Hirnforschung und Dualismus: Wie war das mit der Seele?

Seite 2: Dualismus experimentell belegen?

So viel Philosophiegeschichte muss man natürlich in einem 2021 veröffentlichten Buch über Hirnforschung nicht zur Kenntnis nehmen. Wenn man sich aber ausdrücklich auf philosophisches Terrain begibt, dann täte man gut daran. Die Autoren gehen sogar noch ein paar Schritte weiter und diskutieren, wie man einen Dualismus experimentell bestätigen oder widerlegen könnte:

Eine Möglichkeit wäre, Gedanken zu finden, die überhaupt keine Spuren im Gehirn hinterlassen. Man könnte eine Versuchsperson bitten, sich […] zwei verschiedene Dinge vorzustellen - etwa einen Hund und eine Katze. […] Wenn wir im Labor zwischen diesen beiden Gedanken keinerlei Veränderung in der Hirnaktivierung feststellen können, wäre erwiesen, wovon die Mehrheit der Menschen laut unserer Umfrage ausgeht: nämlich, dass wir nicht allein mit der Hirnaktivität herausfinden können, was jemand denkt. […] Doch als Hirnforscher habe ich erfahren, dass das Gegenteil zutrifft: Gedanken lassen sich aus der Hirnaktivität in der Tat zu einem gewissen Grad auslesen […].

(Haynes/Eckoldt, 2021, S. 50-51)

Der Teufel steckt hier im Detail: Als erfahrener Hirnforscher weiß Haynes, dass ein Nullbefund (kein Unterschied) in den Gehirndaten verschiedene Gründe haben kann. Wenn sich beispielsweise Gedanke A und Gedanke B im Signal nicht unterscheiden lassen, könnte das an einem Messfehler liegen; es könnte aber auch sein, dass das Messinstrument nicht genau genug ist.

Und die Verfahren der Hirnforschung reduzieren die Aktivität vieler tausend bis hunderttausend Neuronen und anderer Zellen auf ein einziges und zudem sehr grobes Signal; oder sie sind zwar sehr genau, erfassen aber nur sehr wenige Zellen gleichzeitig. Ersteres gilt insbesondere auch für die Verfahren, mit denen Haynes arbeitet, nämlich die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und Elektroenzephalographie (EEG).

Zwischenfazit

Aus dem Vorangegangenen folgt, dass weder die Abwesenheit gemessener Gehirnunterschiede die Existenz einer Seele beweist, noch ihre Anwesenheit diese widerlegt. Der Gedanke, die Seele im Gehirnscanner zu finden, ist in etwa so geistreich wie die Vorstellung, den "lieben Gott im Himmel" mit einer Weltraumsonde zu suchen. Die Leser von "Fenster ins Gehirn" werden also gleich am Anfang sowohl über die Verbreitung des Dualismus als auch über die Möglichkeiten der Hirnforschung in die Irre geführt.

Für an der Physik interessierte Leser gibt es eine interessante Analogie: Der Streit darüber, ob die Welt deterministisch ist, ist ähnlich alt wie die Diskussion über die Existenz der Seele. An bestimmten Punkten berühren sich die Diskussionen sogar, wo manche im naturwissenschaftlichen Indeterminismus ein Einfallstor für "übernatürliche" Entitäten sehen.

Formallogisch stimmt das sogar: Wo die Natur das Ergebnis nicht zwingend festlegt, könnte es (rein theoretisch) übernatürlich festgelegt werden. Es sollte aber klar sein, dass aus dieser (metaphysisch-spekulativen) Möglichkeit nicht folgt, dass es in unserer Welt wirklich so zugeht. Ich will hier aber auf etwas Anderes heraus:

Der Chaostheorie zufolge kann der Ausgang eines Versuchs unvorhersehbar (und in diesem Sinne indeterministisch) sein, auch wenn das System selbst deterministisch ist. Was hat das nun mit dem Dualismus zu tun? Ganz einfach: Wenn uns die Welt indeterministisch erscheint (Erkenntnis, Wissen; epistemische Ebene) ist das kein Beweis für ihre wirkliche Indeterminiertheit (Sein; ontologische Ebene). Wo Haynes und Eckoldt diese Ebenen vermischen, begehen sie einen Fehlschluss.

Noch ein philosophischer Punkt zum Dualismus: Warum sollte man überhaupt die Existenz einer Seele annehmen? Hierfür gibt es im Wesentlichen traditionell-religiöse und phänomenologische Gründe. Letztere bedeuten, dass man sich selbst - etwa bei außerkörperlichen Erfahrungen - als losgelöst von seinem Körper wahrnimmt. (Ich hatte solche Erlebnisse, insbesondere während meines Studiums der Philosophie des Geistes, ordnete diese aufgrund von Wahrnehmungsfehlern aber als Traum ein.)

Schein oder Sein?

Auch vom phänomenalen Schein können wir nicht ohne Weiteres auf das wirkliche Sein schließen, selbst wenn solche Erfahrungen für manche Menschen eine tiefe Überzeugungskraft besitzen. Ähnliches berichten Konsumenten halluzinogener Substanzen wie Ayahuasca oder LSD, die darum auch in spirituellen Kreisen beliebt sind. Da kommt man mit wissenschaftlichen oder Vernunftargumenten oft nicht weit.

Bei der Existenz der Seele handelt es sich - wie bei der Existenz eines Gottes - um eine Glaubensfrage. Es geht um Metaphysik, nicht Physik (Naturwissenschaft). Und es sollte sich irgendwann einmal herumgesprochen haben, dass man metaphysische Fragen nicht empirisch, also auch nicht mit wissenschaftlichen Experimenten lösen kann. Grundkurs Philosophie, Teil 1.

Die positivistischen Philosophen des Wiener Kreises (wie Moritz Schlick oder Rudolf Carnap) lehnten metaphysische Fragen daher gänzlich ab: Wenn die Wahrheit oder Falschheit einer Aussage - etwa, dass es eine Seele gibt - keinen empirisch feststellbaren Unterschied macht, dann sei sie schlicht sinnlos. Und "sinnlos" ist für einen Philosophen noch schlimmer als "falsch". Jeder kann sich mal irren; aber sinnlose Sätze formulieren?

Im nächsten Teil beschäftigen wir uns mit der Frage, was Gedanken sind und wie wir Zugang zu ihnen bekommen.

Hinweis: Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Blog "Menschen-Bilder" des Autors.

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