Hobbit als Herrscher: Palantir und der Wahnsinn der illusionierten Harmlosigkeit

Seite 2: "Palantir ist eine Verführung, der sich unser Rechtsstaat entziehen muss"

Bild: © Real Fiction / Brad Wenner

Der so kluge wie liebenswerte Rechtsstaatsliberale Gerhart Baum sagt schließlich einen Satz zur Gegenwart:

Palantir ist eine Verführung, der sich unser Rechtsstaat entziehen muss.

Das mündet in eine Betrachtung der Einführung von Palantirs "Gotham"-Programm in die deutschen Sicherheitsbehörden durch die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen. Die heutige Bundesinnenministerin Nancy Faeser kritisierte diese Einführung politisch wie juristisch.

Sie macht im Film klar, dass offenbar auch die Schwarzgrünen selbst ein schlechtes Gewissen hatten und darum versuchten, diesen Bruch mit allen rechtsstaatlichen Üblichkeiten handstreichartig zu vollziehen und öffentlich zu verschleiern: Die Vergabe des Auftrags an Palantir erfolgte ohne Ausschreibung und ohne Information der Opposition.

Deutlich wird, die größte Gefahr einer solchen Zusammenarbeit: Dass die Sicherheitsbehörden sich von der Software abhängig machen und ihr dann immer mehr Daten zur Verfügung stellen müssen.

Große Kritik gibt es nicht nur von der SPD, sondern auch vom Bayerischen Datenschutzbeauftragten Thomas Petri:

Ich weiß wie, Palantir funktioniert. Das Tool ist sehr sehr eingriffsintensiv. ... in Hessen haben Tausende von Beamten Zugriff. Sollen die alle in der Terrorismusbekämpfung eingesetzt sein? Das kann nicht nur Schwerstkriminalität sein. Oder Hessen hat ein veritables Problem.

Gegen die hessische Nutzung gab es eine Verfassungsbeschwerde der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die 2023 zu einem Urteil führte, das die hessische Regelung der Nutzung von Palantir-Software für verfassungswidrig erklärte.

"Our product is used to kill people"

"Our product is used on location to kill people" – diese Aussage gibt es auch in kleinen Varianten ein paar mal in diesem Film. Und es wirkt ein bisschen so, als sollte uns im Publikum das empören.

Aber genau genommen lässt sich dies über ganz viele Dinge und Phänomene sagen, über jeden Computer, über Religion und Parteiprogramme, über das Internet als Ganzes, aber auch über Autos, über Erdgas und Erdöl, über Küchenmesser und Werkzeughammer ebenso wie über richtige Waffen.

Schon klar, dass damit eigentlich gesagt werden soll, dass die Möglichkeit dieses Produkt zum Töten zu verwenden, diesem Produkt von Beginn an eingeschrieben ist.

Glaubt Alexander Karp sich selber?

Das Lächeln und die jungenhafte lässige manchmal hippiehafte Attitüde entgleitet Alexander Karp eigentlich nie. Und es ist wirklich schwer zu sagen, ob das alles nur Show ist, oder ob er selbst seiner Maske glaubt und sie mit ihm komplett verschmolzen ist.

Er ist eine gar nicht mal besonders schillernde Persönlichkeit, sondern einfach jemand, an den der Film nicht wirklich herankommt.

Weil Karp keine Interviews gibt, nur mit Merkel und DAX-Vorständen und solchen Leuten redet. Weil Karp dafür vermutlich gute Gründe hat, weil er mit Unsympathen wie Peter Thiel Umgang hat, weil er sich mit Donald Trump trifft, weil er behauptet, er sei "extrem links in Amerika", aber nur Sachen macht, die selbst in Amerika manche "extrem rechts" finden ...

Ein Ex-Studienkollege aus Frankfurt stellt im Film die rhetorische Gretchenfrage: "Was bleibt von dem Linkssein, wenn man im Wesentlichen mit Leuten zu tun hat, die alles andere als das sind?"

Die FAZ bringt in ihrer Rezension das Ungreifbare recht gut auf den Punkt:

"Watching You" schafft es, von einer rätselhaften Figur ein klares Bild zu zeichnen, und kann doch nicht anders, als schwammig bleiben. Denn Karp ist eine Sphinx: Sohn eines jüdischen Arztes und einer afroamerikanischen Mutter, hochintelligent und trotzdem vage in seiner wissenschaftlichen Arbeit, ein selbst ernannter extremer Linker und dennoch Intimus des libertären deutschstämmigen Unternehmers Peter Thiel.

"Informativ, unterhaltsam und erhellend"

Es gibt ein paar Stimmen, unter anderem den sehr geschätzten Kollegen Philipp Stadelmeier, der den Film zwar im Filmdienst und in der Süddeutschen Zeitung "informativ, unterhaltsam und erhellend" findet, sich zugleich aber von ihm ein wenig gelangweilt gibt: Man habe das doch alles schon gewusst: "Wir werden überwacht."

Dass "wir alle" überwacht werden, mag schon sein. Aber wie wir überwacht werden, von wem, und was der deutsche Staat dann im Unterschied zu den USA doch letztlich als rechtswidrige Überwachung charakterisiert, das wissen wir vielleicht nicht alle so genau.

Auch wer vorher schon etwas wusste, kann aber aus diesem Film eine Menge erfahren.