Hedgefonds haben ausgehebelt
Die Finanzkrise wird vielen Hedgefonds das Genick brechen und die Geschäftsidee ganz allgemein in Frage stellen
In der Debatte über die ökonomischen und gesellschaftlichen Wirkungen, die von den Finanzmärkten ausgehen können, war in den vergangenen Jahren viel von Hedgefonds die Rede. Mehr als 10.000 solcher Fonds gab es Anfang des Jahres. Sie zogen das Kapital von vermögenden Privatpersonen an, mit dem Versprechen, entweder eine bestimmte absolute jährliche Rendite zu erzielen – zwanzig, dreißig oder vierzig Prozent - oder eine, die zumindest deutlich über der von Aktienfonds liegt. Zeitweise herrschten sie über ein Vermögen von fast zwei Billionen US-Dollar.
Um ungewöhnlich hohe Gewinne zu machen, benötigen sie lange Hebel. Sie spekulierten mit geborgtem Geld und nutzten in hohem Maße Derivate, also Finanzinstrumente, deren Wertentwicklung stark überproportional zu derjenigen des zugrundeliegenden „Basiswerts“ verläuft (das kann etwa eine Aktie, eine Anleihe, ein Index oder ein Rohstoff sein). Der Hebel wirkt nach oben und nach unten, in den vergangenen Monaten in den meisten Fällen nach unten.
Darum haben Hedgefondsmanager derzeit eine sehr schlechte Presse. Die sind sie zwar gewohnt, doch anders als früher, als man ihnen vor allem Gier und einen Mangel an Anstand und Moral vorwarf (was für sie die bestmögliche Reklame war), werden sie heute nur noch mit Verlusten und Pleiten in Verbindung gebracht. 179 Milliarden Dollar sollen Hedgefonds in den Monaten zwischen Juni und September verloren haben. Im Oktober wurde es noch schlimmer, und dann kamen auch noch die Turbulenzen um VW, die die Hedgefonds möglicherweise 30 Milliarden Dollar kosteten. Dies sei einer der größten Verluste, die Hedgefonds jemals mit Aktien eines Unternehmens eingefahren haben, berichtet die Londoner Zeitung "Daily Telegraph".
Das Malheur nahm bekanntlich seinen Lauf, als Porsche verlauten ließ, direkt und indirekt – also über Aktienoptionen - 75 Prozent der VW-Aktien zu halten. Da das Land Niedersachsen weitere zwanzig Prozent hält, blieben nur noch fünf Prozent Streubesitz. Hedgefonds, die auf fallende Kurse spekuliert hatten, indem sie die VW-Aktie leerverkauften (also ohne sie zu besitzen, aber mit der Verpflichtung, sie dem Käufer zu einem späteren Zeitpunkt zu liefern, was ein gutes Geschäft ist, wenn der Kurs bis dahin fällt), konnten die Aktien nicht mehr kaufen, trieben den Kurs zeitweise auf 1000 Euro und haben nun hohe Verluste zu beklagen.
Dabei war es schon vorher das schlechteste Jahr in der Geschichte der Branche, die in den letzten Monaten in einen Teufelskreis geriet: Der Kredit trocknete aus, dies zog Verkäufe nach sich, die die Kurse an den Börsen, Rohstoff- und Devisenmärkten beeinflussten. Besorgte Anleger machten Kasse und gaben allein im dritten Quartal Hedgefonds-Anteile im Wert von 31 Milliarden US-Dollar zurück, was die Fonds zu noch mehr Verkäufen zwang. Die fallenden Kurse an den Finanz- und Rohstoffmärkten führten zum einen dazu, dass andere Fonds sich ebenfalls von ihren Positionen trennten (mit der Folge von noch mehr Verkäufen und weiter fallenden Kursen), zum anderen zogen noch mehr Anleger und Kreditgeber ihr Kapital ab – und so weiter.
Noch verschärft wurde die Situation dadurch, dass die Wetten oft einem ähnlichen Muster folgen: Die meisten Hedgefonds setzten u.a. auf steigende Rohstoffpreise und einen fallenden US-Dollar. Die Devisen- und Rohstoffmärkte entwickelten sich aber seit Juni genau umgekehrt. Viele Hedgefonds wurden gleichzeitig auf dem falschen Fuß erwischt, und ihr Versuch, Verluste in einem Bereich durch Verkäufe in einem anderen auszugleichen, zog auch andere Sektoren mit. Besonders hart traf es deshalb oft Aktien, die als Favoriten der Hedgefonds galten.
Dann kam der Bankrott von Lehman Brothers, ein doppelter Schock. Die Investmentbank galt einerseits als wichtige Geldquelle der Hedgefonds – die nun versiegte –, andererseits schlug sich der Bankrott unmittelbar in den Bilanzen nieder, denn alle Kontrakte mit Lehman waren nun wertlos. Der Lehmanpleite folgten rasch einige Hedgefonds und wiederum kam eine Kettenreaktion in Gang: Macht ein Fonds dicht, werden seine Positionen aufgelöst, was die Kurse der Werte beeinflusst, auf die er spekuliert hat. Hatte er beispielsweise mit Hilfe von Kaufoptionen auf einen steigenden Goldpreis gesetzt, führt die Auflösung dieser Positionen dazu, dass der Goldpreis nachgibt (wenn nicht starke gegenteilige Einflüsse wirksam sind), was bei allen Hedgefonds, die ähnlich strukturierte Wetten haben, ebenfalls zu Verlusten führt und zu weiteren Verkäufen.
Aufgrund der Wirkung der Hebel können auch kleine Hedgefonds die Märkte ins Taumeln bringen
Mit Hilfe von Kredit und Derivaten ist es Hedgefonds möglich, Marktpositionen in einem Volumen aufbauen, das ihr Kapital um ein Vielfaches übersteigt. Das war der Grund, weshalb die Pleite des kleinen, von Mathematikern, Trägern des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaft und anderen Genies geführten Hedgefonds LTCM im Jahr 1998 beinahe zu einer allgemeinen Krise geführt hätte (eine nächtliche Sitzung der US-Notenbank und der führenden Kreditinstitute soll sie damals abgewendet haben, die Deutsche Bank übernahm anschließend Teile von LTCM).
Das Platzen der Kreditblase aber stellt dieses Geschäftsmodell in Frage. Wenn sogar Staaten wie Ungarn Probleme haben, Kredite zu bekommen, wer würde dann einem Hedgefonds leihen? Die Zukunft der Hedgefonds und der Finanzmärkte überhaupt wird nicht zuletzt davon abhängen, ob die sogenannten Yen-Carry-Trades wieder in Gang kommen. Der Begriff bezeichnet den Geldstrom, der jahrelang von Japan (wo die Zinsen nahe null Prozent liegen und Sparguthaben sich deshalb nicht lohnen) aus in den Rest der Welt floß und auf sechs Billionen Dollar geschätzt wird. Dieses Kapital hat in den letzten Jahren Aktien, Anleihen und Rohstoffpreise beflügelt und viele höchst profitable Geschäfte erst möglich gemacht. Wie man am explodierenden Kurs des japanischen Yen ablesen kann, ist ein großer Teil dieses Kapitals in den letzten Monaten wieder nach Japan zurückgeflossen, was die Situation an den Finanzmärkten verschärft hat und zum Ausmaß der Krise beitrug, die von einer „Subprimekrise“ zur Weltfinanzkrise geworden ist.
Nach Schätzungen von Insidern werden mindestens 25 Prozent der Hedgefonds die Krise nicht überstehen. Manche vermuten, dass es 50 Prozent sein werden, der bekannte Spekulant George Soros (der mit der Spekulation gegen das britische Pfund bekannt wurde, die 1992 das Europäische Währungssystem erschütterte) schätzt die Zahl sogar auf zwei Drittel. Und die, die dem Bankrott entgehen, werden es in Zukunft schwerer haben, ihren Kunden das Versprechen hoher Renditen glaubhaft zu machen. Denn die wichtigsten Bedingungen dieses Geschäfts werden nicht mehr vorhanden sein. Der Derivatenmarkt, der derzeit noch frei von allgemeingültigen Regeln ist, wird nach den jetzigen Erfahrungen sicherlich einer staatlichen Aufsicht unterstellt werden. Und Hedgefonds, die Kredite aufnehmen, werden größere Sicherheiten bieten müssen als in der Vergangenheit und höhere Zinsen zahlen. Das wird viele Transaktionen unprofitabel machen und die Geschäftsidee des Hedgefonds überhaupt in Frage stellen - was aber wohl kaum jemand beklagen wird.