Hitlers Erben?
Der Freistaat Bayern will unter Berufung auf das Urheberrecht den Nachdruck nationalsozialistischer Zeitungen verbieten
Am letzten Freitag schickte das Bayerische Staatsministerium der Finanzen dem Verlag Albertas Limited eine schriftliche Aufforderung, auf den "Nachdruck von Zeitungen, an denen dem Freistaat Bayern Rechte zustehen" zu verzichten und dazu eine Unterlassungserklärung abzugeben. Außerdem soll Albertas "bereits in Umlauf befindliche Exemplare" der von ihm veröffentlichten Zeitschrift "Zeitungszeugen" einziehen. Auslöser der Forderung ist ein Nachdruck der Zeitungen "Der Angriff" und "Völkischer Beobachter".
In der zu Anfang des Jahres mit einer großen Werbekampagne gestarteten Reihe "Zeitungszeugen" werden Zeitungen aus den 1930er Jahren nicht nur in kleinen Auszügen, sondern komplett nachgedruckt. Die erste Nummer enthielt eine Ausgabe des "Angriff" vom 30. Januar 1933. Im zweiten Heft, das am Donnerstag erscheinen soll, ist unter anderen der Nachdruck eines Exemplars des Völkischen Beobachters vom ersten März 1933 geplant. Allerdings werden in den einzelnen Heften nicht ausschließlich nationalsozialistische Zeitungen, sondern mehrere Blätter verschiedener politischer Couleur nachgedruckt, wofür man auch auf Exilveröffentlichungen zurückgreifen will.
Zudem erfolgt die Veröffentlichung nicht unkommentiert, sondern in einem Mantel, in dem Wissenschaftler die alten Druckwerke kommentieren. In der Nummer 1 erledigt das unter anderem Wolfgang Benz, der Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. In der Nummer 2, die sich mit dem Reichstagsbrand beschäftigt, soll Hans Mommsen zu Wort kommen.
Auf die Frage nach der Rechtsgrundlage für die Forderung verweist das bayerische Finanzministerium auf das Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946. Dort regelt Artikel 15, dass das "Vermögen" von "Hauptschuldigen" eingezogen wird. Anders als bei Renten, Pensionen oder Titel ist jedoch nicht von einem expliziten Entzug von Urheberrechten die Rede. Werden diese also implizit zum "immateriellen Vermögen" gerechnet?
Auf Nachhaken nennt das Ministerium eine nicht näher bestimmte Direktive des alliierten Kontrollrats, die regeln soll, dass "das gesamte Vermögen des Eher-Verlags, einschließlich aller Verlagsrechte, [...] als ehemaliges NS-Vermögen auf den Freistaat Bayern" übergeht. Allerdings kann ein Verlag nur Leistungsschutzrechte, Markenrechte oder Nutzungsrechte, aber keine Urheberrechte innehaben. Und während Urheberrechte in Deutschland erst 70 Jahre nach dem Tod eines Autors verjähren, halten Leistungsschutzrechte bis höchstens 50 Jahre nach dem Veröffentlichungstermin.
Weitere Fragen zur Rechtsgrundlage bescheidet das Ministerium mit dem Verweis darauf, dass man "nicht mehr sagen möchte als das, was in der Pressemitteilung steht". Und so bleibt offen, ob und an welchen im Eher-Verlag erschienenen Zeitungstexten der Freistaat Urheberrechte beansprucht, und welche Autoren als in Bayern wohnhafte "Hauptbelastete" gewertet werden. Auch über das geplante weitere Vorgehen nach Ablauf der Frist am Mittwoch schweigt sich das Finanzministerium aus.
Auf internationaler Ebene wurden die von der bayerischen Staatsregierung geltend gemachten Rechtsansprüche nur sehr bedingt wirksam: So erkennen unter anderem Israel, die USA und Großbritannien diese nicht an und erlauben den freien Nachdruck von Adolf Hitlers Mein Kampf, den das Finanzministerium mit der gleichen Begründung zu unterbinden versucht.
Aus diesem Grund gab möglicherweise auch Albertas bekannt, dass der Verlag nicht die Absicht habe, die Auslieferung zu stoppen. Zwar stünde man derzeit über Juristen mit dem Finanzministerium in Kontakt, im Endeffekt habe der Freistaat mit seiner Forderung aber grundlegende Fragen aufgeworfen, die man eventuell vor dem Bundesverfassungsgericht klären müsse. Der Weg dorthin könnte nicht nur über die Zivilgerichtsbarkeit gehen: Durch die Aufnahme von Strafvorschriften in das Urheberrecht steht Rechtebeanspruchern sogar die Möglichkeit offen, relativ unscharfe immaterialgüterrechtliche Fachfragen zur Anzeige zu bringen und so in privaten Streitigkeiten öffentlich finanzierten Druck auszuüben.
Dabei ist nicht nur unklar, wie das Ministerium aus der Übertragung von Verlagsrechten weit mehr als fünf Jahrzehnte nach Erscheinen einen Nachdruck verbieten will - auch die Frage, inwieweit mit dem Gesetz vom 5. März 1946 tatsächlich Verbotsrechte übertragen wurden, wurde vor Gericht bisher noch nie "ausgetestet", obwohl so etwas dem deutschen Urheberrecht, das lediglich eine Übertragbarkeit von Verwertungsrechten vorsieht, grundlegend widerspricht. Ein Grundsatzprozess hätte möglicherweise auch Auswirkungen auf andere Fälle, in denen Urheberverbotsrechte per Dekret übertragen bzw. neu geschaffen worden sein sollen. Ein Beispiel wären die Rechte an alten deutschen Filmen, welche von der Murnau-Stiftung beansprucht werden. Dort ignoriert man telefonische wie schriftliche Anfragen komplett – ein Verhalten, dass nicht unbedingt auf einen festen Glauben an die Haltbarkeit solcher Ansprüche hindeutet.
Sensibilisierung für Strukturen und Funktionsweisen von Propaganda
Dass es bisher noch nicht zu einer gerichtlichen Grundsatzentscheidung kam, liegt möglicherweise auch daran, dass potentiell interessierte deutsche Verlage es als wirtschaftlicher ansahen, auf den nicht mehr fernen 31. Dezember 2015 zu warten, an dem mögliche Ansprüche an Werken 1945 verstorbener Personen auch nach der Maximalrechtsauffassung abgelaufen sind. Für die Zeit danach plant beispielsweise das Münchner Institut für Zeitgeschichte die Herausgabe einer wissenschaftlichen Edition von Mein Kampf.
Der Hintergrund der an Albertas versandten Unterlassungserklärung ist – wie das Ministerium selbst zugibt – weniger einer, der in Urheberrechtskommentaren zu finden ist, als eine Angst vor der "Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts". Allerdings ist auch dieses Argument insofern widersprüchlich, als das Ministerium selbst zugibt, dass der "wissenschaftliche Ansatz" der Reihe außer Frage stehe.
Der aufklärerische Wert eines kompletten Neudrucks alter Zeitungen liegt vor allem darin, dass sie auch ganz triviale Meldungen und Werbung enthalten und auf diese Weise zeigen, dass sich der Alltag im Nationalsozialismus in mancher Hinsicht gar nicht so drastisch von dem der Menschen zu Anfang des 21. Jahrhunderts unterschied. Auf diese Weise können sie die Sensibilisierung für Strukturen und Funktionsweisen von Propaganda schärfen.
Das gilt auch für andere Medien: Im dem nur in wissenschaftlichen Instituten zugänglichen "Vorbehaltsfilm" Heimkehr von Gustav Ucicky wird beispielsweise auf eindrucksvolle Weise deutlich, dass der Einmarsch in Polen von der nationalsozialistischen Propaganda durchaus weniger als offener Eroberungsfeldzug zur Versklavung oder Ausrottung von "Untermenschen" verkauft wurde, sondern – ganz im Gegenteil - als "humanitäre Intervention" der Wehrmacht, durch welche die deutsche Minderheit in praktisch letzter Sekunde einem von den Polen geplanten und bereits begonnenen Völkermord entging.
Im 21. Jahrhundert steht dem Betrachter von Heimkehr anders als in den 1940er Jahren des 20. ein Kontext aus einer Vielzahl anderer Medien zur Verfügung, so dass er die "humanitäre Intervention" unschwer als Propagandalüge erkennen kann - eine Wahrheit, die auch für die in "Zeitungszeugen" veröffentlichten alten Zeitungen gilt.