"Heute quatscht einfach jeder mit"
Seite 2: Medien haben AfD stark gemacht - und Flüchtlingsunterstützer
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Doch Medien seien zum Teil auch mitverantwortlich für die letzten Wahlerfolge der AfD, sagte Vowe. Sie hätten in ihrer Berichterstattung zur Flüchtlingskrise eben sehr polarisiert. Sie hätten Flüchtlinge durchgehend als dominantes Thema auf die Agenda gesetzt. Dabei hätten Journalisten zwar indirekt eine unerwartet starke Hilfsbereitschaft unter den Deutschen ausgelöst, andere Teile der Bevölkerung aber eben auch dauerhaft verärgert.
Journalisten hätten sich hier mit einer Sache gemein gemacht, sagte Vowe. Wenn man die Worte des früheren Tagesthemenmoderators Hanns Joachim Friedrichs zugrunde legen wollte - "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache" - dann sei das Verhalten vieler Medienmacher journalistisch gesehen nicht unproblematisch. Die Tagessschau etwa habe sogar in der Nachrichtensendung Spendenkonten für Flüchtlinge eingeblendet.
Dies alles habe immerhin sehr mobilisierend auf ehrenamtliche Helfer gewirkt. Sie hätten das "Framing" der Medien, dass es sich hier um hilfsbedürftige Kriegsopfer handele, übernommen - und nicht den Interpretationsrahmen der Kritiker, dass dies ein bedrohlicher Migrationsschub sei. Die Hilfsbereitschaft der Unterstützer konnten die Medien jedoch nur "anstupsen", nicht erzeugen.
Emotionale Geschichten mobilisieren Helfer
Das bestätigt der Osnabrücker Migrationsforscher Olaf Kleist, der in Studien 2014 und 2015 deutsche Flüchtlingsunterstützer befragt hatte. Viele von denen seien erst durch Mediengeschichten über Flüchtlingsschicksale zu ihrem Engagement gekommen. In Deutschland habe sich so eine echte Zivilgesellschaft herausgebildet. Diese Art Wertegemeinschaft, die durchaus europaweit existiere, müssten Medien stärker betonen, forderte der Wissenschaftler vom Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS) der Uni Osnabrück.
Insgesamt machten die Medien aber einen guten Job in der Flüchtlingskrise, lobte Kleist. Sie könnten zwar deutlich mehr direkt mit Flüchtlingen sprechen, dürften das Thema aber in seiner Komplexität keinesfalls reduzieren. Einfache Lösungen wie, die Bundeskanzlerin abzusetzen oder die Grenzen zu schließen, seien naiv und würden das Problem nicht lösen.
Schröder-Köpf fordert mehr mediale Distanz
Die niedersächsische Migrationsbeauftragte Doris Schröder-Köpf (SPD) äußerte die deutlichste Medienkritik im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Sie warf Journalisten eine zu große emotionale Nähe in der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise vor. "Ich wünsche mir da mehr Distanz."
Als im Sommer 2015 immer mehr Flüchtlinge nach Deutschland drängten, habe es große Euphorie unter Journalisten gegeben, sagte die Landtagsabgeordnete. Medien seien selbst Teil der "Willkommenskultur" gewesen und hätten darum kritische Stimmen im In- und Ausland kaum widergegeben. Es sei zu wenig beleuchtet worden, dass in europäischen Nachbarländern ein komplett anderer Blick auf die Lage geherrscht habe.
Wichtige Fragen gar nicht erst gestellt
Journalisten hätten auch wichtige Fragen wie etwa nach der Rechtmäßigkeit der Grenzöffnung für Flüchtlinge nicht gestellt, kritisierte Schröder-Köpf, die vor ihrer Ehe mit dem späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder selbst als Journalistin arbeitete. Zudem habe sich die Presse hierzulande viel zu spät mit dem Thema befasst. "Die Krise gibt es ja schon länger." Doch solange Flüchtlinge in Südeuropa strandeten und Deutschland nicht erreichten, sei dies hier kein Medienthema gewesen, erläuterte die 52-jährige Politikerin. "Das war ein großes Versäumnis."
Mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht habe sich die Haltung vieler Journalisten jedoch schlagartig ins Gegenteil geändert. Auch dies kritisierte Schröder-Köpf. Medien müssten bei ihrer Haltung bleiben und dürften nicht andauernd schwanken. Trotz allem sei sie grundsätzlich mit der Arbeit hiesiger Medien einverstanden. Denn im Vergleich zu Kollegen in anderen Ländern seien deutsche Journalisten immer noch "sehr verantwortungsbewusst".
Medien sollten Interessenkonflikte offenlegen
Sie forderte zudem mehr Ehrlichkeit und Transparenz bei Medienmachern. Es gebe keine neutralen Medien, sagte sie. "Zeitungshäuser sind heute Teil von Medienkonzernen. Die haben eigene Interessen." Dies sei ihr etwa bei der Debatte um den Mindestlohn aufgefallen. Da hätten viele Zeitungen gegen die Lohnuntergrenze angeschrieben, ohne zu sagen, dass sie selbst Zeitungausträger weiter billig beschäftigen wollten. "Das hätten die Zeitungen ehrlich schreiben müssen." Generell sollten Medien dazu kommen, ihre Positionen stärker herzuleiten und zu begründen sowie eigene Fehler zuzugeben.
Die Leserkommentare hätten ihrer Erfahrung nach übrigens durchaus starken Einfluss - etwa auf ehrenamtliche Flüchtlingsunterstützer und Kommunalpolitiker. "Für die verändert das ihre Welt." Beispielsweise würden viele Helfer ihr Engagement wegen der Angst vor negativen Reaktionen anderer Menschen nun verschweigen.
Medien könnten der Flüchtlingskrise nicht nur mit distanzierter Analyse begegnen, verteidigte sich Hörfunkjournalistin Spiewak, angesprochen auf die starke Emotionalisierung des Themas. "Wir müssen auch zeigen, was das für einzelne Menschen konkret bedeutet", erklärte sie.
Einzelgeschichten transportierten nun mal auch Gefühle. Das sei völlig in Ordnung. Kritisch werde es dann, wenn diese Emotionen benutzt würden, um Geschichten einen bestimmten Dreh zu geben und Menschen zu instrumentalisieren. "Das wäre verwerflich."
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