Hochwasser-Wahlkampf in Österreich: Wer punktet, wer säuft ab?
Österreich kämpft mit Hochwasser. Parteien nutzen die Krise für Wahlkampf. Doch wer profitiert wirklich von der Katastrophe?
Bei manchen Betroffenen in Österreich sitzt der Frust tief, sie werden jetzt wohl wegziehen. Weg von allen Gewässern. Die Hochwasser sind einfach zu häufig und zu intensiv geworden. Auch eine Woche nach den sintflutartigen Regenfällen sind einige Orte in Niederösterreich noch immer nicht erreichbar. Die Aufräumarbeiten werden zum Teil wohl Jahre dauern.
Die Hochwasserkatastrophe dominiert den Wahlkampf in den Medien. Geplante TV-Duelle wurden verschoben, stattdessen wurden Diskussionsrunden zum Hochwasser ausgestrahlt.
Die wahlwerbenden Parteien müssen sich positionieren und versuchen, ihre eigenen Themen behutsam in die Katastrophenerzählung einzuflechten. Das gelang mehr oder weniger gut.
Kampf ums Framing
Relativ einfach war die Situation für die auf Bundesebene oppositionelle SPÖ. Ihr Spitzenkandidat Andreas Babler ist Bürgermeister der Stadt Traiskirchen und dort auch Feuerwehrmann. Natürlich leistete er Dienst im Katastrophenschutz und wurde dabei auch effektvoll fotografiert. Es war schwer, ihm einen Strick daraus zu drehen.
Auch andere SPÖ-Mandatare traten in Feuerwehruniform auf und gaben Fernsehinterviews. War so mancher knallrote Helm zu viel des Guten? - Geschmackssache. Die Not war groß und die Hilfsbereitschaft authentisch.
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Zur Mahnung wird derzeit gerne die Geschichte des ehemaligen SPÖ-Bundeskanzlers und späteren VW-Managers Viktor Klima ausgepackt, der Ende der 1990er-Jahre das Hochwasser in Niederösterreich für sich nutzen wollte.
Seinen "Hilfseinsatz" in Jeans und Hubschrauber nahm ihm damals niemand ab und er verlor seine Wiederwahl. Das war allerdings Jahre später. Besser ist hier das Beispiel des bundesdeutschen Freundes von Viktor Klima, Gerhard Schröder, der dank seines Einsatzes in Gummistiefeln die schon verloren geglaubte Bundestagswahl 2002 doch noch gewinnen konnte.
Bei der letzten Bundestagswahl verlor bekanntlich Armin Laschet (CDU), weil er das damalige Hochwasser im Ahrtal offensichtlich eher amüsant fand. In beiden Fällen fand die Wahl unter dem unmittelbaren Eindruck des Hochwassers statt.
ÖVP hat ihren Spin parat
Die Konservativen scheinen jedenfalls gewarnt und verkneifen sich in diesen Tagen jedes Lachen. Bundeskanzler Karl Nehammer kann staatstragend agieren und sich als Chef in Einsatzbesprechungen inszenieren. Inwieweit hier andere die eigentliche Arbeit machen, sei dahingestellt, aber der Kanzler darf das tun, was die Öffentlichkeit von Kanzlern erwartet.
Ihm kommt zugute, dass der Katastropheneinsatz gut koordiniert erscheint. Auch die vielen zusätzlichen Schutzeinrichtungen, die seit dem letzten "Jahrhunderthochwasser" 2002 installiert wurden, haben sich bewährt. So kann Nehammer die Einsatzkräfte und das vorausschauende Handeln loben - und ein wenig auch sich selbst.
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Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) umarmt derweil die Helferinnen und Helfer und schießt beim Framing den Vogel ab, indem sie die niederösterreichische Sicherheitsfamilie" (gemeint sind die Einsatzkräfte) lobt. Familie, Niederösterreich und Sicherheit ist genau das, was die Landesmutter zusammenbringen will. Die eigene Ideologie schwebt dabei sanft über dem Wasser.
Die Krise stärkt den Zusammenhalt
In der Hochwasserkrise reden plötzlich auch die Konservativen wieder von "Solidarität" und der Notwendigkeit, einander zu helfen. Der Österreichische Rundfunk hat eine Spendenaktion ins Leben gerufen, die bezeichnenderweise "Österreich hilft Österreich" heißt, als solle niemand auf die Idee kommen, hier werde Ausländern geholfen.
Aber sie packen selbst mit an. Syrische Flüchtlinge, die in Niederösterreich bei den Aufräumarbeiten helfen, schaffen es in die Nachrichten und werden sogar vom Boulevard gelobt. Es scheint, als bringe die Katastrophe den Medienzirkus ein Stück näher an die Lebensrealität. Für den Dauerregen kann man die Ausländer nun wirklich nicht verantwortlich machen.
Saufen die Blauen jetzt ab?
Etwas ins Abseits gerät durch diese Entwicklung die FPÖ, die lange wie der sichere Wahlsieger aussah, in den letzten Umfragen aber nur mehr knapp vor der ÖVP liegt. Immer wenn es ernst wird, geht es den Freiheitlichen schlecht. Die Partei ist weitgehend ein Frustventil und hat zu oft ihre Unfähigkeit unter Beweis gestellt.
Insgeheim wissen die meisten Wähler, dass die FPÖ, wenn es hart auf hart kommt und wirklich etwas getan werden muss, einfach nicht die entsprechenden Krisenmanager in ihren Reihen hat. Sie ist einfach besser im Ankündigen.
Die Partei hofft auf Sympathien, indem sie jetzt 10.000 Euro für jedes Flutopfer fordert. Wie die zerstörte Infrastruktur wieder aufgebaut werden soll, indem die Hilfsgelder individuell an die Bürger ausgezahlt werden, ist den meisten Experten ein Rätsel. Ansonsten sieht die FPÖ keine tiefgreifenden Umweltprobleme. Probleme gäbe es zwar mit der Bodenversiegelung, aber vor allem durch den Bau von Windkraftanlagen auf Äckern.
Mit ihren eher kruden Aussagen bewahrt sich die FPÖ zumindest ein gewisses Alleinstellungsmerkmal. Auch sie wirft den anderen Parteien vor, aus der Katastrophe Kapital schlagen zu wollen. Mag sein, aber wer glaubt schon, dass die FPÖ mit ihrem üblichen Gejammer jetzt irgendjemandem hilft? Es sieht eher so aus, als dürften die Erwachsenen die blauen Jungs jetzt einmal ignorieren.
Und wenn das Klima doch in der Krise ist?
Die Grünen, der Juniorpartner der ÖVP auf Bundesebene, müssten jetzt eigentlich eine Sternstunde erleben. Aber die grünen Ministerinnen und Minister haben keine Agenden bekommen, die sie bei Umweltkatastrophen ins Rampenlicht rücken. Hier hat die ÖVP in den Koalitionsverhandlungen klug vorgesorgt.
Dennoch sind die Grünen die einzige Partei, die im Wahlkampf konsequent das Wort "Klima" plakatiert. Zunächst war Vorsicht geboten. Im Österreichischen Rundfunk jagte eine Sondersendung zum Hochwasser die nächste. Wer genau hinhörte, hörte anfangs kaum das Wort Klima. Auch die interviewten Politiker der verschiedenen Parteien agierten sehr vorsichtig.
Die Stimmung ähnelte ein wenig der in den USA nach einem der zahllosen Amokläufe. Man darf beten und der Angehörigen gedenken, aber niemals über die laxen Waffengesetze sprechen, weil man sonst die Katastrophe für die eigenen "ideologischen" Ziele missbrauchen würde.
Es zeigte sich jedoch, dass die befragten Passanten auf der Straße sehr wohl von sich aus den Bezug zur Klimakatastrophe herstellten. Selbst erzkonservative Blätter wie die Kronenzeitung begannen, den Klimawandel als Grundübel hinter den zum Teil beispiellosen Überschwemmungen zu erkennen.
Cui bono?
Dass man nicht immer höhere Dämme bauen kann, ist wohl allen klar. Außerdem zeigte sich, wie hochwirksam gerade die renaturierten Auen das Hochwasser zurückhielten, von denen die ÖVP vorher nichts wissen wollte.
Die grüne Umweltministerin Gewessler hatte die ÖVP sogar (erfolglos) verklagt, als diese - gegen den Willen des konservativen Koalitionspartners - dem EU-Renaturierungsgesetz zustimmte. Die Renaturierung wird laut Umfragen von einer überwältigenden Mehrheit im Land gewünscht, kollidiert aber mit den Interessen der Bauern, deren Anwalt die ÖVP ist.
Nun scheint die Linie der ÖVP nicht mehr zu passen. Bundeskanzler Nehammer hat sich auch immer wieder zum Auto bekannt und den Grünen, der Umweltbewegung und Teilen der Sozialdemokratie vorgeworfen, einem "Untergangswahn" verfallen zu sein. Dafür erntete er damals von seinen Anhängern viel Beifall. Jetzt, wo Teile des Landes tatsächlich untergegangen sind, hält er sich in dieser Frage zurück.
Es wird sich zeigen, welcher Effekt bei den Nationalratswahlen stärker sein wird. Setzt sich das emotionale Macher-Image der ÖVP durch, das Karl Nehammer inszeniert, der das Land ruhig durch die Krise führt? Oder wird die ehrliche Sorge um den Fortbestand des Landes bei einer Mehrheit der Wählerinnen und Wähler zur Einsicht führen, dass jetzt wirklich etwas getan werden muss? Und werden dann am 29. September die Parteien gewählt, die dies versprochen haben?