Hitler schon wieder kaputt …
… diesmal, weil ein Antikollisionssystem mitgedacht hat
Normalerweise ist studentisches Filmschaffen ja so interessant wie Fußpilz, aber eine Abschlussarbeit an der Filmakademie in Ludwigsburg hat bewiesen, dass das nicht gesetzmäßig so sein muss. Denn der Regiestudent Tobias Haase, hat einen kleinen, nur gut minutenlangen Film gedreht, der als Werbespot gedacht war, aber bei dem avisierten Werbeträger, der Daimler AG, nicht allzu gut ankam.
Zeigt der Film doch ein Produkt des Herstellers, das, auf filmische Art etwa ins Jahr 1900 versetzt, zwei Mädchen in einer potenziellen Unfallsituation nicht überfährt, den jungen Adolf Hitler aber sehr wohl. Seitdem der Film ein Internet-Hit geworden ist, fühlen sich auch die hauptamtlichen Medien und der Konzern selbst zu öffentlichen Reaktionen bemüßigt. So schreiben die Stuttgarter Nachrichten (von je her ein Leuchtturmprojekt schwäbischer Borniertheit), der Spot habe Daimler "erzürnt", und man zitiert auch gleich die zugehörige Presseerklärung:
Wir sind der Überzeugung, dass es unangemessen ist, den Tod eines Menschen beziehungsweise eines Kindes sowie Inhalte mit einem Bezug zum Nationalsozialismus in einem Werbespot zu verwenden, auch wenn es sich hier nur um einen "fiktiven" Werbespot handelt.
Man merkt dem Artikel an, wie dringend er darauf hinweisen will, dass der Clip auch im Netz für "zwiespältige" Reaktionen gesorgt hat, und ein Zwiespalt, im Gegensatz zur eisernen Einheit, ist ja dem Deutschen und vor allem dem Schwaben das Grauen schlechthin.
Auch der Stern spricht vom "Zwiespalt", kommentiert aber auch:
Intelligente Autos sind für Mercedes nur okay, wenn sie keinen [sic] Faible für radikale Entscheidungen haben
Da mag die Entfernung des Hamburger "Stern"-Redaktionshauses zur Stuttgarter Konzernzentrale des Autobauers für die minimale Intelligenz und Kritikfähigkeit sorgen, die sich die Stuttgarter Nachrichten nicht leisten können oder wollen.
Statt sich reflexartig auf die jeweiligen Quantitäten an Publikumsreflexen zu stürzen, könnte man sich auch an die Analyse des Videos und der Reaktionen machen. Ein paar Handreichungen:
Es macht den Film an sich schon bemerkenswert, dass er als eine Wiederholung des gescheiterten Elser-Attentats vom November 1939 mit den Mitteln der Phantastik interpretiert werden kann. Elser hatte Gefahren erkannt, bevor sie entstanden waren und entsprechend gehandelt. Und natürlich wirft der Film, wie das Attentat Elsers auch, die Frage auf, ob es Ausnahmen von der Ablehnung der Todesstrafe geben muss, weil sonst Vernunft und Gerechtigkeit, in deren Namen sie abgelehnt wird, viel deutlicher beschädigt werden als durch die Ausnahme. Ein Zeitreise-Film, der so etwas zu diskutieren wagt, ein Zeitreise-Werbefilm gar, der einen der mächtigsten deutschen Konzerne ärgert - wie oft gibt es das in Deutschland?
Freilich bestätigt das Interesse an dem Film im Jahre 2013 auch die These, dass die Deutschen um so antifaschistischer werden, je länger der Faschismus vorbei ist. Analog zu den Ehren, mit denen Elser überhäuft werden kann, wo er nun so lange tot ist, wird aus der fiktiven Hinrichtung des jungen Adolf Hitler ein beschmunzeltes Späßchen in einem satirischen Werbefilmchen - während die aktuellen Nazis in Berlin-Hellersdorf ihren Hass gegen Flüchtlinge herausbrüllen.
Von daher ist der Film ein klassischer Fall von "Hätte, hätte, Fahrradkette".
Bleiben wir aber bei den Analogien zum Bürgerbräukeller-Attentat, dann kann man konstatieren, dass in Elsers Namen schon ein Preis für "Zivilcourage" verliehen werden muss, um den Kern seiner Idee zu verdecken: bewaffneter Kampf gegen den Nationalsozialismus. Couragiert war Elser sehr, zivil war seine Bombe nicht. Auch der Film von Tobias Haase mobilisiert die passenden Nebelmaschinen-Betreiber, er führt zu "zwiespältigen Reaktionen", von denen die interessanteste auch gleich die verlogenste ist. Der Stern kommt nahe ran, wenn er schreibt:
Den Mercedes-Verantwortlichen war die Sache möglicherweise deshalb zu heikel, weil Daimler Benz während der Nazi-Zeit Teil der Rüstungsindustrie war. Hergestellt wurden seinerzeit Militärfahrzeuge, Panzer, Schiffs- und Flugmotoren - keine Spur von Vermeidungstechnologie.
Will heißen: Sterbende Menschen ("beziehungsweise Kinder") haben die Daimler AG (vorm. Daimler-Benz AG) noch nie großartig gestört, wenn die Kasse stimmte, und die Kassenlage war nun einmal unter der Protektion Adolf Hitlers besonders vorteilhaft:
Bis 1944 wuchs die Belegschaft auf 74.198 Personen, davon waren circa 6,6 % Kriegsgefangene und 37 % angeworbene oder zwangsverschleppte Ausländer. 1941 arbeiteten 150 KZ-Häftlinge für Daimler-Benz. 1944 waren es 5648 KZ-Häftlinge. (…) Der Konzernumsatz wuchs von 65 Millionen Reichsmark im Jahr 1932 auf 942 Millionen Reichsmark im Jahr 1943. Über ein Drittel des Umsatzes wurde 1943 mit Flugmotoren erwirtschaftet. 1941 machten 76 % des Umsatzes der Aktiengesellschaft, d.h. ohne die Beteiligungsgesellschaften, Wehrmachtsaufträge aus, der Rest der Aufträge war von Behörden, Parteiorganisationen, der Kriegswirtschaft und für den Export.
Das versieht allerdings den Protest der Daimler AG gegen den fiktiven Kindheitstod ihres größten Gönners gleich mit mehreren dicken Fragezeichen. Dass die Kriegsgewinnlerei nie aufgehört hat fügt ein paar weitere hinzu. Man könnte anhand dieser geschichtlichen Kontinuitäten schon auf den Gedanken kommen, dass die Daimler AG zu dem Film von Tobias Haase am besten die Schnauze gehalten hätte.
Wie auch immer: Der Regiestudent hat mit seiner Arbeit dem üblichen Sommertheater eine der interessanteren Szenen hinzugefügt. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.
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