Hochwasser auf allen Kontinenten
Energie- und Klimawochenschau: Überschwemmungen, Dürren und verheerende Waldbrände in zahlreichen Ländern überfordern mancherorts die Verantwortlichen
Mehrere tausend Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet und mit internationaler Unterstützung haben am Wochenende im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel demonstriert und zeitweise Schienen eines Chemiebetriebes blockiert. Überregionale Medien fanden das - natürlich mit Ausnahme von Telepolis - kaum berichtenswert.
Dort, wo mit dem Nord-Ostsee-Kanal eine der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraßen der Welt kurz vor der Nordsee von der Unterelbe abgeht, soll nach dem Willen deutscher Chemie- und Energiekonzerne sowie der Kieler Landesregierung ein Terminal für Flüssiggas entstehen. Mit massiver Unterstützung aus dem Staatssäckel versteht sich.
Von 50 Millionen Euro aus Landes- und dem gleichen Betrag aus Bundesmitteln ist die Rede. Die schwarz-gelb-grüne Landesregierung hält das offensichtlich für eine "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur".
Die Aktivistinnen und Aktivisten von EndeGelände und örtliche Bürgerinitiativen halten die Investition hingegen für einen massiven Angriff auf das Klima und die Deutsche Umwelthilfe weist zudem darauf hin, dass es viel zu nahe an dem stillgelegten Atomkraftwerk und dem großen Düngemittelbetrieb liegt, der einen Teil des Gases beziehen will.
Bei diesem wird es sich meist um sogenanntes Frackinggas aus den USA und potenziell auch aus Argentinien handeln. Dieses sorgt meist für erhebliche Umweltprobleme für die Anwohner der Anlagen und ist zudem besonders schädlich fürs Klima. Bei der Förderung entweicht nämlich ein nicht unwesentlicher Teil des Gases, das als Methan ein besonders starkes Treibhausgas ist.
An den Protesten und der Blockade des Nord-Ostsee-Kanals nahm auch Esteban Servat aus der südargentinischen Region Vaca Muerta teil, in der die Menschen unter der Fracking-Industrie leiden (Telepolis berichtete). Servat erhielt nach Angabe der Aktivisten wegen seines Widerstandes gegen den Raubbau Morddrohungen und musste sein Land verlassen.
In Argentinien, dem Land, aus dem ich komme, wird das mit Blut bezahlt. Es sterben dort Menschen aufgrund der Verschmutzung durch Fracking, Kinder in der argentinischen Fracking-Region Vaca Muerta sterben dreimal so häufig an Leukämie. Die Zerstörung und Kontamination ganzer Regionen durch das Gewinnen von gefracktem Gas wird von denselben internationalen Konzernen betrieben, die es als Flüssiggas nach Europa importieren und es hier als saubere Lösung in der Klimakrise verkaufen wollen. Wir sagen: Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge. Der Klimakolonialismus muss ein Ende haben. Mit unseren Kajaks kappen wir heute eine wichtige neokoloniale Handelsroute.
Esteban Servat, argentinischer Umweltschützer
Die Aktionen in Brunsbüttel - in Deutschland sind weitere LNG-Terminals in Rostock, Stade und Wilhelmshaven geplant - war Teil eines internationalen Aktionstages gegen Fracking. Proteste gab es unter anderem im argentinischen Mendoza, im spanischen Cartagena, im brasilianischen Belém und im schottischen Mossmorran.
Hitze und Waldbrände
Derweil geht die Klimakrise mit voller Wucht weiter. Griechenland wird zur Zeit von der schlimmsten Hitzewelle seit Jahrzehnten heimgesucht. Am Montag wurden gar auf dem Festland in Makrakomi Ftiotida 46,3 Grad Celsius gemessen.
Auf den griechischen Ägäis Inseln müssen unterdessen Flüchtlinge in Lagern ohne Schatten bei teils über 40 Grad Celsius Lufttemperatur in ihren gefährlich heißen Zelten ausharren. Von Lesbos schreibt eine Unterstützerin auf Twitter, dass die im dortigen Camp Mavrovouni internierten Menschen dieses nicht verlassen dürften.
Durch die Hitze und viel zu geringe Niederschläge befördert kommt es derweil in verschiedenen Anrainerländern des Mittelmeeres zu teils dramatischen Waldbränden. Zum Beispiel in Griechenland, der Türkei, auf Sardinien und auf Sizilien. Allein aus Italien wird am vergangenen Wochenende über 800 Brände berichtet.
Auch der Libanon hat mit sich rasch ausbreitenden Feuern zu kämpfen, wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet. Dort steht, wie Unicef schon vor über einer Woche schrieb, die öffentliche Wasserversorgung kurz vor dem Zusammenbruch, woran allerdings die gegenwärtige Wirtschaftskrise einen erheblichen Anteil hat. Ersatzteile und Instandhaltung müssen mit harten Devisen bezahlt werden, die Mangelware sind.
In anderen Ländern in der Region sieht es ähnlich aus, wie die britische Zeitung Independent zu berichteten weiß, insbesondere im Irak und Iran. Eine Mischung aus Dürre, Stromausfällen, Wirtschaftskrise und Corona-Pandemie in von Land zu Land unterschiedlicher Zusammensetzung gefährde zunehmend die Wasserversorgung und treibt die Menschen zu Protesten auf die Straße.
Schnee in Brasilien
Und während aus dem Norden Grönlands Rekordtemperaturen gemeldet werden, gibt es anderorts Kälterekorde. In Brasilien gab es bereits vor über einer Woche einen ungewöhnlichen Einbruch polarer Kaltluft. Eine Woche später sagte der dortige Wetterdienst Schnee für den Bundesstaat Paraná voraus, der auch tatsächlich fiel.
Entsprechend waren dort die Menschen aus dem Häuschen, denn der Bundesstaat liegt schon fast in den Tropen. Durch den Norden Paranás verläuft bei 23,5 Grad südlicher Breite der südliche Wendekreis des Krebs, der als geografische Grenze der Tropen gilt. Klimatologisch sind die Tropen als jene Zone definiert, in der der Tagesgang der Temperatur größer als ihr Jahresgang ist.
Über Rekordkälte schreibt auch die argentinische Tageszeitung Pagina 12. Der Nordosten des Landes wurde von den gleichen antarktischen Luftmassen getroffen. Vielerorts sanken die Temperaturen - für das dortige Klima sehr ungewöhnlich - unter den Gefrierpunkt. In einem Fall wurden gar -8 Grad Celsius gemessen.
Allenthalben Hochwasser
Derweil wüten in Sibirien die schweren Waldbrände weiter, während in Burundi, in Teilen des US-Südwestens, in Pakistan, Afghanistan, Südafrika, Großbritannien und Bangladesch Menschen mit extremen Unwettern und Überschwemmungen kämpften.
Aus China meldet die britische Zeitung Guardian, dass die offizielle Zahl der Todesopfer der schweren Überschwemmung in der Inlands-Provinz Henan inzwischen mit 302 angegeben wird. 50 Menschen würden noch immer vermisst. Während der nie zuvor gesehenen Regenfälle wäre dort auch beinahe ein Staudamm gebrochen, zitiert die in Hongkong erscheinende South China Morning Post chinesische Fachleute.
Internationales Behördenversagen
In drei Tagen waren in Henans Provinzhauptstadt Zhengzhou rund 600 Liter Regen pro Quadratmeter gefallen, 200 davon allein binnen der zwei schlimmsten Stunden. Bilder einer überfluteten U-Bahn, in denen die Menschen bis zur Brust und zum Teil gar bis zum Hals im Wasser standen, waren durch die sozialen Medien rasch verbreitet worden.
Inzwischen müssen sich die örtlichen Behörden Fragen gefallen lassen, weshalb die U-Bahn nicht rechtzeitig angehalten und Schulen nicht geschlossen wurden. Wie in Deutschland auch, scheint es keine klaren Katastrophenpläne und dazugehörige Kommunikationswege gegeben zu haben oder aber die Zuständigen haben zu lange gezögert. Der Guardian berichtet, dass übergeordnete Behörden eine Untersuchung eingeleitet hätten.
Hierzulande könnten die Vorgänge im Ahrtal, wo die meisten deutschen Hochwasseropfer beklagt werden, eventuell ein gerichtliches Nachspiel haben. Die Staatsanwaltschaft Koblenz prüft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens "wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung infolge möglicherweise unterlassener oder verspäteter Warnungen oder Evakuierungen der Bevölkerung".
Dem zuständigen Landrat wird vor allem vorgeworfen, trotz früher Warnungen des Wetterdienstes und schließlich auch der Landesregierung den Katastrophenalarm erst um 23:09 Uhr damit viel zu spät ausgerufen zu haben.
Ganz ähnliche Vorwürfe gibt es auch aus dem belgischen Liège westlich von Aachen, das vom gleichen Unwetter schwer getroffen wurde und 38 Opfer zu beklagen hat. Dort hat ein Untersuchungsrichter Ermittlungen wegen des Verdachts auf Totschlags aufgenommen, wie der Guardian schreibt.
Die Freiheit, die sie meinen
Von interessierter Seite wird ja gerne unterstellt, der Klimaschutz würde ungebührend in die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger eingreifen. Interessant wäre natürlich zu erfahren, was die Betroffenen an der Ahr oder im südlichen Rheinland dazu sagen, die tagelang abgeschnitten von Strom- und Trinkwasserversorgung in ihren zerstörten Häusern saßen und zum Teil Schwierigkeiten hatten, an dringend benötigte Medikamente zu kommen.
Doch die haben sicherlich andere Sorgen, als sich um derlei politische Debatten zu kümmern. Bei ihnen herrscht, wie es aussieht, großer Ärger über das Agieren der Behörden und der Landesregierung vor. Das legen zumindest einige Videos von Besuchen des NRW-Ministerpräsidenten Armin Lascht in der Region nahe.
Derweil weisen Wissenschaftler auf die erheblichen Gefahren durch Schadstoffe hin, die von den Wassermassen aus den Sedimenten der Flüsse und Ablagerungen an den Ufern mobilisiert wurden. Darüber berichtete die FAZ am vergangenen Wochenende. Welches Ausmaß, das in der betroffenen Region hat, ist offen. Die Zeitung zitiert vor den Hochwassern angestellte Untersuchungen.
Darin ist davon die Rede, dass in allen industrialisierten Regionen "chemische Zeitbomben" in und entlang der Flüsse schlummern, bestehend aus Schwermetallen, Dioxinen und dioxinähnliche Verbindungen. Hochwasser kann diesen Giftcocktail freisetzen und dadurch Ackerpflanzen, Weidetiere und Menschen belasten.
Und diese Kontamination richtet damit nicht nur erheblichen aber bisher wenig erforschten wirtschaftlichen Schaden an, sie schränkt auch ganz konkret Menschen in ihrer Freiheit ein, wie das Beispiel der Wuppertalsperre zeigt. "In Folge des Hochwassers sind in diese bislang nicht identifizierbare Schadstoffe (...) gelangt", schreibt die Bezirksregierung Köln auf Twitter. Bereits am 16.7. wurde Umweltalarm ausgelöst. Daher wurden diverses Verbote ausgesprochen: "Bootssport, Angeln, Baden und Tauchen etc. sind strengstens untersagt."
Aber vielleicht meint der Freiheitsdiskurs der so wenig am Klimaschutz Interessierten ja vor allem die Freiheit der Autofahrer(und seltener -innen) im Allgemeinen sowie der Politikerinnen und Politiker im Besonderen, sich nach Belieben über die Straßenverkehrsordnung hinwegzusetzen.
Neue Akkus
Und zu guter Letzt die guten Nachrichten der Woche: Zum einen weiß Golem.de vom Anbruch einer neuen Ära in der Akku-Herstellung zu berichten. Der chinesische Akkuhersteller CATL habe die Herstellung eines besonders umweltfreundlichen und kostengünstigen Akkus angekündigt, der ganz ohne das problematische aber bisher meist verwendete Lithium auskomme.
Verwendet werden stattdessen Eisen, Kohlenstoff, Stickstoff und Natrium, das kostengünstig in großer Menge aus den Abraumhalden der Kalibergwerke gewonnen werden könne. Die Ladedichte liege mit 160 Wattstunden pro Kilogramm Akku-Gewicht nur knapp unter der Lithium-Eisenphosphat-Zellen in chinesischen Tesla-3-Pkw.
Dafür sei der Akku aber weniger anfällig bei sehr niedrigen und bei hohen Temperaturen. Zudem sei kaum neue Herstellungstechnik nötig. Die neuen Akkus könnten in den gleichen Fabrikhallen wie ihre älteren Vettern produziert werden. 2023 sollen die Fließbänder anlaufen.
Wer weiß, vielleicht werden die neuen Akkus ja auch in den 12 neuen Elektroflugzeugen der Deutschen Post DHL zum Einsatz kommen, die für das Unternehmen ab 2024 jeweils etwas über 1,2 Tonnen Fracht mit Reichweiten bis zu 815 Kilometern transportieren sollen.
Zum Zweiten wurden in der Londoner Bezirk Chelsea sogenannte Lärmkameras installiert, die die Lautstärke vorbeifahrender Autos und anderer Fahrzeuge messen und Kennzeichen aufnehmen, sodass die Fahrerinnen und Fahrer gegebenenfalls verwarnt oder mit Bußgeldern belegt werden können. Im Extremfall drohe eine Beschlagnahmung des Fahrzeugs, schreibt Mail online.
Zum Dritten wurde in Berlin die erste Stufe eines Volksbegehrens abgeschlossen, das die Innenstadt innerhalb des S-Bahnrings so weit wie möglich autofrei machen soll, berichtet radio eins.
Dort besitzt ohnehin nur eine Minderheit der Haushalte einen Pkw. Um 65 Prozent soll dort der Autoverkehr reduziert werden. Macht sich das Abgeordnetenhaus genannte Landesparlament den Vorschlag der Initiative nicht zu eigen, folgt 2022 die zweite Stufe, bei der gut 170.000 Unterschriften gesammelt werden müssen, um einen Volksentscheid zu erzwingen.
Lernen von Vietnam
Und zum Vierten schreibt das PV Magazine über einen gewaltigen Sprung in der Entwicklung der Solarenergie in Südostasien. In Vietnam seien im Dezember 2020 binnen eines einzigen Monats Solaranlagen mit einer elektrischen Leistung von 6,71 Gigawatt (GW) installiert worden. Grund für den plötzlichen Boom war offensichtlich das Ablaufen von Förderungsfristen, aber der Vorgang zeigt natürlich, was beim entsprechenden politischen Willen möglich wäre.
Mit diesen neuen Anlagen lassen sich jährlich zwischen acht und 12 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugen, was etwas mehr als die Erzeugung aller deutschen Braunkohlekraftwerke in einem durchschnittlichen Monat ist. Insgesamt gingen in Vietnam (Bevölkerung 96 Millionen, Bruttonationaleinkommen pro Kopf 2017 2170 US-Dollar) 10,54 GW neue Solarleistung ans Netz. Davon wurden neun GW auf Dächern installiert.
Das Land strebt an, bis 2030 seinen wachsenden Strombedarf zu 21 Prozent mit erneuerbaren Energieträgern abzudecken. Vermutlich ist das sogar die kostengünstigste Variante, denn für eine Kilowattstunde erhalten die Anlagenbetreiber 8,38 US-Cent (7,06 Euro-Cent) und machen damit sogar noch einen Gewinn. Hierzulande hat das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme 2018 für Steinkohlekraftwerke die Kosten für die Erzeugung einen Kilowattstunde (Stromgestehungskosten) mit 6,27 bis 9,86 Euro-Cent berechnet.
Fragt sich nur: Weshalb kann das wirtschaftlich weit schwächere Vietnam, was Deutschland nicht kann. Hierzulande wurden 2020 4,85 GW neuer Solarleistung ans Netz angeschlossen, was der höchste Wert seit 2012 war. Danach hatten die Änderungen der schwarz-gelben Regierung unter Angela Merkel den Ausbau regelrecht abgewürgt.
Die Präsidentin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatte der Bundesregierung kürzlich erneut eine Blockadehaltung vorgeworfen und einen massiven gesteigerten Ausbau gefordert. Mal sehen, ob es im nächsten Bundestag dafür eine Mehrheit geben wird.