearmen Haushalte, so IW-Ökonom Henger. Er meint damit die Haushalte, die zwischen 60 und 80 Prozent des Medianeinkommens verdienen. Zwischen 2021 und Mai 2022 habe sich der Anteil der energiearmen Haushalte in dieser Einkommensklasse auf knapp 41 Prozent verdoppelt. Im Schnitt gab die "Untere Mitte" 10,2 Prozent für Energie aus.
Arme Menschen sind stärker von Energiearmut betroffen, da sie tendenziell einen größeren Teil ihres Einkommens für Energie aufwenden müssen als Personen mit hohem Einkommen. Die Betroffenen aus den armen Haushalten wendeten im Mai im Schnitt 15,1 Prozent ihres Einkommens für Energie auf; die der "Unteren Mitte" gaben 10,2 Prozent dafür aus und bei den "Relativ Reichen" waren es nur 3,3 Prozent.
Preisexplosion durch Gaskrise befürchtet
Die Gaskrise könnte das Problem der Energiearmut noch weiter verschärfen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte am Samstag vor einer möglichen "Preisexplosion", sollte Russland kein Gas mehr über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 liefern.
Vor diesem Hintergrund wird immer lauter gefordert, dass die Gasversorger die höheren Preise auf die Verbraucher abwälzen können. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnte zum Beispiel, dass die deutschen Energiekonzerne in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnten, weil sie Erdgas nun wohl teuer am Markt einkaufen müssten – und wenn sie die höheren Preise "nicht zeitnah an ihre Kunden weitergeben können".
In die gleiche Kerbe schlug Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur erklärte er, dass die Versorgungssicherheit bereits gefährdet sei. "Der Druck auf die Stadtwerke nimmt jeden Tag zu", sagte er. Er forderte Bund und Länder auf, zu verhindern, "dass kommunale Versorger ernsthaft in Schwierigkeiten geraten".
Forderung nach gezielten Hilfen
Angesichts dieser wirtschaftlichen Entwicklung und ihrer Forschungsergebnisse sprechen sich die IW-Forscher für gezielte Hilfen für energiearme Menschen aus. So fordert Henger unter anderem kurzfristige Hilfen für Empfänger von Leistungen der Grundsicherung – zumindest bis die Regelsätze an das neue Preisniveau beim Haushaltsstrom angepasst werden.
Ein besonderer Fokus müsse aber auch die Haushalte gelegt werden, die oberhalb der Grundsicherungsgrenze liegen, heißt es in der Studie. Der einmalige Heizkostenzuschuss für Empfänger von Wohngeld sei eine adäquate Maßnahme gewesen. Das Wohngeldsystem solle aber "durch eine dauerhafte Bezuschussung der Heizkosten gestärkt werden, damit das Wohngeld zielgerichtet einen größeren Empfängerkreis unterstützen kann".
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