Herz-Schmerz-Kriegsdrama
Von Auschwitz nach "Dresden": Wovon ein TV-Eventmovie erzählt
Nun dresdet es wieder. So ganz ohne Jubiläum, einfach so, und weil die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs allemal eine unterhaltsam-dankbare Kulisse für Sex und Crime zur Primetime abgeben, zeigte das ZDF jetzt Roland Suso Richters zweiteiligen TV-Movie Dresden, zusätzlich umrankt mit ein paar schmucken Doku- und Debatten-Ornamenten - ein Musterbeispiel der Vermarktung und mit 12,68 Millionen Zuschauern (1.Teil), was einer Quote fast auf Gottschalk-Gipfelniveau von 32,6 Prozent Marktanteil entspricht, sozusagen ein Bombenerfolg für den Mainzer Sender. Neben dem Unterhaltungswert bietet das Herz-Schmerz-Kriegsdrama auch noch Gelegenheit zu weichgespülter Volkspädagogik: Die wahren Kriegsopfer, erfahren wir da, sind eben die Deutschen, und Nazis gab es in Dresden eigentlich auch kaum. Und ganz sachte löst Dresden Auschwitz als symbolisches Erinnerungszentrum an die deutsche Geschichte ab.
Aber zuerst das Positive: Es hätte nämlich wirklich schlimmer kommen können mit "Dresden". Der Film ist keineswegs ein revanchistisches Pamphlet, er bemüht sich um so etwas wie eine multiperspektivische Darstellung der Nacht der Zerstörung Dresdens im alliierten Bombenhagel am 13. Februar 1945. Vor allem aber ist er besser gemacht und weniger eindimensional als andere sogenannte "Eventmovies" wie "Sturmflut" oder "Luftbrücke", die ebenfalls aus dem Hause der Berliner Produktionsfirma "teamworx" stammen.
Auch hier aber handelt es sich um einen Heimatfilm, der mit den bekannten Mitteln die auch nicht neue Schnulze von der Liebe zwischen zwei Fremden erzählt, die aber doch vom Schicksal füreinander bestimmt wurden. Der Krieg, in einem solchen Plot oft genug der große Liebeszerschmetterer, wirkt hier einmal nicht als hindernde, sondern als zusammenführende und vereinigende Kraft. "Gottseidank hauen die jetzt endlich dazwischen!", ist man versucht im Fernsehsessel auszurufen, als die Schurken zu gewinnen drohen und das Liebesglück in weiteste Ferne entrückt ist. Doch dann kommen die Briten und bomben unser Traumpaar zueinander. Was natürlich Methode hat. Aber dazu später.
Heimatfilm mit Chefarzttochter
Die Hauptfigur ist Anna, Chefarzttochter und Krankenschwester in Papas Klinik. Dort werden Soldaten und Zivilisten gemeinsam behandelt, was es so nie gab, aber wen interessiert das schon. Bereits in der ersten Szene sieht man Anna, gespielt von den Felicitas Woll, voller Mitleid einen Landser zusammenflicken, und als ein kleiner Bombengriff kommt, hasten alle in Panik in den Keller. Anna schimpft nur kurz "Diese verdammten Amerikaner" und harrt pflichtbewusst am Krankenbett aus, auch wenn die Welt um sie zusammenfällt.
Mit ihr pflegt Oberarzt Alexander, ihr zukünftiger Ehemann, nicht weniger pflichtbewusst als sie, aber bieder und etwas langweilig. Und für Jazzplatten, die Anna zu später Stunde gerne hört, hat er auch nichts übrig. Der Film konstruiert die Temperamentsgegensätze dieses ungleichen Paares als Klassenkonflikt: Alexander ist ein Aufsteiger, der seine Karriere mit einem gewissen Maß an Opportunismus und Berechnung erkauft hat, kein Täter, schon gar keiner aus Überzeugung, aber ein Mitläufer und Angepasster. Annas Elternhaus hingegen ist reich und sie selbst höhere Tochter genug, um sich ein bisschen Überzeugung und Unangepasstheit leisten zu können, und der Film ist grausam gut beobachtet, indem er zeigt, wie sie Alexander bei der erstbesten Gelegenheit für einen "interessanteren", auch heldenhafteren Anderen den Laufpass gibt - auch das kann sie sich eben leisten.
Dieser Andere ist Robert, ein verwundeter - deutschstämmiger - britischer Bomberpilot, der irgendwann im ersten Teil den Absturz seines Flugzeugs überlebt und mit sicherem Schicksalsinstinkt jenseits aller Glaubwürdigkeit ins Krankenhaus von Annas Papa schlurft, wo er dann auf Anna trifft und sich mit ihrer Hilfe im Krankenhauskeller versteckt. Bald verlieben die beiden sich, es gibt sogar Sex im Krankenbett. Annas Vater, darauf kommen Robert und der Zuschauer bald, macht schmutzige Geschäfte mit schwarzem Medikamentenverkauf. So steht, das macht die Kolportage komplett, Anna gewissermaßen zwischen drei Männern, von denen nur einer wirklich rein und gut ist. Nachdem sich die Dinge zunächst dramatisch zuspitzen, Robert entdeckt und um ein Haar ermordet wird, führt schließlich der britische Bombenangriff zur Befreiung: Anna und Robert retten sich und sind ein Paar, Alexander überlebt, der korrupte Vater stirbt.
Ein Arzt am Scheideweg
Das alles hat mit dem Bombenangriff auf Dresden herzlich wenig zu tun. Der beginnt erst in der Mitte des zweiten Teiles. Zuvor hat man an seiner Vorbereitung im britischen Hauptquartier zugucken können, hat auch Dresden ein wenig kennen gelernt: Eine friedliche Stadt mit vielen Flüchtlingen, kaum Soldaten, mit ein paar Hakenkreuzfahnen, aber ohne Nazis. Außer drei, vier finster dreinschauenden blonden Burschen mit blitzblanker brauner Uniform. Als der erste von ihnen einmal durchs Bild marschiert, dauert der Film immerhin schon eine halbe Stunde.
Unterbrochen ist diese Spielhandlung zu Beginn des ersten Teiles durch regelmäßige kurze Dokumentarausschnitte mit historischen Aufnahmen. Manche von ihnen sind keine halbe Sekunde lang, die wenigsten länger als zehn Sekunden. In der zweiten Hälfte des Films verschwinden diese dokumentarischen Passagen dann fast völlig.
Ansonsten erlebt man lauter moralische Deutsche, die an moralischen Konflikten zerbrechen: Ärzte - seit Konsalicks schnell verfilmten "Arzt von Stalingrad" die Metapher des guten handelnden Deutschen im Krieg - am Scheideweg zwischen Pflicht und Überlebenstrieb; sogar Annas von Heiner Lauterbach mehr schlecht als recht verkörperter Vater ist eigentlich ein guter Mensch: Schließlich dealt er mit Morphium nur, um seine Familie zu retten und "vor den Russen" ins sichere Ausland zu schaffen. Und schließlich ist sein Sohn "gefallen", worüber einem richtigen deutschen Vater auch zwei überlebende Töchter nicht hinweg trösten können.
Lynchen und Befehlsnotstand
Immerhin zeigt "Dresden" auch einen kleinen Teil der anderen Seite: Man sieht, wie deutsche Zivilisten einen mit dem Fallschirm gelandeten britischen Soldaten lynchen. Man hört, wie ein Sterbender im Krankenhaus einmal flüstert: "Ich habe Dinge getan, schreckliche Dinge." Der Holocaust kommt auch noch in Gestalt von dem Juden Simon Goldberg (Kai Wiesinger), der Klempererhaft von seiner "arischen" Frau geschützt in Dresden überlebt, als Postbote der jüdischen Gemeinde aber den letzten überlebenden Juden die Deportationsnachrichten übergeben muss.
Man kann das alles so machen, der Film bietet, wie Hannah Pilarczyk in der "taz" zu Recht konstatiert, für Opferdiskurse wenig Ansatzpunkte. Ein paar wenige aber wohl schon. Zu Geschichtsklitterung wird dies, wenn es um die Beweggründe für den Bombenangriff geht: Die Briten haben alle ein Problem mit dem Angriffsziel, nur "Bomber Harris", hier Inbegriff des Bösen, wie früher in solchen Filmen nur ein Nazibonze, will ihn wirklich. Und wenn ein zweifelnder Pilot von seinem Kameraden mit dem Satz zurechtgewiesen wird: "Wir sind keine Politiker, wir sind Flieger. Und wir führen unsere Befehle aus", dann liegt das alles schon sehr nahe an der Lieblingsnachkriegsausrede deutscher Soldaten, der Rede vom "Befehlsnotstand."
Im Kitsch as Kitsch can gehen die Richtigen drauf und die Richtigen überleben. Überhaupt ist dies eine Überlebensgeschichte, in der nur Statisten sterben. Der Bombengriff selbst wird zwar als großes Spektakel gezeigt, aber doch an der Realität gemessen eher harmlos. Es stimmt natürlich, wenn die Macher darauf verweisen, man könne nicht brennende Menschen zeigen, die im flüssigen Asphalt stecken. "Dresden - Bilder einer Nacht, die man nicht vergessen kann", trailert das ZDF. Mal ist vom "schlimmsten Ereignis des Zweiten Weltkriegs" die Rede, dann vom "deutschen Trauma". "Dresden war so gut wie wehrlos“, erfährt man auch. "Die Suche nach der Wahrheit ist noch lange nicht abgeschlossen." Und man fragt sich, was man da wohl noch an Wahrheit zu entdecken glaubt. Flankiert wird das "Fernsehereignis" von der zweiteiligen Dokumentation "Feuersturm", die schon vorab wie ein 45-Minuten-Trailer gesendet wurde. Vorab gab es auch die Schauspieler bei Johannes B. Kerner, ein Making-Of - die Marketingmaschine lief auf Hochtouren.
Dramatisierung und Verwertungsblick
Ästhetisch erfüllt "Dresden" alle Mängel des typischen deutschen Geschichtsmelodrams im Kino und TV: Der Film leidet an Überdramatisierung, an der Aufladung des Alltags mit Bedeutung. Der Regisseur Dominik Graf kritisierte erst vor wenigen Wochen - aus Anlass seines Filmstarts mit "Der Rote Kakadu" - jenen gegenwärtigen
imperial-kapitalistischen Verwertungsblick auf die Geschichte: Emotion, Drama und massentaugliche Spannung zählen, sonst nichts. Die `History`-kultur schlachtet unsere Geschichte aus wie einen alten Luxusliner. Nicht ein Funken Dialektik findet sich mehr darin. Das wird sich rächen, weil wir als Gesellschaft daran verblöden. Und wenn man die `Wirklichkeit` der Vergangenheit erzählen will, dann darf man nicht immer nur Rentner vor die Kamera zerren, und deren lückenhafte Erinnerungen stets für bare Münze nehmen. Man muss auch im Kino Erinnerungswissenschaft betreiben, und zwar detailliert und psychologisch. Sonst hinterlassen wir unseren Kindern verfälschte, heroisierte Geschichtsbilder. Ganz so wie es die deutschen Polit-Systeme des 20. Jahrhunderts vor uns getan haben. Man muss von dieser "imperialen" Sicht, die wir heute in Geschichtsfilmen pflegen, wieder deutlich runter kommen. Fast kommt es mir so vor, als würde der Historikerstreit neu im Kino ausbrechen.
Kollateralschäden statt Schuldige
Dieser fragwürdige Geschichtsgebrauch, der den Bombenkrieg zum Unterhaltungsthema zur Prime Time mutieren lässt, hat auch - nicht notwendig von den Machern intendierte - politische Konsequenzen: Auf dem symbolischen Terrain werden zur Zeit die Gedenkstätten umgegraben. Von Auschwitz verlagert sich der Blick nach Dresden: Während im einen Ort Täter und Schuld zwangsläufig dominieren, ist Dresden ein Ort der unschuldigen Opfer. Endlich dürfen Deutsche hier vermeintlich Kollateralschäden sein und nicht Täter, die die gerecht Strafe ereilt. "Dresden" wird so zur Metapher der Relativierung.
Und zur Metapher der neuen deutschen Niedlichkeit: Denn der Film endet mit einem letzten Dokumentarstück. Man sieht die wiederaufgebaute Frauenkirche, man sieht Menschen, die die Einweihungsfeier besuchen, man hört den deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler: "Nie wieder Krieg!"
Dies ist sie also, die Lehre aus Dresden. Undifferenziert, verkürzt und banal ist eine solche Aussage angesichts der tatsächlichen Herausforderungen, unterkomplex, wenn das die Lehre aus Dresden sein soll. Ist es denn nicht auch die Lehre aus Auschwitz, dass man in bestimmten Situationen eben einen Krieg führen muss? Der Satz "Nie wieder Krieg!" in diesem Zusammenhang - ein Verteidigungskrieg gegen eine angreifende Diktatur - desavouiert die Anstrengungen der Anti-Hitler-Koalition, um die Nazi-Barbarei zu beenden.