Herzliche Beziehungen zu Terroristen

Manche Terroristen müssen geschützt werden, denkt auch die amerikanische Regierung

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Der Kontakt mit dem "Anderen" kann den Horizont erweitern und zu völlig neuen, gar revolutionären Ansichten führen. Der Orient, das ist seit langem aus vielen Erzählungen bekannt, steckt voller weiser Männer. Anscheinend hat die intensive Beschäftigung der USA mit dieser Region zu neuen Ansichten geführt. Wie anders denn als "weise" sollte die Definition verstanden werden, die ein ranghoher amerikanischer Repräsentant jüngst im Zusammenhang mit der "terroristischen Vereinigung" Mudschahedin e-Khalq (vgl. Wenn es den eigenen Interessen dient) zum Besten gegeben hat? "Ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung ist nicht notwendigerweise ein Terrorist" sagte der Mann, ganz offensichtlich zu ungewöhnlichen Gedankenflügen inspiriert.

Denn, so fährt der senior American official fort, "um gegen Jemanden einzuschreiten, muss man beweisen können, dass derjenige etwas getan hat." Wenn das mal die Insassen der Gefängnisse im Irak, in Guantanamo und anderswo erfahren...

In dem Fall, auf den das Zitat gemünzt ist, handelt es sich um eine ziemlich schillernde Gruppierung von Terroristen, die auch in der allerneuesten Liste der terroristischen Vereinigungen noch als solche geführt wird: die Mudschahedin e-Khalq, gerne mit Volksmudschedin übersetzt.

Protected Persons

Nach eingehender 16monatiger Untersuchung haben die USA, wie am Dienstag berichtet wurde, jetzt herausgefunden, dass es "keine Basis" gebe, die Mitglieder dieser Gruppe wegen "Gesetzesverstöße gegen amerikanisches Recht" zu belangen, obwohl sie von der amerikanischen Regierung als "terroristische Vereinigung" geführt wird.

3.800 Mitglieder dieser Gruppe werden zur Zeit in Camp Aschraf, ungefähr 100 Kilometer nordöstlich von Bagdad festgehalten und genießen jetzt den Status von protected persons nach der 4.Genfer Konvention. Zwischen den gefangenen Volksmudschahedin und den amerikanischen Bewachern soll es eine "herzliche Beziehung" geben. Man passt darauf auf, dass die Leute das Lager nicht verlassen, tun sie's doch, dann in Begleitung einer amerikanischen Militäreskorte, so die Schilderung der New York Times.

Ein sonderbar friedliches Miteinander also zwischen den Guten und Bösen - immerhin haben sich die Volksmudschahedin nicht nur den Islam (wenn auch in einer fortschrittlichen Form) auf die Fahnen geschrieben, sondern auch einen radikalen Sozialismus, zu Anfangszeiten sogar noch dezidiert marxistisch, was sie in die Nähe des "zweifach Bösen" bringen könnte, wenn sich die Gruppe nicht in einer radikalen Gegnerschaft zu einem größeren Bösen befinden würde, Iran nämlich. Das relativiert einiges. Sogar amerikanische Opfer:

In den 70er Jahren ermordet die Volksmudschaheddin (MKO) im Iran US-amerikanische Soldaten und Zivilpersonen, die an Verteidigungsprojekten im Iran arbeiten. Man vermutet, dass diese Taten von maoistischen Splittergruppen der MKO verübt wurden. Die MKO unterstützt 1979 die Stürmung der US-Botschaft in Teheran, wobei 52 US-Amerikaner 444 Tage lang als Geiseln gehalten werden.

Gudrun Eussner

Die Sonne der Revolution

Sonne und Mond der "iranischen Exilregierung": Das Ehepaar Radjavi

Gegründet wurden die Vereinigung 1965 von gebildeten linksradikalen Kindern iranischer Händler, der Bazaris, die gegen das Schah-Regime und dessen westliche Orientierung opponieren. Gründer und viele Mitglieder wurden vom Schahregime ermordet und in Gefängnisse gesteckt. Die Gruppe nimmt aktiv an der Revolution von Khomeini gegen das Regime teil, wird aber nach kurzer legaler Phase, 1981 erneut - wegen ihrer marxistischen Ausrichtung - verfolgt. Ihr Führer, Massoud Radjavi, geht ins Exil nach Frankreich. Von dort aus unterstützt er den Irak im Krieg gegen Iran. Die Gruppe etabliert sich auch im Irak, wo sie von Saddam Hussein mit Waffen, Logistik und Geld unterstützt wird.

Im Januar 1987 gründet Massoud Radjavi den bewaffneten Arm der MKO, die "Armee zur Nationalen Befreiung des Iran" (NLA). Seine Stellvertreterin ist seine Frau Maryam Radjavi, die sich 1995 in Dortmund vor 15.000 Iranern als "Exilpräsidentin des Iran" feiern lässt.

In die Schlagzeilen geriet die Gruppe letztes Jahr, als französische Antiterroreinheiten das Hauptquartier der MEK in Auvers-sur-Oise stürmt (vgl Mullahs balancieren. Der Präsident schweigt) und die charismatische Führerin sowie andere Mitglieder der Gruppe in polizeilichen Gewahrsam nimmt. Tage später kommt die "Sonne der Revolution", wie Maryam Radjavi unter großem Jubel einer Hundertschaft von Anhängern wieder frei.

Seltsam wohlwollendes Zaudern

Die amerikanischen Bomben-Angriffe im Frühjahr letzten Jahres auf das Lager der Volksmudschahedin, als sie noch als enemy combattants eingestuft wurden, im Zuge des Irakkriegs waren bislang, so die New York Times, die aggressivste Aktion der USA gegen die Gruppe, seither hat man sich nicht mehr gegen ein hartes Vorgehen gegen diese terroristische Vereinigung entschließen können (vgl. Wenn es den eigenen Interessen dient) - ein seltsam wohlwollendes Zaudern einer Gruppe gegenüber, die doch mit der Mutter aller Diktatoren und Gärtner des Bösen (Saddam Hussein) zusammengearbeitet hat (allerdings zu einem Zeitpunkt, als auch die USA auf Seiten Husseins waren).

Erklärt wird dies immer wieder mit dem vagen Hinweis darauf, dass die MEK von einigen Kongressabgeordneten unterstützt wird. Und sogar von höherer Stelle. Die Erklärung dafür bietet Verteidigungsvize Paul Wolfowitz ganz unverblümt. Wenn man einem Kommentar des Stern vom letzten Jahr Glauben schenken will, ist die Unterstützung der Volksmudschahedin Teil einer größeren Strategie, die sich gegen Iran richtet:

Wolfowitz will die im Irak positionierte Mudschahedin e-Khalq als Kern einer militärischen Oppositionskraft im Iran unterstützen.

Anscheinend findet die Gruppe in den USA nicht nur Protektion als Feind des Feindes, sondern auch finanzielle Unterstützung, wenn auch mit einiger Eskamotierung. Im Januar diesen Jahres gab es eine Anfrage an den Generalstaatsanwalt John Ashcroft, derzufolge Hintergründe von Wohltätigkeitsveranstaltungen für die Erdbebenopfer in Iran (in Bam, am Ende letzten Jahres) genauer untersucht werden sollten. Vieles deutet darauf hin, dass geschickt getarnte Ableger der MEK die Spenden für eigene Zwecke einheimsten.

Das Verhältnis zwischen den USA und Iran wird dadurch nicht entspannter. Ein iranischer Regierungssprecher machte schon mal auf Unstimmigkeiten im amerikanischen war on terror aufmerksam:

Ich hoffe, dass jene, die behaupten, dass sie gegen den Terrorismus kämpfen, dies unter Beweis stellen und auch diejenigen bekämpfen, die größte Verbrechen gegen die iranische Nation begangen haben.

Wie wir von den Weisen lernen, ist nichts von langer Dauer. Auch Definitionen nicht. Wer Terrorist ist und wer Widerstandskämpfer, das kann man nie genau wissen. Momentan, so hat es den Anschein, sind die Volksmudschahedin aus amerikanischer Perspektive eher gute Widerstandskämpfer. Wie einst die Gotteskrieger in Afghanistan.