Hilfslieferungen nach Syrien: Kampf um die Kontrolle
Russland und China legen ihr Veto gegen einen belgisch-deutschen UN-Resolutionsentwurf ein. Große Empörung ist die Folge. "Das ist einfach schockierend"
Russland und China haben ihr Veto gegen eine UN-Resolution zu Hilfslieferungen nach Syrien eingelegt. Das kam nicht unerwartet, wie auch die Tagesschau berichtet. Die Reaktion des deutschen UN-Botschafters Christoph Heusgen war scharf und eindeutig: "Das ist einfach schockierend."
Es geht hier um das Schicksal von 2,8 Millionen Menschen im Nordwesten Syriens, vor allem Frauen und Kinder, die vom Rest des Landes abgeschnitten sind, die unter erbärmlichen Bedingungen leben, denen durch das Veto die Lebenslinie abgeschnitten wird.
Christoph Heusgen
Man kann dem noch hinzufügen, dass wesentlich mehr Menschen in Syrien von Hilfslieferungen von außen abhängig sind, wenn auch nicht generell in gleich dramatischer Weise: Nämlich auch die Menschen, die im Nordosten Syriens leben, Binnenvertriebene vor allem, aber auch die schon länger dort lebende Bevölkerung. Was die Gesamtsituation in Syrien betrifft, kursieren bittere Zahlen. So berichtete die New York Times Mitte Juni von 80 Prozent der Syrer, die "in Armut leben".
Es gibt Grund genug, entsetzt zu sein über die Lage in Syrien. Das Nein von Russland und China bietet sich denn auch als Ziel des angestauten Zorns an. Vordergründig ist dies eine unerklärliche Haltung, die sich aber zugleich gut einfügt in Erzählungen, die antipathische Affekte nähren. Sie stellen das Autoritäre der Führungen heraus, die Rücksichtslosigkeit, ebenso bei der syrischen Regierung. Den Gegenpol bildet die "gute Kraft" der hilfswilligen Länder, vorwiegend aus dem Westen.
Der Kampf um die Außendarstellung
Bevor es an die Einzelheiten zum Hintergrund der UN-Sicherheitsrats-Resolution über Hilfslieferungen geht, soll kurz ein einfaches Szenario aufgestellt werden, das sichtbar macht, wie "Gut und Böse" vermittelt werden. Man stelle sich vor, den Hilfslieferungen aus Ländern, die hauptsächlich Gegner der syrischen Regierung sind, würden mehr Wege geöffnet.
Es würde Berichte, Bilder und Fotos geben, die zeigen, wie sehr der notleidenden, verarmten syrischen Bevölkerung geholfen wird. Der Schock würde einem Gefühl der Erleichterung Platz machen und Beruhigung einkehren: Die USA, die EU und ihre arabischen Verbündeten wie Saudi-Arabien tun alles, um die bitteren Verhältnisse, für die die Herrschaft Baschar al-Assads verantwortlich ist, menschenmöglich zu lindern. Der Westen als Retter.
Das Szenario ist zugegeben etwas einfältig. Aber es bildet die Grundlage ab, auf der die Emotionen angesiedelt sind, die bei jedem Skandal, der Syrien betrifft, zwangsläufig hochkochen. Das Leid der Bevölkerung nach neun Jahren Krieg ist auch für Beobachter schwer erträglich. Die Erklärung, wonach die Regierung Assad und Russland für das Leid verantwortlich ist, ist ein bequemer Ausweg aus der Not der Beobachter, die Tausende von Kilometern entfernt die Tagesschau mit den nicht auszuhaltenden Bildern aus Syrien sehen.
"Kein Licht am Ende des Tunnels für Assad"
In den kurzen Beiträgen der Tagesschau gibt es augenscheinlich keinen Platz für eine andere Perspektive, die das Bild schon etwas komplizierter macht. Man könnte sie auf einen Satz bringen: Das Ziel der US-Sanktionen gegen Syrien im Caesar Act ist es zu verhindern, dass "das Regime von Assad ein Licht am Ende des Tunnels sieht". Das relativiert die Rolle der "Retter" schon etwas.
Die Aussage stammt vom Sondergesandten für Syrien im US-Außenministerium, Joel Rayburn. Sie gibt die Grundsatzposition der US-Regierung wieder, die auch der andere Sondergesandte, Jeffery James, schon mehrmals erklärt hat: Die Regierung Assad soll in die Knie gezwungen werden. Der Caesar Act setzt jede Hilfe von außen, die der Regierung Assad hilft, dem Risiko einer Sanktion aus, mit Folgen auf Geschäftsverbindungen zum Dollar-Markt und Geschäften mit den USA.
Unbestritten ist über die unterschiedlichen Lager hinweg, dass die neuen Sanktionen die Not der syrischen Bevölkerung weiter verstärkt haben, wobei die USA sehr darauf achten, dass die Verantwortung dafür völlig der syrischen Regierung angelastet wird und diese Botschaft wird von Think-Tankern und vielen reichweitenstarken Medien bestärkt.
Die Kontrolle über die Lieferungen
Angesichts solcher Aussagen aus Washington und der in den letzten Jahren gemachten Erfahrungen mit der Hilfe, die aus den USA, der EU und arabischen Staaten nach Syrien flossen und seine Gegner stärkten, ist nicht unverständlich, dass Baschar al-Assad seinerseits auf Kontrolle der Lieferungen von außen besteht.
Die Kontrolle ist der Kern des Konflikts über die Hilfslieferungen, die im UN-Sicherheitsrat verhandelt werden. Die syrische Regierung will, dass die Hilfslieferungen à la longue über Damaskus laufen und Russland unterstützt diese Position wie auch China prinzipiell (wenn auch wie oft in etwas distanzierterer Formulierung als Moskau).
Der Verhandlungsspielraum ist eingeengt. Eine neue UN-Resolution zu den humanitären Hilfslieferungen war nötig, weil die vorgängige (Resolution 2504) am 10. Juli ausläuft. Sie bestimmte in Verbindung mit einer früheren Resolution zwei Übergange für die Lieferungen: Bab al-Salam und Bab al-Hawa im Nordwesten Syriens an der Grenze zur Türkei (Lagebild mit Informationen zur Menge der Lieferungen hier). Belgien und Deutschland wollten eine Verlängerung der Autorisierung von 12 Monaten.
Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensia erklärte das Veto damit, dass Russland einen eigenen Entwurf für eine Resolution eingebracht habe und man angesichts der veränderten Lage in Syrien, wo die Regierung nun mehr Kontrolle habe, die Zahl der Checkpoints, die Damaskus übergehen, eingrenzen wolle - im Gegensatz zu dem, was im Resolutionsentwurf von Belgien und Deutschland angestrebt worden sei. Da sei von einer Verlängerung des Mechanismus von einem Jahr die Rede, statt wie man es zuvor geplant habe, so Nebensia, von einem halben Jahr.
Das Veto Russlands ist also nicht, wie es die eingangs genannte schockierte Reaktion suggeriert, ein kategorisches Nein zu Hilfslieferungen, die "Lebenslinien" für Millionen Syrer bedeuten. Dass Hilfslieferungen nötig sind, räumt auch Wassili Nebensia ein: "Wir sind uns dessen bewusst, dass den humanitären Bedürftigkeiten begegnet werden muss."
Aber Russland will, dass nur ein Übergang autorisiert wird, der Checkpoint in Bab-al-Hawa an der türkischen Grenze - und dies nur für die Dauer von sechs Monaten. Künftig soll Damaskus die Lieferungen regeln. Er rate den Partnern im Sicherheitsrat und anderen UN-Mitgliedern "das humanitäre Dossier nicht zu politisieren", so der russische UN-Botschafter.
Übergang al-Yaroubiyeh: Auch für Russland ein politisches Instrument
Es wäre allerdings naiv und wirklichkeitsfern davon auszugehen, dass Russland den Zugang zu Hilfslieferungen nicht seinerseits zu einem politischen Instrument macht. Es gibt noch einen dritten Übergang, der für Hilfslieferungen gesorgt hatte und wichtig ist: al-Yaroubiyeh im Nordosten Syriens, in der Zone, die von der kurdischen Selbstverwaltung unter Schutz der US-Präsenz kontrolliert wird.
Er ist geschlossen. Im ursprünglichen Resolutionsentwurf von Belgien und Deutschland sollte er dringend wieder geöffnet werden, die Forderung wurde aber in Verhandlungen fallengelassen. Schaut man sich das Lagebild zur Situation im kurdisch verwalteten Nordosten Syriens an, so zeigt sich, wie es der französische Syrienkenner Fabrice Balanche darlegt, dass Russland auch dort sehr daran liegt, die Interessen der syrischen Regierung zu verfolgen, die auch das kurdisch verwaltete Gebiet unter ihre Kontrolle bringen will: zum Beispiel über die Kontrolle von wichtigen Versorgungsstraßen.
Dazu gehört auch das Abschneiden der Versorgungslinie über die syrisch-irakische Grenze. Dass der Übergang al-Yaroubiyeh geschlossen bleibt, ist ein politisches Interesse. Man weiß auch in der russischen Regierung sehr wohl, dass die kurdische Selbstverwaltung mit der Versorgung von Flüchtlings- und Gefangenenlagern an der Grenze der Überforderung ist. Diesen Druck will man auch in Moskau aufrechterhalten.