Hobbit als Herrscher: Palantir und der Wahnsinn der illusionierten Harmlosigkeit
- Hobbit als Herrscher: Palantir und der Wahnsinn der illusionierten Harmlosigkeit
- "Palantir ist eine Verführung, der sich unser Rechtsstaat entziehen muss"
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Von 9/11 bis heute: Alexander Karp und seine gefährliche Vision. "Watching you" dokumentiert ein unsichtbares Imperium mit globaler Macht.
Ich bin das Kind von Hippies, ich kann mich für Datenschutz begeistern, aber auch für den Kampf gegen Terrorismus.
Alexander Karp
Geld ist Lachgas für mich.
Sigmund Freud
Wer kennt schon Palantir? Aber alle sollten es kennen. Denn dieses Unternehmen ist zwar einer breiten Öffentlichkeit unbekannt und in der medialen Diskussion kommt es bislang kaum vor. Und doch ist Palantir so alternativlos wie Facebook, Google, Apple und Amazon und verdient schon deswegen auch ähnliche Debatten.
Erst recht, wenn man die CIA und Regierungen diverser Länder als Kunden hat.
Jetzt hat der Regisseur Klaus Stern einen Dokumentarfilm über dieses so mächtige wie gefährliche Unternehmen gedreht. Stern hat eine gelassene, dabei hartnäckige Art und er verzichtet auf allzu eindeutige Thesen. Gerade deswegen könnte sein Film ein Anfang sein.
Wenn Hobbits die Welt beherrschen: Gotham und der Herr der Ringe
"The World is Breaking. Come Fix It" – begleiten Sie die Palantir-Ingenieure bei einem Programmierspiel, bei dem Sie ein Start-up aufbauen, von technischen Schulden erdrückt werden und zusehen, wie es scheitert. Und das alles innerhalb einer Stunde.
So wirbt Palantir auf Facebook:
Join Palantir engineers for a programming game where you will build a Start-up, get crushed by technical debt, and watch it fail, all in the space of an hour.
Was macht Palantir aus? Was für eine Art von Kultur ist dies? Einerseits wird später ein Ex-Mitarbeiter erläutern, suche man natürlich Leute, "die schlau sind, andererseits sucht man auch Leute mit einer altruistischen Ader. Altruistisch soll heißen: jemand, dem es nicht immer ums eigene Ego geht. Der Hobbit also, der Held aus der Tolkien-Mythologie ist genauso eine Persönlichkeit".
Es ist schon seltsam und sagt zugleich sehr viel, wenn man seine Firma nach einer Gestalt aus J. R. R. Tolkiens kryptofaschistischem Fantasy-Roman "Der Herr der Ringe" benennt. Ein Palantír ist dort eine von mehreren unzerstörbaren Kristallkugeln.
Eine der wichtigsten Palantir-Softwares heißt "Gotham". Mir ihr überwachen Staaten ihre Bürger, mit ihr führt das ukrainische Militär Krieg gegen Russland.
Zigarre, Sigmund Freud und die Talerdusche der New Economy
Der Film kreist sein Thema allmählich, Stück für Stück ein. Es gibt zwei, drei wiederkehrende Szenen in diesem Film. Beispielsweise zündet sich Alexander Karp irgendwann in den ersten Minuten des Films eine Zigarre an. Genau gesagt: Er versucht es. Es gelingt ihm nicht.
Karp weiß zwar, dass die dicke, möglichst teure Zigarre aus möglichst edlen Beständen eines der Statussymbole für die Bosse der Bosse ist. Aber das ist er eben noch nicht, sondern will es erst werden, muss noch üben und so scheitert er daran, die Zigarre zum Brennen zu bringen. Mal geht das Streichholz aus, mal zieht er zu schnell, mal zu schwach.
Man wird ihn regelmäßig wiedersehen, beim Versuch, eine Zigarre zu rauchen, meistens auf einer Treppe in New Yorker West Village, und man hätte gern gewusst, um wen es sich eigentlich bei dem jungen Mädchen handelt, das ein paar Treppenstufen höher sitzt und ihn beim Rauchversuch amüsiert beobachtet; oder bei der alten Frau, die aus dem Haus kommt und sich in ein Gespräch verwickeln lässt.
Sie ist heute höchstwahrscheinlich längst tot, denn die Aufnahmen stammen aus dem Jahr 1997 und Alexander Karp ist damals noch jung, "blutjung" geradezu, er war noch nicht in Deutschland, er hat noch nicht beim Sigmund-Freud-Institut und beim Institut für Sozialforschung in Frankfurt studiert, er trägt noch keinen Doktortitel, er hat die Firma "Palantir Technologies" noch nicht gegründet, und er ist noch längst kein Multimilliardär.
"Das ist der Wahnsinn!"
Die zweite regelmäßig wiederkehrende Szene dieses Films ist, dass wir Alexander Karp, nun schon einige Jahre später, und von Bodyguards begleitet, auf irgendwelchen Meetings sehen, bei der Münchner Sicherheitskonferenz, bei einem Digitaldingsbums in Berlin, bei der BASF in Ludwigshafen und bei Axel-Springer, wo er jeweils in den Aufsichtsrat gewählt wird, ohne Zigarre zwar, aber fraglos einer der Bosse der Bosse.
Mindestens dreimal in diesem Film erklärt er lachend, fast glucksend – und es wirkt so, als belustige ihn die Tatsache wirklich ehrlich – dass "diese Leute hier" einen Film über ihn machen würden, und dass er gar nicht große Lust hätte, diesen Film zu machen.
Er erklärt dazu, dass der Kameramann mal vor vielen Jahren über ihn einen Film gemacht hätte, in dem er einen Mann spielte, "ein jüdischer Schwuler, der nach Amerika gegangen ist, der aber nicht wollte, dass ein Film über ihn gedreht wird".
"Und dann haben sie den Film über mich gedreht auf der Suche nach ihm, obwohl ich eher auf Frauen stehe, aber ... Und jetzt dreht er einen Film über mich, obgleich ich das nicht will. Das ist der Wahnsinn!"
"Aber ich finde den sympathisch," sagt er einmal noch gönnerhaft.
Die Macht in den Strukturen
Die dritte Szene in diesem Film, die mehr als einmal vorkommt, ist, dass die Filmemacher, eben Thomas Giefer, jener Kameramann von damals, der auch diesmal die Kamera führt, und der Regisseur Klaus Stern, Alexander Karp direkt ansprechen, und um einen Termin oder ein Gespräch bitten.
Mal ist die Kamera direkt dabei, und man sieht es in Nahaufnahme, mal mit einer nicht gerade versteckten, aber doch für das Objekt unsichtbaren Kamera weit aus der Ferne. Alexander Karp macht aber jedes Mal ganz klar, dass er sich zwar den Filmemachern nicht direkt verweigert – dazu ist er viel zu schlau –, aber dass er doch auch gar keine Lust darauf hat, in diesem Film mitzumachen, eine Rolle zu spielen, oder ihm gar sein Plazet zu geben.
Ein einziges Mal kommt es zu einem Vieraugengespräch mit Klaus Stern, von dem dieser dann aber per Texttafel berichtet, weil Ton- und erst recht Bildaufnahmen nicht erlaubt waren.
Aber alles das macht auch nichts.
Denn "Watching you – Die Welt von Palantir und Alex Karp" ist glücklicherweise gar kein Film über Alexander Karp geworden und es ist auch die große Frage, ob er das hätte werden sollen. Jedenfalls aber kann man, glaube ich, sagen, dass es ganz gut ist, dass er das nicht geworden ist.
Denn wen interessieren schon Filme über Superreiche, außer die Voyeure des Boulevards. Viel interessanter ist es doch, über Strukturen zu berichten und am interessantesten ist es, schiere Macht als solche zu zeigen; Macht, wie sie sowohl in Strukturen liegen kann, aber auch in den Händen einzelner Personen. Genau das gelingt Klaus Stern und seinem Kompagnon Thomas Giefer hier ziemlich gut.
9/11 als Sesam-Öffne-Dich für "die Verrückten" aus Kalifornien
Dies ist ein suchender Dokumentarfilm – was ihn wohltuend abhebt, von den vielen Filmen, die schon alles wissen, die nur ihre Agenden illustrieren, und aus denen man nichts erfährt, was nicht von Anfang an klar ist.
Die Struktur des Films besteht aus Schleifen, die er um bestimmte Phänomene legt, und sie allmählich zu einem Thema festzurrt. Manche dieser Schleifen und Geschichten wäre mögliche eigene Dokumentarfilme.
Die vielleicht interessanteste von ihnen ist die von Alfredas Chmieliauskas. Er lebt heute in Andalusien, irgendwo am Meer, und war zwischen 2013 und 2018 Mitarbeiter von Palantir.
Im Zuge des Cambridge Analytics Skandals wollte Palantir seine Haut retten, und Chmieliauskas wurde das Bauernopfer.
Chmieliauskas erklärt ganz gut, wie diese seltsame Firma überhaupt anfangen konnte: 9/11 sei "der entscheidende Wendepunkt" gewesen: Als Reaktion auf das enorme Geheimdienstversagen habe man die eigene Tür ein kleines Stück "für die Verrückten" aus Kalifornien geöffnet.
Sie waren das, was man als Abweichler und Schurken bezeichnen würde, Außenseiter des Systems. Vor Nine-eleven hätte ihnen niemand die Tür geöffnet. Niemand!
Einer der ersten Geldgeber von Palantir war dann die CIA.
Alexander Karp sei in erster Linie ein Künstler der überzeugenden Rede: "Worüber redet er da eigentlich? Er spricht genau über das, was ihr gerade hört. Aber in welchem Sinn beantwortet es die Frage? Es beantwortet die Frage nicht."
Und zugleich sei er ein Gefangener seines Erfolgs: "Alex kann niemals wieder gehen." Er habe Angst, dass sie – die Hobbits? Die Auftraggeber? – ihn eines Tages fressen werden. Das Unternehmen habe Angst davor, ihn als Chef zu verlieren. Weil dann diese Strahlkraft der Person fehlt.
Kapitalismus ist heute Shareholder-Macht plus Elektrifizierung.
"Wieso ist die plötzlich 20 Milliarden wert?"
"So eine geheimnisvolle Firma. Was macht die eigentlich, wieso ist die plötzlich 20 Milliarden wert? Da will man wissen: Was steckt dahinter?" Christina Kyriasoglou recherchiert seit Jahren für das Manager Magazin über Palantir.
Ihre erste Frage kann man sich im Laufe des Films so einigermaßen beantworten: Palantir bringt Ordnung ins Datenchaos, gruppiert fragmentierte Datenbestände großer Unternehmen – oder Staaten – und bereitet sie so auf, dass auf den Bestand der Daten nach allen möglichen Kriterien einfach zugegriffen werden kann.
Die Software kann zudem vor allem zur Überwachung eingesetzt werden, was Palantir zur mit Abstand größten privaten, kommerziellen Überwachungsfirma der Welt macht. Das Ganze ist ein ziemlich unsympathisches Unternehmen und man muss davor warnen.
Ihre zweite Frage ist hingegen äußerst schwer zu beantworten: In 17 Jahren – inzwischen 20 Jahren – hat Palantir noch nie Profit erwirtschaftet, "noch nie Gewinne geschrieben. Wie kann das sein? Das ist eine sehr gute Frage."
Wenige Monate nach seinem Börsengang 2020 ist Palantir dann über 60 Milliarden Dollar wert. Laut Wall Street Journal ist Alex Karp 2020 der bestverdienende CEO mit einem Verdienst von 1,1 Milliarden US-Dollar.
"Gewisse Grenzüberschreitungen waren wahrscheinlich unabweislich"
Ein eigener Dokumentarfilm für sich und hier nicht hundertprozentig passend, ist die Geschichte von Horst Herold, dem heraustragenden Polizisten der alten Bundesrepublik, BKA-Chef 1971-1981, dem genialen Erfinder der "Rasterfahndung" und frühem Computerfetischisten sowie das dazugehörige Interview mit Gerhart R. Baum, Herolds Chef und Gegenspieler als Bundesinnenminister der sozialliberalen Koalition.
"Er war unglaublich innovativ. Ein faszinierender Mensch. Ein Narziß, hochintellektuell, ein Polizist der völlig aus dem Rahmen fiel", so Baum über Herold:
Er war ein sehr eigenständiger, auch politischer Kopf, und damit geriet er natürlich in Schwierigkeiten. Auch bei mir als ich Minister wurde. Er hatte sich sozusagen emanzipiert von dem Ministerium: Herold wurde gefragt. Herold ging zum Bundeskanzler. Herold ging in den Ausschuss. Herold war der Macher. Die Öffentlichkeit war daran überhaupt nicht gewöhnt. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck: Dieser Mann schnüffelt die Bevölkerung aus.
Es gab Grenzüberschreitungen. Gewisse Grenzüberschreitungen waren wahrscheinlich damals sogar unabweislich, aber er hat das so stark verinnerlicht, dass er eigentlich nie umschalten konnte.
Gerhart R. Baum
Dies ist ein kleiner Edelstein für sich in diesem Film. Man könnte Baum (und Herold in den alten Ausschnitten) noch stundenlang zuhören – das wirft tatsächlich ein paar Schlaglichter in ein durch den Dokumentarfilm bislang völlig unbearbeitetes Kapitel der Bundesrepublik. Ob es in diesen Film gehört?
Die These ist natürlich, Karp als eine Art geistiger Enkel Herolds darzustellen. Darüber lässt sich nun durchaus streiten, wie auch über die Frage, ob man damit, wenn die These denn ernst gemeint ist, nicht Karp weißwäscht? Oder Herold? Oder doch dämonisiert? In jedem Fall wirft dieser Exkurs mehr Fragen und Nachfragen auf, als er beantwortet.