Hitler für Holländer
In den Niederlanden hat sich die Forderung nach einem Koranverbot zu einer allgemeinen Zensurdebatte ausgeweitet
Als der niederländische Politiker Geert Wilders von der Partij voor de Vrijheid (PVV) vor einiger Zeit ein Koranverbot forderte, da erregte er viel Aufsehen. Wilders argumentierte damit, dass, wenn "Mein Kampf" verboten sei, dies auch für den seiner Ansicht nach ähnlich gefährlichen Koran gelten müsse.
Das von Wilders erregte Aufsehen war der Anlass, dass Kultusminister Ronald Plasterk von der Partij van de Arbeid (PvdA) in einem Interview mit der Zeitschrift Hollands Diep anregte, dass man, um nicht in Argumentationsnöte zu geraten, ja auch Adolf Hitlers Schrift "Mein Kampf" wieder zum Verkauf freigeben könnte:
"Den Koran zu verbieten, das geht vielen Menschen zu weit [...] Wilders hat recht, dass es befremdlich ist, dass 'Mein Kampf' verboten ist. Lasst es öffentlich erhältlich sein."
GroenLinks (GL) und die liberale Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) erklärten daraufhin ihre Zustimmung zu dem Vorschlag.
Die Christen Democratisch Appèl (CDA), die D66 und Wilders Partij voor de Vrijheid (PVV) sind dagegen für ein Verbot der Hitler-Schrift. Auch die Socialistische Partij (SP) sowie die beiden protestantistischen Parteien ChristenUnie (CU) und Staatkundig Gereformeerde Partij (SGP) (deren Website an Sonntagen geschlossen ist) kündigten ein Votum gegen eine Freigabe an. Auffällig still war in der Zensurdebatte bisher nur die Tierschutzpartei Partij voor de Dieren (PvdD), die ebenfalls im niederländischen Parlament vertreten ist. Möglicherweise ist man dort hin- und hergerissen zwischen den tierfreundlichen Passagen in Hitlers Schrift und der Forderung nach einem umfassenden Verbot von Kochbüchern mit Fleischgerichten.
Hitler diktierte "Mein Kampf" Mitte der 1920er Jahre. In dem Buch skizziert er relativ unverblümt Pläne für die Eroberung von "Lebensraum" im Osten. Von einer Handlungsanweisung für seine spätere Politik kann man allerdings nur sehr bedingt sprechen – unter anderem deshalb, weil er auch seinen Ausführungen zur unbedingten Notwendigkeit der Vermeidung eines neuen Zweifrontenkrieges sehr breiten Raum gibt. England und Italien werden deshalb als potentielle Bündnispartner des Deutschen Reiches gepriesen.
Konkrete Aussagen sind unter anderem auch deshalb schwierig, weil der Text in den von 1925 bis 1945 erscheinenden Ausgaben ständig redigiert wurde. In dieser Zeit wurde die Schrift in Deutschland 10 Millionen mal gedruckt – ob sie auch so oft gelesen wurde, ist umstritten.
In der Verbotsdebatte geht es nicht um die deutsche Originalausgabe, sondern um die 1939 erschienene holländische Übersetzung "Mijn Kamp", die den niederländischen Lesern damals als "Het Boek van den Führer aller Germanen" angepriesen wurde. Die Rechte an ihr beschlagnahmte der holländische Staat nach Kriegsende und nutzte sie um 1974 den Verkauf des Buches zu verbieten. In öffentlichen und privaten Bibliotheken kann es dagegen – ebenso wie in Deutschland – legal gelesen werden. Auch der Besitz ist genauso erlaubt wie in Deutschland.
Das erste Verbot von "Mein Kampf" erwirkte Adolf Hitler selbst, als er den antiquarischen Verkauf untersagte, weil er sich darin um sein "geistiges Eigentum" als Autor beraubt sah. Auch das Verbot einer Neuauflage des Hitler-Buches in Deutschland wird mit dem "geistigen Eigentum" begründet – genauer gesagt, mit einem Urheberrechtsanspruch des Freistaates Bayern, der sich dafür sogar als Erbe Adolf Hitlers ausgibt. Am 31. Dezember 2015 enden die geerbten Ansprüche. Für die Zeit danach plant das Münchner Institut für Zeitgeschichte die Herausgabe einer wissenschaftlichen Edition.
Auf internationaler Ebene wurde dieses Rechtskonstrukt nur sehr bedingt wirksam: So erkennen unter anderem Israel, die USA und Großbritannien die bayerischen Ansprüche nicht an und erlauben den freien Nachdruck. In Schweden wird eine Neuauflage eines linksliberalen Verlages geduldet. Mehr Einfluss hatten die bayerischen Behörden auf die Türkei, wo sie im August ein Verbot erwirken konnten. Im vorletzten Jahr hatte dort eine Übersetzung des Buches Schlagzeilen gemacht, die es auf Platz vier der türkischen Bestsellerliste schaffte.