Hirnforschung und Dualismus: Wie war das mit der Seele?

Ist da noch etwas? Bild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

Buchkritik: John-Dylan Haynes' und Matthias Eckoldts "Fenster ins Gehirn" (Teil 1)

Bücher vermitteln Wissen. Anders als in Fachzeitschriften oder populärwissenschaftlichen Medien können Autorinnen und Autoren in Büchern sehr frei schreiben: Es gibt (in der Regel) kaum Einschränkungen zu Inhalt und Umfang. In der "Buchkritik" diskutiere ich ein Kapitel eines Buches, das mich besonders interessiert oder mir zur Rezension angetragen wurde. Wie gewohnt geht es um den Themenbereich Philosophie, Psychologie und Hirnforschung.

Heute steht "Fenster ins Gehirn: Wie unsere Gedanken entstehen und wie man sie lesen kann" (Ullstein Verlag, 2021) von John-Dylan Haynes und Matthias Eckoldt im Rampenlicht. Haynes ist Direktor des Berlin Center for Advanced Neuroimaging und Professor am Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité Berlin. Eckoldt ist erfahrener Wissenschaftsjournalist.

Gleich am Anfang verweisen die Autoren auf ihre bei einer "professionellen Befragungsagentur" in Auftrag gegebene Studie zum Zusammenhang zwischen Gehirn und Geist. Den Ergebnissen zufolge sind über 90 Prozent der Befragten Dualisten (S. 22). Auch im Interview mit dem Humanistischen Pressedienst meinte Haynes erst vor Kurzem: "Laut Umfragen sind über 90 Prozent der Menschen Dualisten." Später im Buch wird dann - aus Sicht der Hirnforschung - gegen diesen philosophischen Standpunkt argumentiert.

Was ist Dualismus?

Unter dem Leib-Seele-Dualismus versteht man in der Regel, dass Körper (insbesondere Gehirn) und Geist beziehungsweise Seele verschiedene Dinge sind; philosophisch gesagt, verschiedene "Substanzen", die aus sich heraus bestehen. Das schließt die Möglichkeit ein, dass Körper/Gehirn und Geist/Seele unabhängig voneinander existieren können.

Dieser Standpunkt war und ist traditionell in vielen Religionen von Bedeutung. Und nach wie vor fühlt sich die übergroße Mehrheit der Menschheit einer Religion zugehörig.

Der Leib-Seele-Dualismus ist also eine ontologische Position darüber, wie die Welt wirklich ist. Bei näherer Betrachtung fällt aber auf, dass Haynes und Eckoldt hier Aussagen über das Sein und über unsere Erkenntnis - in Fachsprache: ontologische und epistemische Aussagen - über einen Kamm scheren. Mit Aussagen wie: "Der menschliche Geist kann nicht allein durch das Gehirn erklärt werden." (S. 20), geht es nämlich eher um die Erkenntnismöglichkeiten der Hirnforschung als um das Wesen von Geist/Seele.

Ich betone seit Jahren immer wieder, wie wichtig es ist, Aussagen über das Sein auf der einen und Aussagen über das Wissen/Erklären auf der anderen Seite deutlich zu trennen (Reduktionismus und die Erklärung von Alltagsphänomenen). Die Frage nach der Existenz von Geist/Seele ist nämlich weitgehend unabhängig von den Erklärungsmöglichkeiten der Hirnforschung:

Wenn, wie heute zweifellos der Fall, die Wissenschaft nicht den "Menschen an sich" erklären kann, lässt sich nicht entscheiden, ob das an der Natur des Menschen (Sein) oder an den Möglichkeiten der Forschung (Erkenntnis) liegt. Umgekehrt ist es auch möglich, dass es zwar keine Seele gibt, wir Menschen aber trotzdem so kompliziert sind, dass wir nicht vollständig wissenschaftlich erklärt werden können. Gerade Neurowissenschaftler nennen das menschliche Gehirn gerne den komplexesten, uns bekannten Gegenstand des Universums.

Wie man es auch dreht und wendet: Die Frage nach der Seele (Dualismus) mit der Frage der Erklärbarkeit des Menschen zu vermischen, ist also mindestens irreführend, wahrscheinlich sogar falsch. Aber zugegeben, Haynes' und Eckholdts Vorgehen liefert eine gute Schlagzeile. Und der Humanistische Pressedienst springt gleich darauf an. Ob das guter Journalismus ist, möge jeder selbst entscheiden.

Doch keine Mehrheit von Dualisten?

Man kann es besser machen. So erhob beispielsweise der Psychologieprofessor Jochen Fahrenberg 2006 die Ansichten unter Studierenden. Seiner Befragung zufolge ließen sich nur rund 40 (Naturwissenschaften) bis 60 Prozent (Theologie) eher dem Dualismus zurechnen. In etwa so viele gingen von einer komplementären Sichtweise aus, die Körper und Geist als zwei Seiten einer Medaille sieht. Rund zehn bis 20 Prozent (Naturwissenschaften) hatten eine eher aufs Gehirn begrenzte, reduktionistische Sichtweise (Wissenschaft und Religion: Konflikt oder Kooperation?).

Im Übrigen ist auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass es zwar eine Seele gibt, der Mensch aber trotzdem vollständig wissenschaftlich erklärbar ist. Das wäre genau dann der Fall, wenn die Vorgänge von Geist/Seele und Körper/Gehirn streng aneinandergekoppelt sind.

Denn das ist es ja, was (insbesondere biologische) Psychologen und (kognitive) Neurowissenschaftler seit jeher machen: physische (körperliche) Reaktionen mit psychischen Vorgängen in Verbindung bringen; und umgekehrt. Eine weiterführende metaphysische Interpretation über das "Wesen der Psyche" ist dafür gar nicht notwendig.

Und, man höre und staune, schon im 17./18. Jahrhundert kam man auf den Gedanken, dass Leib und Seele eng verbunden sind, Stichwort "psychophysischer Parallelismus". Mit tieferer Textarbeit könnte man dafür argumentieren, dass sogar der Vorzeigedualist und Naturforscher René Descartes (1596-1650) einen strengen Zusammenhang zwischen Leib und Seele annahm, jedenfalls für das diesseitige Leben.

Mit dem Aufkommen der Naturwissenschaft - im 19. Jahrhundert dann dem Energieerhaltungssatz - wurde Philosophen deutlich, dass Beschreibungen von Naturvorgängen in sich schlüssig sind und keine äußere Kraft angenommen werden muss. Schon in der Antike gab es solche Überlegungen (Das kleine Einmaleins des Leib-Seele-Problems).

Da schien die Annahme einer Parallelität - oder in Gottfried Wilhelm Leibniz' (1646 - 1716) Worten: Harmonie - zwischen Leib und Seele verlockend. Diese löst den Widerstreit zwischen den Seinsweisen zumindest auf begrifflich-logischer Ebene. Warum dann überhaupt noch von Seelen sprechen? Folgerichtig entstanden später die Positionen der Epiphänomenalisten (die psychischen Vorgängen alle Kausalkräfte absprechen) oder Eliminativisten (die die Existenz psychischer Vorgänge verneinen).

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