Hitler und die Dialekte
Seite 4: Mundartdichtung, Bayerisch und "klassisches Deutsch" im Rundfunk
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Am 21.8.1942 hört man aus dem Führer-Hauptquartier Auslassungen des Hausherrn, die einerseits ein Lob für den Mundartdichter Franz Stelzhamer (1802-1874) enthalten, andererseits aber auch ein - sehr anfechtbares - Lamento über die Reichweite von Mundartkunst:
Ein Mann meiner Heimat, Stelzhamer, hat wunderbare Gedichte gemacht, aber in Mundart! Er wäre ein Gegenstück zu Bruckner geworden. Er war begnadet. Würde sein Zeitgenosse Adalbert Stifter in Mundart geschrieben haben, so hätte auch er nur 10.000 Leser bekommen: Niemand hat etwas davon! - Auch eine andere Sache ist mir zum Bewußtsein gekommen. Wie bedenklich ist das: der wirklich gute Komiker, der nur in der Mundart tätig ist! Von anderen wird er nicht verstanden! Ein Mensch wie der Valentin kann schon im Allgäu nicht mehr verstanden werden. Um da mitzukommen, muß einer schon ein ganz genauer Kenner des Oberbayerischen sein. In Berlin kann er nicht auftreten. Hätte er sich auf das Hochdeutsche verlegt, so wäre er berühmt gewesen, längst bevor die amerikanischen Groteskkomiker aufkamen!
Ein Nachsatz klärt jedoch, dass es in diesem Zusammenhang aus Hitlers Sicht keinen akuten Handlungsbedarf gibt: "Aber mit der Zeit verschleift sich das!"
Nun aber kommt unmittelbar im Anschluss ein ernster Tonfall ins Spiel:
Das Schlimmste liegt in etwas anderem. Ein Ausländer lernt Deutsch. Er braucht zwei, drei Jahre, dann kommt er nach München. Das erste, was er hört, ist: hha??? Wenn nun ein richtiger Giesinger merkt, das ist ein Ausländer, so bemüht er sich nicht, hochdeutsch zu sprechen, sondern in der Vermutung, das könnte ein Preuße sein, spricht er sein reinstes Idiom. Da steht der andere machtlos vis á vis. - Ich bemühe mich, daß ich Dänen, Schweden, Norwegern Deutsch beibringe, und dann bringe ich im Rundfunk Dialektstücke! Ich schaffe die sogenannte gotische Schrift ab, weil ich damit nicht weiterkomme, und dann rede ich Dialekt! Einer meiner Kriegskameraden war Allgäuer. Die ersten Tage stand ich ihm wie einem Chinesen gegenüber. Das ist alles sehr schön gewesen, der gute Fritz Reuter wunderbar, aber es kann ihn nur ein kleiner Teil lesen. Wo wären wir hingekommen, wenn Hoffmann von Fallersleben das Deutschlandlied in Dialekt gedichtet hätte! Man mag seine Heimat noch so lieben, aber das allein ist es ja nicht. Von Zeit zu Zeit muß man sein Haus entrümpeln, sonst kommt so ein Unrat zusammen! Dann ist das irgendwie blamabel, wenn man einen gebildeten Tschechen hört und der spricht dann besser als ein Deutscher!
Hier schließt sich direkt ein schon oben vermerktes Votum über die notwendige Vergewaltigung zahlreicher Dialekte durch die Einführung von "Kanzleideutsch" an. Sollte man das als Drohung verstehen?
Die zeitlich frühere Wiedergabe eines Monologs vom 2.5.1942 weist darauf hin, dass Hitler über den Rundfunk einem "klassisches Deutsch" - was immer das heißen mag - zum Durchbruch verhelfen möchte: Da "die Sprache mit das elementarste Bindemittel der Gemeinschaft sei, so habe sich im Mittelalter der Reichsgedanke im deutschen Volk nicht zuletzt aufgrund der Lutherschen Schöpfung einer klaren deutschen Schriftsprache durchgesetzt. - Eine Feststellung, die uns auch für unsere heutige politische Arbeit richtungweisend sein müsse. Wie damals die Bibelübersetzung Luthers die Verbreitung der deutschen Schriftsprache besorgt habe, so müsse heute der großdeutsche Rundfunk die Aufgabe übernehmen, gewissermaßen das klassische Deutsch zu sprechen und damit zu seinem Teil zur Überwindung der volkstrennenden Erscheinungen auf dem Gebiet der Sprache, also insbesondere zur Überwindung der Dialekte, beizutragen".