Historische Wende: Frankreichs Militär verlässt Afrika
Nach drei Jahrzehnten verlassen die Soldaten den Tschad, Senegal und die Côte d'Ivoire. Was steckt hinter der militärischen Zeitenwende?
Eine Ära endet allem Anschein nach definitiv. In wenigen Wochen dürfte Frankreich seine seit Jahrzehnten dort stehenden Truppen aus drei afrikanischen Schlüsselstaaten – Senegal, Côte d’Ivoire und Tschad – zugleich abgezogen haben.
Seit dem 10. Dezember des abgelaufenen Jahres zieht Frankreich die seit Jahrzehnten im zentralafrikanischen Wüstenstaat Tschad stationierten Truppen, beginnend mit den Kampfflugzeugen vom Typ Mirage (ihr Name bedeutet so viel wie "Luftspiegelung"), sukzessive ab.
Ihr Rückzug soll bis zum kommenden 31. Januar abgeschlossen werden. Damit verliert Frankreich auch die allerletzte Militärbasis auf der Höhe der Sahelregion, sieht man von der auf einem ähnlichen Breitengrad gelegenen in Dschibuti in Ostafrika, in der Nähe des Roten Meeres ab.
Raus aus dem Sandkasten!
Dazu hatte die tschadische Regierung jene in Paris mehr oder minder ultimativ aufgefordert. Wenige Stunden nach einem Besuch seines französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot verkündete der tschadische Außenminister Abderaman Koulamallah per Facebook die Aufkündigung der bisher geltenden "Verteidigungsabkommen" und forderte Frankreich dazu auf, die in dem Land stationierten Truppenteile zurückzuziehen.
Die französische Armee, als deren "afrikanischer Sandkasten" der Tschad bisweilen bezeichnet wurde, war seit 1986 ohne Unterbrechung in Kampfeinsatzformat dort präsent und rettete dem langjährigen Regime mehrfach seinen Fortbestand, wie beim Rebellenansturm im Februar 2008, welcher beinahe zum Sturz des damaligen Autokraten Idriss Déby Itno geführt hätte.
Frankreich sei "ein wichtiger Partner", erklärte Koulamallah dazu, doch sei "der Tschad gewachsen, reifer geworden" und "auf seine Souveränität" bedacht.
Tschad: Militärische Vereinbarungen mit Paris "obsolet"
Am 1. Dezember erklärte dann Staatspräsident Idriss Déby junior in einer TV-Ansprache, die früheren militärischen Vereinbarungen mit Paris seien "obsolet", doch verfolge sein Regime "keine Logik der Ersetzung einer Großmacht durch eine andere".
Dies bedeutete so viel wie, dass man – im Unterschied zu den seit 2023 in der "Konföderation der Sahelstaaten-Allianz (AES)" zusammengeschlossenen Nachbarländern Mali, Burkina Faso und Niger – keine militärische Hilfe seitens der Russischen Föderation anfordern werde.
Sein Minister Koulamallah fügte am 5. Dezember im Interview mit dem Sender France24 hinzu, es werde künftig im Tschad "weder französische noch russische Truppen" geben.
Emanzipation? Nicht in der Innenpolitik
Präsident Mahamat Idriss Déby, genannt "Kaka" ("Großmutter" – aufgrund seiner großmütterlichen Erziehung), ist sicherlich kein Garant für eine etwas geartete Demokratisierung oder sonst eine Form der Emanzipation für die Bevölkerung.
Der adoptierte Sohn des langjährigen Diktators Idriss Déby Itno wurde nach dessen Tod zum Vorsitzenden des "Militärischen Übergangsrats" CNT ernannt, und im Mai vergangenen Jahres wurde er offiziell zum Nachfolger des am 1. Dezember 1990 durch einen Putsch an die Macht gekommenen Adoptivvaters gewählt.
Zuvor war einer seiner Verwandten, der Oppositionspolitiker Yaya Dillo, umgebracht worden. Dessen nähere Angehörige sitzen seitdem sämtlich in Haft. Am 9. Dezember 2024 forderte Amnesty International in einem Kommuniqué ihre Freilassung.
Ende Dezember 2024 wurden das tschadische Parlament – erstmals seit 2011 – und, zum ersten Mal seit 2012, auch die Regional- und Kommunalparlamente neu gewählt. Nicht ohne Kritik.
Am 7. Dezember, dem Tag der Wahlkampferöffnung, riefen alle vierzig im Tschad veröffentlichen Nachrichtenwebseiten – die Printpresse hat kaum Leser, doch Onlinemedien verfügen über eine gewisse Reichweite – zu einem "Tag ohne Berichterstattung" auf.
Zuvor hatte eine Entscheidung des Medienaufsichtsgremiums Hama ihnen jegliche Bildberichterstattung, neben jener des fest in Regierungshand befindlichen Staatsfernsehens, verboten.
Am 19. Dezember hob der Oberste Gerichtshof diese Einschränkung auf, allerdings konnte dies nur noch wenig am Ablauf des allein durch das Regierungslager bestrittenen Wahlkampfs ändern. Die Wahlkampagne traf nur auf ein geringes Echo in der Gesellschaft.
Vorwurf "mafiöser Praktiken"
Am Wahltag selbst – dem 29. Dezember – monierten Nichtregierungsorganisationen, die zusammen 2.000 Beobachter entsandten hatten, zahlreiche Unregelmäßigkeiten.
Konkret warfen sie der Regierungspartei MPS ("Patriotische Rettungsbewegung") unter anderem "mafiöse Praktiken" vor und das unkontrollierte Mehrfachwählen von Stimmbürgern, die man auch ohne Wählerausweis an die Urne ließ und gruppenweise per Bus von Stimmbüro zu Stimmbüro transportierte.
Zu den Ursachen des Beschlusses zur Beendigung der ständigen Stationierung französischer Truppen zählt der französische Rundfunksender RFI die Weigerung Frankreichs – trotz mehrmaliger Aufforderung durch die tschadische Regierung –, Satellitenbilder über Stellungen von Boko Haram zur Verfügung zu stellen, sowie die Kritik aus Paris an tschadischen Waffenlieferungen in das Bürgerkriegsland Sudan.
Senegal: Bald keine französischen Soldaten mehr
Größere Wirkung erzielte die Ankündigung aus N’Djamena vom 28. November noch dadurch, dass sie zeitlich zusammenfiel mit einer inhaltlich ähnlichen Positionierung des seit Anfang April amtierenden senegalesischen Staatspräsidenten Bassirou Diomande Faye.
Er erklärte am selben Tag in einem Interview mit der Pariser Abendzeitung Le Monde:
Es wird bald keine französischen Soldaten im Senegal mehr geben.
Bislang waren dort noch 350 Militärs auf einer Militärbasis in Dakar stationiert – vor deren offizieller Rückgabe an den senegalesischen Staat zum 1. August 2011 waren es noch über 1.200.
Danach wurde die Einrichtung vom Senegal übernommen, doch rund ein Drittel der zuvor stationierten französischen Armeeangehörigen blieben im Rahmen einer "Plattform für militärische Kooperation".
Von Dakar aus war Frankreichs Armee in der Vergangenheit gestartet, um etwa 1977/78 die in der okkupierten Westsahara gegen Marokko kämpfende Befreiungsbewegung Frente Polisario zu bombardieren oder um 2011 in der Côte d’Ivoire den damaligen Präsidenten Laurent Gbagbo zu stürzen.
Das Massaker
Faye fügte allerdings hinzu, dass von ihm geforderte Abzug der restlichen französischen Armee aus dem Land bedeute keinen Abbruch der Beziehungen bedeute: Der Senegal unterhalte auch bilaterale Beziehungen zu Ländern wie China, den USA, der Türkei und Saudi-Arabien, ohne dass diese deswegen Truppen stationiert hätten.
Die Ankündigung erfolgte kurz vor den Feierlichkeiten zum achtzigsten Jahrestag des Massakers von Thiaroye. Am 1. Dezember 1944 hatte die französische Armee im dortigen Militärcamp unweit von Dakar zwischen siebzig und mehreren hundert senegalesische Weltkriegssoldaten – tiralleurs sénégalais –, die die Zahlung ihres seit Monaten ausbleibenden Lohns forderten, abgeschlachtet.
Erstmals wurde dieses Ereignisses in diesem Jahr auch in Frankreich gedacht, und Emmanuel Macron benutzte in einem Brief an Faye vom 28. November zum ersten Mal überhaupt den bislang tabuisierten Begriff "Massaker".
Am 19. und 20. Dezember konnte eine Historikerkommission unter senegalesischer Beteiligung französische Archive dazu konsultieren. Im Senegal wurde Anfang Dezember angekündigt, in Zukunft werde dieses Ereignis auch an Schulen des Landes unterrichtet.
Allerdings löste es eine Polemik aus, dass Präsidentenberater und Infrastrukturminister Cheikh Oumar Diagne am 21. Dezember die tirailleurs als "Landesverräter" bezeichnete, weil diese Soldaten später Frankreich auch bei der Niederschlagung von Aufständen in anderen Kolonien gedient hätten.
Die übrige Regierung distanzierte sich von ihm, Regierungssprecher Moustapha Njekk Sarré verurteilte seinen Ausspruch bei einer Pressekonferenz.
Kritik am französischen Neokolonialismus
In der gesamten Region, von Dakar bis N’Djamena, ist die Aufforderung nach einer Beendigung der bisherigen französischen Armeepräsenz überaus populär.
Dazu wird aus guten Gründen Kritik am französischen Neokolonialismus geübt, wenngleich diese grundsätzlich rationalen Oppositionsgründe sich in den vergangenen Jahren – unter dem Einfluss einer russischen Propagandaoffensive im Sahel – teilweise auch mit Gerüchten und ressentimentgeladenen Vorwürfen durchmischten.
Machtwechsel in Dakar konsolidiert
Im Senegal trug die dort auch durch die Regierungspartei Pastef (Afrikanische Patrioten für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit) vorgetragene Forderung nach Beendigung der französischen Militärpräsenz zu ihrem fulminantem Wahlsieg bei den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 17. November bei.
Der im März 2024 gewählte neue Präsident Faye hatte die Nationalversammlung aufgelöst, um die Blockade durch eine Mehrheit gegnerischer, seinen Reformvorhaben feindlich gesinnten Abgeordneten aufzulösen.
Nach einem angespannten Wahlkampf, in dem es zu vereinzelten Gewaltvorfällen von mehreren Seiten kam, trug seine zwischen linksnationalistisch und islamisch-konservativ schillernde, mehrere Facetten aufweisende Partei nunmehr 130 von 167 Sitzen davon.
Damit kann die Pastef-Mehrheit auch Verfassungsänderungen auf den Weg bringen. Faye und sein Premierminister Ousmane Sonko können dadurch nun unbehindert regieren. Am 27. Dezember kündigte Sonko an, das im März 2024 kurz vor dessen Ausscheiden aus dem Amt durch Altpräsident Macky Sall auf den Weg gebrachte Amnestiegesetz aufzuheben.
Dieses wird vor allem als Garantie der Straflosigkeit für die Verantwortlichen der Repression vor dem Regierungswechsel betrachtet. Die Niederschlagung von Protesten der damaligen Opposition, an zentraler Stelle des Pastef, forderte zwischen 2021 und März 2024 insgesamt rund sechzig Todesopfer.
Schürfrechte für Uran
Die gesellschaftliche Unterstützung für die Forderung nach Abzug französischer Truppen, aber auch französischer Unternehmen ist real – die französische Nuklearfirma Orano rief am 20. Dezember eine internationale Schiedsstelle an, weil ihr die Schürfrechte für Uran im Niger faktisch entzogen wurden.
Um einer Krise der französischen Atomindustrie vorzubeugen, kündigte das Unternehmen am 28. Dezember ein neues Abkommen zum Uranabbau mit der Mongolei an.
Auch in den in jüngster Zeit von Militärregierungen gelenkten Staaten der Region, wie Mali seit 2020, Burkina Faso seit 2022 und Niger seit 2023, rief deren Ankündigung eines Bruchs mit dem neokolonialen Frankreich eine echte "Welle der Hoffnung" hervor, wie die International Crisis Group (ICG), eine seit 1995 in Brüssel ansässige Nichtregierungsorganisation mit Think-Tank-Profil, unter Bezugnahme auf Mali feststellt.
Hoffnung, aber keine Demokratisierung
Dies bedeutet nicht, dass diese Hoffnungen nicht alsbald durch autoritäre Praktiken wieder gedämpft worden wären.
In Mali etwa hätte die im August 2020 infolge von Massenprotesten gegen den damaligen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keïta ("IBK") an die Macht gekommene, im Mai 2021 umgebildete Militärjunta bereits spätestens seit dem vergangenen Februar, laut Eigenverpflichtungen, Wahlen abhalten und die Macht an Zivilisten übergeben müssen.
Erstmals erwähnte der offiziell als "Übergangspräsident" firmierende Staatschef Assimi Goïta die Perspektive der künftigen Abhaltung von Wahlen am 27. November in einer Rede – ohne jedoch ein Datum zu nennen.
Allerdings zeichnet sich ab, dass er sich dazu selbst als Kandidat aufstellen lässt und die Wahl auf dieses Bedürfnis "maßgeschneidert" ausfallen dürfte – den Ausdruck benutzte in dem Zusammenhang das wirtschaftsliberale französische Wochenmagazin Le Point, das den Machtwechseln in bislang "profranzösisch" regierten Staaten in Afrika gewiss grundsätzlich feindlich gegenübersteht.
Goïta als Retter der Nation?
Bei sozialen Medien in Umlauf gebrachte Texte und Videos kokettieren zwar damit, man möge "keine Wahlen vor 2030" abhalten, wie es in einer einem "Ältestenrat der Stadt Ségou" zugeschriebenen Videoposting heißt, oder gar frühestens "2050", wie eine Frau in einer anderen Nachricht äußert, und stattdessen lieber Goïta als einen Retter der Nation behalten.
Wahrscheinlich scheint jedoch, dass, wenn Goïtas Kandidatur auf den Weg gebracht sein wird, die Blockadehaltung gegen das Anberaumen eines Wahltermins aufgegeben wird. Elf Politiker, die seit März dieses Jahres inhaftiert waren, weil sie öffentlich die Abhaltung von Wahlen verlangt hatten, wurden am 05. Dezember freigelassen.
Sowohl die Regierung in Mali als auch die in Burkina Faso wurde in den vergangenen Wochen umgebildet. In Bamako wurde der Armeegeneral Abdoulaye Maiga am 21. November neuer Premierminister und löste den am Vortag geschassten Zivilpolitiker Choguel Maiga, der die Militärs mal unterstützte und mal kritisiert hatte, im Amt ab.
Lage in Burkina Faso und Niger
In Ouagadougou wurde am 7. Dezember der vormalige Fernsehjournalist Rimtalba Jean Emmanuel Ouédrago als sein Amtskollege eingesetzt. Der 44-Jährige war zuvor dafür kritisiert worden, weil er an der Spitze der Radio- und Fernseh-Anstalt RTB sowie durch seine Rolle bei der Gründung des neuen Medien-Aufsichtsgremiums CSC im Jahr 2023 eine wichtige Rolle bei der Einschränkung der Pressefreiheit und Medienvielfalt sowie der Umwandlung von Sendeanstalten in Propagandaeinrichtungen für den aus der Armee kommenden jungen Staatschef Ibrahim Traoré spielte.
Auch im Nachbarland Niger bleiben repressive Tendenzen nicht aus, wie zuletzt die aus der Zivilgesellschaft sowie nationalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen kritisierte Verhaftung des namhaften NGO-Aktivisten Moussa Tchangari belegte.
Der Generalsekretär der Nichtregierungsorganisation Alternative Espace Citoyen wurde am 3. Dezember von maskierten Männern zunächst an einen unbekannten Ort verschleppt, bevor er laut einem Kommuniqué von Amnesty international zwei Tage später bei einer Spezialeinheit "für die Bekämpfung von Terrorismus und transnationaler organisierter Kriminalität", dem SCLCT/CTO, auftauchte. Ihm wird demnach "Terrorismus-Unterstützung" vorgeworfen.
Vorläufiges Fazit
So sehr insbesondere die außenpolitische Orientierung der neuen Regierungen in Verbindung mit der Abkehr von bisheriger französischer Dominanz weithin begrüßt wird, so sehr dürften die Aussichten auf eine Emanzipation der Gesellschaft längst enttäuscht werden.
Jedenfalls in den zentralen Staaten der Sahelregion, während die Demokratie im wirtschaftlich stabileren Küstenland Senegal widerstandsfähiger sein dürfte.
Auch dort publizierte die Regierung im Dakar jedoch am 3. Dezember eine Liste von zugelassenen Medien, wobei von 380 Antragstellern insgesamt 112 Medienträger autorisiert wurden. Ein späteres Nachbessern der Liste gilt als möglich.
Automatisch garantiert dürfte die Pressefreiheit auch dort keineswegs bleiben. Hoffnung auf Veränderung geht eben nicht notwendig mit real erfolgender Demokratisierung einher.
Elfenbeinküste fordert ebenfalls Abzug
Unterdessen kündigte als bislang letzte Regierung auch die der Côte d’Ivoire einen schnellen Abzug der französischen Truppen in Aussicht. Dieses Land stellt die mit Abstand stärkste Ökonomie unter den französischsprachigen Ländern Westafrikas dar, übertroffen allerdings durch englischsprachigen Giganten der Region, Nigeria.
Sein seit 2011 amtierender Präsident, Alassane Ouattara, kam unmittelbar infolge eines Kampfeinsatzes der französischen Armee zum Sturz seines Amtsvorgängers Laurent Gbabgo an die Staatsspitze.
Doch nun will auch er die Rückgabe der französischen Militärbasis von Port-Bouet, einem Stadtteil der Wirtschaftsmetropole Abidjan. Deren Übernahme durch das westafrikanische Land, verbunden wohl mit dem Abzug der 1.000 dort stationierten französischen Militärs, soll bereits im Januar erfolgen.
Frankreich bleibt auf dem afrikanischen Kontinent noch Dschibuti. Dort hielt kürzlich Staatspräsident Emmanuel Macron persönlich eine Weihnachtsfeier mit den französischen Soldatinnen und Soldaten ab.