Herbeiführung von Blackouts durch Desinformationskampagnen?
Wissenschaftler wollen in einer Studie belegt haben, dass individuelles Verhalten gezielt über die Verbreitung von Desinformation über soziale Netzwerke manipuliert werden kann
Wissenschaftler der Nationalen Universität von Singapur haben, gefördert von der National Research Foundation Singapore, ein noch fiktives Szenario durchgespielt, das zeigen soll, wie Menschen dazu gebracht werden könnten, unwissentlich kritische Infrastruktur anzugreifen und lahmzulegen. Benutzt werden dazu Desinformationskampagnen vor allem über Soziale Netzwerke, die allerorten von politischen und militärischen Spielern als gefährliche Waffen von der jeweils gegnerischen Seite bezeichnet werden. Wie wirksam solche Desinformationskampagnen sind, ist allerdings nicht wirklich belegt.
"Soziale Netzwerke haben es möglich gemacht", schreiben die Wissenschaftler, "die Massen über Desinformation und Fake News in bislang unbekanntem Ausmaß zu manipulieren. Das ist besonders aus einer Sicherheitsperspektive alarmierend, da Menschen erwiesenermaßen eines der schwächsten Glieder für den Schutz kritischer Infrastruktur im Allgemeinen und des Stromnetzes im Besondern ist." Soziale Netzwerke würde es Aggressoren erlauben, das "öffentliche Narrativ zu steuern". Die stärksten viralen Informationen könnten den Ausgang von Kriegen beeinflussen. Der Wirkmechanismus bestehe im Einsatz von Algorithmen, die Viralität vor Wahrheit bevorzugen.
Es wird also schon einmal die angebliche Gefahr hoch angesetzt. Als die "deutlichsten" Beispiele für den Erfolg solcher Kampagnen werden wieder als Paradebeispiele "die angebliche russische Einwirkung auf den Präsidentschaftswahlkampf 2016" und das Brexit-Referendum genannt. Bei beiden ist zweifelhaft, ob die "Kampagnen" den Ausschlag gegeben haben. Die Autoren gehen jedoch davon aus, dass die gezielte Beeinflussung von Computernutzer "langfristige Entscheidungen einer Gesellschaft beeinflussen" können. Solche langfristigen Manipulationen des sozialen Verhalten seien schon öfter untersucht worden, aber nicht "gezielte Angriffe, die Desinformation als Waffe verwenden, um soziales Verhalten in einer begrenzten Zeitspanne zu manipulieren".
Stuxnet wird als Beleg angeführt, dass der Mensch trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen das schwächste Glied ist, da Mitarbeiter des Atomprogramms unwissentlich die Schadsoftware in das System eingebracht haben. Über Spearfishing hatten Hacker auch die Stromversorgung von zahlreichen Haushalten in der Ukraine für mehrere Stunden unterbrechen können. Interessanterweise werden die Blackouts in Venezuela nicht thematisiert.
Da für fortgeschrittene Gesellschaften Stromausfälle enorme Folgen haben, fanden die Wissenschaftler es interessant, der Frage nachzugehen, ob ein Gegner über Verbreitung von Desinformation das Stromnetz einer Stadt lahmlegen könnte, ohne die Hardware- und Software-Infrastruktur anzugreifen, sondern lediglich durch Manipulation des Kundenverhaltens.
"Weaponised" Desinformation
Als Modell diente den Wissenschaftlern London. Simuliert wurde, ob eine Kampagne mit "weaponised" Desinformation genügend Bürger dazu bewegen könnte, ihre Stromnutzung so zu verändern, dass das Stromnetz zusammenbricht und ein stadtweiter Blackout eintritt. Eine interessante Perspektive für eine digitale Gesellschaft und Smart Cities, die nicht nur Hacker, Kriminelle oder Feinde, sondern auch Regierungen, Unternehmen oder Organisationen verlocken könnte, solche Techniken auszuprobieren. Manchmal könne schon ein kleiner unerwarteter Anstieg der Stromnachfrage ein nicht ausreichend gewartetes Stromnetz zum Absturz zu bringen. Systematisch unklar bleibt jedoch, wann eine Information "weaponised", also wann und wodurch eine Information zur Waffe wird.
Die Wissenschaftler verwendeten in ihrer Simulation das Aufladen von E-Autos, das in Zukunft einen beträchtlichen Teil der Energie beanspruchen wird, deren Konsum verschoben werden kann. Es ließen sich also scheinbar offizielle Botschaften an Stromkunden schicken, um ihnen zu offerieren, dass sie 50 Prozent weniger zahlen, wenn sie ihre E-Autos zu einer bestimmten Zeit, in der das Stromnetz bereits hoch belastet ist, aufladen. Zudem sollen sie das Angebot weiter verbreiten. Getestet wurde die Desinformationskampagne mit Versuchspersonen, die über Amazon Mechanical Turk gewonnen wurden und auf Fragen antworteten, wie sie auf solche Angebote, die sie direkt von den Angreifern oder über Freunde vermittelt erhalten, reagieren würden.
Gewaltige virale oder ansteckende Wellen lassen sich nach der Auswertung der Antworten der Versuchspersonen wohl nicht durch Desinformation erwarten. Zwischen 3 und 27 Prozent - eine große Spannweite - würden ihr Verhalten nach Empfang einer solcher Desinformation, die große Preisvorteile verspricht, verändern. Wenn eine gewisse Schwelle überschritten wird, könne tatsächlich ein städtisches Stromnetz lahmgelegt werden. Aber das bleibt alles sehr hypothetisch, zumal die Versuchspersonen im Ernstfall anders entscheiden könnten, die Verbreitungswege anders und die Stromnetze nicht so einfach sind wie in der Simulation angenommen.
Aber die Wissenschaftler glauben dennoch, gezeigt zu haben, dass eine Desinformationskampagne genügend Menschen beeinflussen kann, ihr Verhalten zu ändern und Botschaften an ihre Freunde weiterzugeben, so dass ein Blackout in einer Stadt bewirkt werden könnte. Möglicherweise haben sie auch mit ihrer Studie die Weiterentwicklung von Manipulationskampagnen angeschoben, indem weiter getestet wird, wie Menschen über Information manipuliert werden können. Der Ansatz scheint dabei realistisch zu sein, die Menschen mit zeitlich determinierten "Schnäppchen" zu verführen. Aber das versuchen ja eigentlich auch alle Unternehmen, um Konsumenten zum Kauf ihrer Produkte zu verführen. Insofern ist das Modell eigentlich trivial und alltäglich. Wahrscheinlich ist schon eine konzertierte und kontinuierliche Kampagne notwendig, um das Denken und Verhalten der Menschen zu beeinflussen. Dabei spielen auch Medien, die kollektiven Aufmerksamkeitsorgane, eine große Rolle.
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